Die Bereitschaft in der deutschen Wirtschaft wächst, Sanktionen gegen Russland mitzutragen
Russland wird von Seiten der USA und der EU vorgeworfen, die prorussischen Separatisten im Osten der Ukraine massiv zu unterstützen. Neben bisherigen Sanktionen gegen die Chefs des russischen Inlands- und Auslandsgeheimdienstes sowie die Leiter des Nationalen Sicherheitsrats wird Brüssel nun nach dem Absturz von Flug MH17 am 17. Juli voraussichtlich heute erstmals Wirtschaftssanktionen direkt gegen Russland verhängen. Das geschieht in aller Eile, obwohl weder die Urheberschaft des mutmaßlichen Abschusses geklärt ist, noch ob Russland darin verwickelt ist (Poroschenko: "Wir kämpfen gegen ausländische Söldner" [1]). Klar ist, dass die USA Druck auf verschärfte Sanktionen machen. Die für Europa zuständige Staatssekretärin im US-Außenministerium Victoria Nuland ist für ihre klare Sprache bekannt ("Fuck the EU"). Sie meint, die Schaffung von Unsicherheit an den Finanzmärkten sei "ein Skalpell… ein neues Instrument der europäischen und der US-Außenpolitik" [2]. Und die Bereitschaft in der deutschen Wirtschaft wächst, Sanktionen mitzutragen, wie ein Gespräch mit Tobias Baumann, Leiter des Referats Ost- und Südosteuropa beim Deutschen Industrie und Handelskammertags (DIHK [3]) zeigt.
Wie steht der DIHK zu der geplanten Ausweitung der Sanktionen gegen Russland? Unterstützt der DIHK auch schärfere Sanktionen? Gerade hat sich der Präsident des Bundesverbands der deutschen Industrie (BDI) Ulrich Grillo klar hinter die Verschärfung von Sanktionen gestellt. Er schrieb am Montag in einem Gastbeitrag für das Handelsblatt, dass "das Verhalten der russischen Regierung im ukrainischen Sezessionskonflikt spürbare Konsequenzen für Moskau haben muss".
Tobias Baumann: Wir haben von Anfang an deutlich gemacht, dass wir keine Freunde von Sanktionen sind, wir aber die Entscheidungen der Politik nachvollziehen werden, dass das die Stunde der Politik ist. Die Politik muss entscheiden, welche Mittel jetzt angemessen sind, um die Krise einzudämmen oder um Russland gegenüber Position zu beziehen.
Also befürworten Sie weder Sanktionen und verurteilen sie auch nicht.
Tobias Baumann: Wir fordern natürlich keine Sanktionen, das ist doch ganz klar. Wir machen aber deutlich, dass es nicht unsere Aufgabe ist zu entscheiden, ob Sanktionen verhängt werden oder nicht. Das ist wirklich Aufgabe der Politik, denn es geht um einen politischen Konflikt. Da wir militärische Mittel ausschließen, müssen wir sehen, was die Entwicklung wirksam beeinflussen könnte. Wir haben von Anfang an immer deutlich gemacht, dass wir der Politik folgen, sollte sie weitergehende Entscheidungen treffen.
Welche Auswirkungen hatten die bisherigen Sanktionen schon für die deutsche Wirtschaft?
Tobias Baumann: Die ausgesprochenen EU-Sanktionen sind bisher begrenzt und in der Mehrzahl personenbezogen ausgesprochen worden. Allerdings hat sich in Erwartung schärferer Sanktionen das allgemeine Umfeld sehr verschlechtert Aufträge wurden storniert, Neuaufträge nicht mehr vergeben, der Export nach Russland ist in den ersten 4 Monaten um 14% eingebrochen, weil in Russland der Rubel abwertet und die Kaufkraft sinkt, die Börsen abstürzen und Kapital abfließt. Investitionen werden auf Eis gelegt, die Wirtschaft rutscht in die Rezession. Das sind alles Begleiterscheinungen, die sich jetzt schon auswirken.
Die Bundesbank hatte kürzlich schon einmal warnend den Zeigefinger gehoben. Sie geht in ihrem Monatsbericht davon aus, dass die deutsche Wirtschaft im Frühjahr stagnieren werde, weil im März und April habe die Aufwärtsbewegung merklich an Schwung verloren" habe. Die Industrie habe einen Gang zurückgeschaltet, wobei auch verstärkte geopolitische Spannungen wie in der Ukraine angeführt wurden. Der DIHK- Hauptgeschäftsführer Volker Treier hatte zudem kürzlich erklärt [4]: "Jeder dritte Arbeitsplatz in Deutschland hängt vom Export ab. Wenn wir das auf den deutsch-russischen Handel runterbrechen, haben wir immerhin 300.000 Arbeitsplätze, die von diesem Handel betroffen sind." Ist eine Verschlechterung der Lage mit verschärften Sanktionen zu erwarten?
Tobias Baumann: Davon kann man ausgehen. Wir rechnen aufs Gesamtjahr mit einem Exportrückgang von etwa 10%. Das ist zwar viel, aber angesichts der Tatsache, dass der Anteil Russlands an den Gesamtexporten in Deutschland etwas über 3% ausmacht für die deutsche Volkswirtschaft verkraftbar. Man kann natürlich formulieren, dass 300.000 Arbeitsplätze direkt und indirekt mit dem Export nach Russland zu tun haben, doch die sind ja nicht mit einem Schlag gefährdet, weil wir 10% Exportrückgang haben. Man muss die Dinge auch in der Relation betrachten.
Geplant ist nun offenbar, russischen Banken der Zugang zum europäischen Kapitalmarkt zu erschweren. Außerdem will die EU keinerlei Hochtechnologieprodukte mehr liefern, Spezialanlagen zur Öl- und Gasförderung nur noch beschränkt. Zum Paket gehört auch ein Verbot künftiger Waffenexporte. Ist es nicht merkwürdig, dass ausgerechnet Waffenexporte erst in der Zukunft verboten werden sollen. Es sieht so aus, dass Rücksicht auf das angeschlagene Frankreich genommen wird, wo geplante Rüstungsexporte im Umfang von 1,2 Milliarden Euro für zwei Hubschrauber-Träger nicht gefährdet werden sollen, deren Einsatzgebiet ausgerechnet das Schwarze Meer sein soll. Zeigt das nicht die Angst vor den wirtschaftlichen Folgen?
Tobias Baumann: Es ist ja klar, dass sich das in keiner Branche jemand wünscht. Wir haben die ganzen Jahre auf eine Partnerschaft mit Russland gesetzt, wirtschaftlich und strategisch. Es dauert vielleicht auch eine Weile, um zu begreifen, dass Russland uns diese strategische Partnerschaft gekündigt hat. Die Rüstungsexporte möchte ich jetzt nicht weiter kommentieren. Da kenne ich mich im Einzelnen nicht gut genug aus. Man kann aber auch sagen, dass Deutschland da schon in Vorleistungen gegangen ist. Ein laufendes Geschäft mit Rheinmetall wurde schon im März in einer frühen sehr Phase abgesagt.
Kann man das so interpretieren, dass Sie wie Bundesaußenminister Steinmeier darauf drängen, die Lasten der Sanktionen gleichmäßig zu verteilen? Steinmeier sagte im Interview [5]: "Ich kann mir auch Situationen vorstellen, in denen andere europäische Mitgliedsstaaten nur solche Sanktionen vorschlagen, die Deutschland und wenige andere treffen. Damit wäre ich nicht einverstanden. Wenn es negative Folgen gibt, dann müssen sie auch in Europa insgesamt getragen werden. Und dann muss ein Paket möglicher Sanktionen so ausgewogen sein, dass dort Rüstungswirtschaft, Finanzwirtschaft, Hochtechnologie und vieles andere betroffen wird."
Tobias Baumann: Es ist selbstverständlich, dass man versucht, die Last auf allen Schultern zu verteilen. Allerdings sind die Wirtschaftsbeziehungen divers und sehr unterschiedlich, von daher kann man da keine Gerechtigkeit bei der Belastung herstellen. Das liegt in der Natur der Sache und das muss man bis zu einem gewissen Grad auch akzeptieren.
Steinmeier meint, dass die "wirtschaftlichen Wirkungen für Russland schon ausgesprochen negativ" seien, doch sogar über die neu geplanten Sanktionen hinaus gibt es schon Überlegungen, Russland da zu treffen, wo es dem Land wirklich weh tue. So warf der Vize-Fraktionschef von CDU/CSU Michael Fuchs in die Diskussion, weniger Gas aus Russland zu beziehen. Die Auswirkungen für Deutschland könnten groß sein. Wie stehen Sie dazu?
Tobias Baumann: Auch das muss man in der Relation betrachten. Wir haben zwar eine Abhängigkeit von russischem Gas zu 35%, doch wir haben einen Gasanteil am gesamten Primärenergieverbrauch von 22%. Ein Drittel davon wären also 7 bis 8%. Das ist die effektive Abhängigkeit von russischem Gas, jedenfalls in Deutschland. Und es ist auch nicht vorstellbar, dass die Lieferungen komplett aufhören. Das ist alles sehr spekulativ. Wir haben erst vor wenigen Jahren die Ostseepipeline eröffnet. Das ist ein kommerzielles Projekt und ich glaube nicht, dass das nun in Rede steht. Anders herum betrachtet glaube ich aber, dass die Diskussion insgesamt in Europa nicht mehr zu stoppen sein wird, gerade unter den mittelosteuropäischen Nachbarländern, inwiefern, wie schnell und bis zu welchem Grade man sich von Russland im Energiesektor in der Zukunft unabhängiger macht. Ich denke, das wird jetzt eine Entwicklung sein, die mittelfristig dazu führen kann, dass wir insgesamt weniger Energiebezüge aus Russland haben.
Ersatz durch Lieferungen aus Algerien, wie sie Spanien immer wieder ins Gespräch bringt? Doch die stehen bisher auf wackeligen Füßen.
Tobias Baumann: Es gibt einige Möglichkeiten. Das kann Algerien sein. Spanien hat sich da bereits als Transitland positioniert. Das können auch andere Länder sein und der Flüssiggassektor kann ausgebaut werden. Das ist natürlich kein kompletter Ersatz, aber es ist eine Entwicklung, die angestoßen werden könnte. Ich erwarte sie auch angesichts dieser schweren Krise und nach mehr als einem halben Jahr, wo wir auch von russischer Seite keine wirklichen Anstrengungen beobachten können, um den Konflikt beizulegen.
Russland ist ein wichtiger Partner, aber nicht so überwältigend, dass es uns ins Unglück stürzen würde
Droht ein Handelskrieg mit härteren Auswirkungen? Ihr stellvertretender Hauptgeschäftsführer Treier hat vor "extremen Vergeltungsmaßnahmen" und einer "Sanktionsspirale" gewarnt [6]. Die Rückwirkungen einer Zuspitzung sind in einer global vernetzten Wirtschaft nur schwer absehbar und die Eurozone hat ihre Probleme längst nicht überwunden. Die Wirtschaft im Euroraum hat die Rezession zwar verlassen, dümpelt aber weiter nahe einer Stagnation [7] herum. Drohen dramatischer Auswirkungen für die Eurozone?
Tobias Baumann: Auch über diese Auswirkungen kann man nur spekulieren. Es ist aber allgemein nachvollziehbar, dass die Vorgänge für eine positive Entwicklung nicht förderlich sind. Inwiefern es die Eurozone insgesamt dann trifft und sich die Lage dort noch verschlechtert, und wie sich die Lage in den Krisenländern noch verschlechtert, weiß ich nicht. Niemand kann das mit Gewissheit sagen. Ich weise nochmals darauf hin: Russland ist ein wichtiger Partner, aber nicht so überwältigend im Hinblick auf die Gesamtexportstruktur, dass es uns ins Unglück stürzen würde. Sie müssen sehen, dass Deutschland schon der größte Exporteur ist und der Anteil nach Russland 3% ausmacht. Daran kann man die Größenordnung abschätzen.
Aber ist es nicht etwas verfrüht, mit einem strategischen Partner wie Russland so umzugehen? Der Abschuss der MH17 über der Ukraine wird als Anlass für massive Sanktionen genommen, dabei ist nicht einmal bewiesen, wer die Maschine abgeschossen hat, nicht einmal die Flugschreiber sind ausgewertet und die Ermittlungen vor Ort haben praktisch noch nicht einmal begonnen.
Tobias Baumann: Es gibt keine letztgültigen Beweise. Es gibt aber eine überzeugende Reihe von Indikatoren, die die Vermutung nahelegen, dass Russland letztlich für den Abschuss mitverantwortlich ist. Es ist also eine politische Entscheidung und da können wir als Wirtschaft im Endeffekt nur das nachvollziehen, was die Politik vorgibt, falls das der Grund für die Verschärfung der Sanktionen ist.
Auch wenn das deutsche Firmen hart treffen wird, die viel in Russland investiert haben?
Tobias Baumann: Auch wenn das deutsche Firmen hart treffen wird. Wir befinden uns natürlich in einem Dialog mit der Politik, doch die Entscheidung muss letztendlich die Regierung und die Europäische Kommission, bzw. der Europäische Rat treffen. Wir können auf die Folgen aufmerksam machen, was wir auch tun. Und wir können versuchen zu antizipieren, wie hoch der Schaden ausfallen und was es für Arbeitsplätze bedeuten könnte. Wir müssen darauf hinweisen, dass es einzelne Firmen und Branchen jetzt schon stärker trifft als den Gesamtbereich. Das kann auch Arbeitsplätze kosten, und diese Sorgen müssen wir ernstnehmen. Die deutschen Firmen sind unterschiedlich in Russland engagiert. Bei einigen liegt der Umsatzanteil bei 20%, was eine relativ hohe Ziffer ist, während es bei anderen ein kleinerer Anteil ist. Auch dort gibt es keine Gerechtigkeit und es ist schwierig, dort alle gleichermaßen zu belasten.
Glauben Sie, dass die Sanktionen erfolgreich sein können? Ihr stellvertretender Hauptgeschäftsführer hat ja erheblich Zweifel, dass die russische Regierung damit zum Einlenken gebracht werden kann.
Tobias Baumann: Angesichts der Entwicklungen in der Ost-Ukraine und angesichts des monströsen Abschusses des malaysischen Verkehrsflugzeuges geht es jetzt darum, Position zu beziehen.
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