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Keine Lösung der Zypern-Frage in Sicht

Rot: Türkische Republik Nordzypern; Blau: Republik Zypern; Grün: Pufferzone der Vereinten Nationen (UNFICYP); Gelb: Britisches Hoheitsgebiet (Militärbasen). Karte: Maximilian Dörrbecker / CC BY-SA-2.5

Nordzypern ist das einzige annektierte Gebiet innerhalb der EU. Die Insel ist durch den Gasstreit strategisch noch bedeutender geworden

Ende April wurde in Genf zum wiederholten Mal über die Zypern-Frage verhandelt. Die UN bemühten sich bei den Verhandlungen mit den Zypern-Garantiemächten Griechenland, Türkei und Großbritannien sowie mit Nord- und Südzypern, die Konflikte der geteilten Insel zu lösen. Die Verhandlungen scheiterten jedoch erneut. Damit bleibt die Zypern-Frage auch fast 50 Jahre nach der türkischen Invasion 1974 ungelöst.

Es ist kaum möglich, die komplizierte Zypernfrage in einem einzigen Artikel differenziert darzustellen. Die Analysen dazu füllen Bücherwände. Von daher reißt dieser Artikel nur die relevanten Themen an und gibt einen Überblick über die Problematik. Es gibt bezüglich Zypern viele offene Fragen. Alle Beteiligten haben ihre Hausaufgaben zu einer Lösung des Konflikts nicht erfüllt. Sie sind auch abhängig von den politischen Konstellationen innerhalb der Garantiemächte.

Kurzer geschichtlicher Abriss zu Zypern

Schon 1827 gab es auf Zypern, das damals noch zum Osmanischen Reich gehörte, Bestrebungen der griechischen Zyprioten sich Griechenland anzuschließen (Enosis). In der Zeit des Osmanischen Reiches hatten sich vermehrt muslimische Türken aus Anatolien in Zypern niedergelassen. Im Berliner Vertrag von 1878 bestimmten die europäischen Mächte, dass das Osmanische Reich Zypern an Großbritannien verpachten musste.

1925 annektierte Großbritannien die Insel und machte sie zur britischen Kronkolonie [1]. In dieser Zeit forderten die griechischen Zyprioten einen Anschluss an Griechenland. Die griechische Bevölkerung fühlte sich gegenüber den eingewanderten muslimischen Türken als die eigentlichen Zyprioten.

Die Briten und Spaltungen

Die Briten förderten die Spaltung in der Bevölkerung, indem sie vor allem türkische Zyprioten in ihrer Verwaltung einsetzten. Die griechischen Zyprioten, die Mehrheit der Inselbevölkerung, waren überwiegend Bauern. Politische Spannungen zwischen der Türkei und Griechenland führten auch zu Spannungen zwischen den Volksgruppen auf Zypern.

Erste türkisch-zypriotische Stimmen zur Teilung (Taksim) der Insel wurden laut. Die Propagierung nationaler Identitäten basierte zunehmend auf gegenseitiger Abgrenzung und Dämonisierung [2]. Daraus entstand die griechisch-zypriotische nationalistische Bewegung der Nationalen Organisation zypriotischer Kämpfer, EOKA. Die kommunistische Partei Zyperns AKEL wollte hingegen der Unabhängigkeitsbewegung eine linke Ausrichtung geben und setzte auf Massenstreiks und Demonstrationen.

1955 begann die EOKA einen Partisanenkrieg gegen die Briten und für die "Enosis", den Anschluss an Griechenland. Die türkischen Zyprioten beantworteten die Aktivitäten der EOKA, unterstützt von den britischen Kolonialherren, mit der Gründung der türkischen nationalistischen Widerstandsorganisation TMT [3].

1958 befand sich Zypern am Rande eines Bürgerkriegs. Die EOKA verübte Anschläge auf griechische und türkische Zyprioten, die die britische Kolonialmacht unterstützten. Der griechisch-orthodoxe Erzbischof Makarios III von Zypern, befürwortete zwar die Unabhängigkeit der Insel von Großbritannien, ging aber auf Distanz zur nationalistischen EOKA.

Nationalismus und Pogrome

Ebenfalls in den 1950er Jahren - die Türkei hatte wirtschaftliche Probleme - lenkte der damalige türkische Präsident Menderes die Aufmerksamkeit der Menschen in der Türkei von den wirtschaftlichen Problemen weg hin zu einer antigriechischen Stimmung. Die ohnehin weitverbreitete Stimmung gegen ethnische und religiöse Minderheiten wie Armenier, Kurden, Griechen, Eziden, Aleviten und Christen führte auch in der Türkei quer durch alle Parteien zu immer stärkerem Nationalismus.

Mit der Begründung, "die Griechen bringen in Zypern Türken um", wurde der nationalistische türkische Pöbel gegen die Istanbuler Griechen aufgehetzt und es kam dort zu Pogromen [4].

In dieser Gemengelage waren die Briten bereit, Verhandlungen über eine Unabhängigkeit Zyperns zu führen. 1959 wurde der Londoner Vertrag unterzeichnet, der Griechenland, die Türkei und Großbritannien als Garantiemächte der Unabhängigkeit Zyperns festlegte. Alle drei Parteien garantierten, dass sich die Insel weder als Ganzes noch teilweise an einen anderen Staat angliedern dürfe.

Alle Aktivitäten auf Zypern, die eine Angliederung an ein anderes Land oder die Teilung der Insel anstrebten, hätte Zypern zu unterbinden (Art. I) [5] 1960 erlangte Zypern dann unter Erzbischof Makarios III als Präsidenten und Rauf Denktas als türkisch-zypriotischen Vizepräsidenten die Unabhängigkeit.

Bereits drei Jahre nach der Unabhängigkeit von Großbritannien kam es erneut zu bewaffneten Konflikten zwischen beiden Bevölkerungsgruppen. Die zypriotische Verfassung sah vor, dass der Präsident Zyperns ein griechischer Zypriote und der Vizepräsident ein türkischer Zypriote mit Vetorecht sein muss. Die griechischen Zyprioten, deren Bevölkerungsanteil 80% betrug, fanden den Einfluss der türkischen Zyprioten unangemessen groß.

Massaker an türkisch-zypriotischen Zivilisten

Deshalb schlug Präsident Makarios eine Verfassungsänderung vor, die das Vetorecht der türkischen Zyprioten abschaffen sollte. Die Garantiemacht Türkei wies diesen Vorschlag zurück. An Weihnachten 1963 kam es zu einem Massaker an türkisch-zypriotischen Zivilisten durch nationalistische griechisch-zypriotische Polizeikräfte. In der Folge wurden türkische Zyprioten im Süden der Insel vertrieben.

1967 putschte in Griechenland das Militär und eine faschistische Militärjunta übernahm dort die Macht. Sie förderte die griechischen Nationalisten auf Zypern. 1971 wurde die EOKA auf Zypern wieder reaktiviert und startete einen Guerillakrieg gegen die Regierung Makarios [6]. 1974 putschte die von der griechischen Militärjunta unterstützte Nationalgarde Zyperns gegen Makarios.

So wollte sie den Anschluss Zyperns an Griechenland zu erzwingen, was aber misslang. Großbritannien, das in dieser Situation als eine der Garantiemächte hätte eingreifen müssen, tat in dieser Situation nichts. Sie schützten lediglich ihre zahlreichen großen Stützpunkte. Eine offene Frage ist, warum sie nicht eingriffen, um die türkisch-zypriotische Bevölkerung zu schützen.

Türkische Besatzung des nördlichen Teils

Nach wiederholten Massakern an türkischen Zyprioten landete am 20. Juli 1974 türkisches Militär in Zypern und besetzte den nördlichen Teil. Auch nach dem Scheitern des Putsches der griechisch-zypriotischen Nationalgarde zog sich die türkische Armee nicht zurück, sondern setzte ihre Militärinvasion fort. Vertreibungen und Massaker von beiden Seiten waren die Folge.

Rund 200.000 Menschen beider Ethnien wurden aus ihren Heimatorten vertrieben. 1.500 Zyperngriechen gelten bis heute als verschwunden, 200 Zyperntürken wurden von griechisch-nationalistischen, paramilitärischen Truppen auf der griechischen Seite ermordet. Die türkischen Zyprioten flüchteten in den Norden, während die Griechen sich in den Süden der Insel retteten.

Seitdem ist die Insel in einen größeren griechisch-zypriotischen Teil im Süden (ca. 2/3) und einen kleineren türkisch-zypriotischen Teil im Norden (ca. 1/3) [7] sowie etwa drei Prozent britische Stützpunktfläche [8] (Akrotiri, westlich von Limassol gelegen, umfasst eine Fläche von 123 km² und Dekelia, östlich von Larnaka, mit einer Fläche von 130 km², geteilt).

UN-Blauhelme, "High Level Agreements"

Die UNO entsandte Blauhelme nach Zypern, die bis heute die Demarkationslinie zwischen dem griechischen und türkischen Teil Zyperns überwachen, damit es nicht zu weiteren militärischen Auseinandersetzungen kommt.

Im Januar 1977 fanden Verhandlungen zwischen dem türkisch-zypriotischen Präsidenten Rauf Denktaş und und dem Nachfolger von Makarios im Präsidentenamt, Spyros Kyprianou statt, die schließlich 1979 zu den so genannten High Level Agreements [9] führten.

Diese fixierten die Grundprinzipien für eine Wiedervereinigung der Insel. Es wurde festgelegt, dass Zypern als bizonale und bikommunale Föderation wiedervereinigt und entmilitarisiert werden solle. Die Vereinigung der Insel mit Griechenland oder ihre Teilung waren damit als Optionen offiziell vom Tisch.

Zwischen August 1980 und April 1983 fanden 251 Treffen unter der Aufsicht der Vereinten Nationen statt. Dabei wurde deutlich, dass beide Seiten unterschiedliche Vorstellungen über eine bizonale, bikommunale Föderation hatten.

Der wichtigste Streitpunkt blieb bis heute die unterschiedliche Interpretation der "High Level Agreements": Föderation vs. Konföderation, d.h. ein Staatenbund mit griechisch-zypriotischer Dominanz vs. ein Staatenbund mit absoluter politischer Gleichheit und einer rotierenden Präsidentschaft. In der Zwischenzeit forcierte die Türkei ihre Siedlungspolitik mit Festlandtürken, um die Demographie der Insel zu ihren Gunsten zu verändern.

Am 17. Juni 1983 forderte das türkisch-zypriotische Parlament ein Referendum über die Unabhängigkeit des Nordens. UN-Generalsekretär Perez de Cuellar provozierte in dieser gespannten Atmosphäre mit zwei Lösungsmodellen, ein eher pro-griechisches und ein eher pro-türkisches. Damit wollte er einen Kompromiss erzielen, in dem die türkischen Zyprioten Territorium gegen größere politische Rechte tauschen sollten.

Ausrufung der Türkischen Republik Nordzypern (TRNZ)

Während Kyprianou die Vorschläge als Verhandlungsbasis akzeptierte, schuf Denktas mit Unterstützung der Türkei Tatsachen und rief am 15. November 1983 die Türkische Republik Nordzypern (TRNZ) aus. Der UN-Sicherheitsrat erklärte die Unabhängigkeitserklärung für ungültig und forderte alle Staaten auf, keinen weiteren zypriotischen Staat neben der Republik Zypern anzuerkennen. Danach lagen alle Pläne auf Eis.

Im August 1988 wurden unter dem neuen moderaten griechisch-zypriotischen Präsidenten George Vassiliou erneut Verhandlungen aufgenommen. Doch der türkisch-zypriotische Präsident Denktaş torpedierte weiter alle Bemühungen, zu einem Konsens zu kommen. Im Januar 1990 scheiterten die Verhandlungen in New York im Beisein der UN an Denktas' Forderung, dass die griechischen Zyprioten die Existenz zweier gleichberechtigter Völker auf Zypern anerkennen sollten, von denen beide ein separates Recht auf Selbstbestimmung (und damit auch auf Abspaltung) besäßen.

Dies hätte faktisch die Teilung Zyperns bedeutet. Schon damals vertrat Denktaş die Idee einer Zwei-Staaten-Lösung, welche die Türkei heute wieder favorisiert. Im Juli 1990 verkomplizierte sich die Situation weiter, als die Republik Zypern einen Antrag auf Mitgliedschaft in der Europäischen Gemeinschaft stellte. Daraufhin brach Denktaş weitere Gespräche ab.

1998 begannen die Beitrittsverhandlungen der Republik Zypern mit der EU. Die in der Türkei 1999 gewählte Ecevit-Regierung, die eine Koalition mit der faschistischen MHP eingegangen war, drohte damit, den Norden zu annektieren, sollte die Republik Zypern Vollmitglied der EU werden. Im Jahr 2002 demonstrierten mehrere Tausend Bürger Nordzyperns gegen die Politik Ankaras.

Die türkische Bevölkerung Zyperns, die vom Welthandel sowie von der Weltpolitik gänzlich ausgeschlossen ist, erhoffte sich von der Vereinigung der beiden Inselteile eine Verbesserung ihrer sozialen und wirtschaftlichen Lage. Ebenfalls 2002 gewann die AKP unter Ministerpräsident Gül in der Türkei die Wahlen. Erdogan stand bis 2003 noch unter Politikverbot. Damals gab sich die AKP noch einen progressiv liberalen Anstrich [10].

In dieser Zeit wurden die Verhandlungen über die Zypernfrage wieder aufgenommen. Im Norden Zyperns wandte sich die Bevölkerung zunehmend von Denktaş ab. 2004 wurde er durch den moderaten Oppositionspolitiker Mehmet Ali Talat ersetzt.

Im griechischen Teil wurde hingegen 2003 der Hardliner Tassos Papadopoulos Präsident, der mit einer emotionalen Medienkampagne maßgeblich zum Scheitern des sogenannten Annan-Plans [11] beitrug.

Der Annan-Plan und sein Scheitern

Dieser Plan für eine Lösung der Zypernfrage wurde nach dem damaligen Generalsekretär der Vereinten Nationen, Kofi Annan benannt. Anfang 2004 fanden zwei getrennte Volksabstimmungen über den Annan-Plan auf der Insel statt.

Darin war eine vom Parlament gewählte Regierung, bestehend aus vier griechischen und zwei türkischen Zyprioten, sowie eine kollektive Führung mit Vetorechten für beide Volksgruppen vorgesehen. Mehr als die Hälfte der griechisch-zypriotischen Geflüchteten sollten zurückkehren können und mehrere zehntausend türkische Zyprioten sollten umgesiedelt werden.

Es sollte eine dauerhafte griechische und türkische Militärpräsenz geben und Griechenland und die Türkei sollten zusammen mit Großbritannien Garantiemächte mit Interventionsrecht bleiben. Zwei wichtige Fragen wurden im Annan-Plan jedoch nicht geregelt:

Sollte ein neuer Staat durch zwei gleichberechtigte Staaten gegründet werden, wie dies die türkische Seite forderte? Dies lehnte die griechische Seite mit dem Argument ab, dies es sei ein möglicher Ausgangspunkt für eine spätere Abspaltung. Oder sollte die bestehende Republik Zypern in einen neuen Staat umgewandelt werden, wie dies die griechische Seite forderte? Sollte es eine Föderation oder Konföderation sein?

Der türkische Norden stimmte zu 65% für den Annan-Plan. Der griechische Süden stimmte u.a. wegen der türkischen Militärpräsenz zu 76% dagegen. Die Zyperngriechen lehnten eine dauerhafte Präsenz türkischer Armeeeinheiten auf der Insel ab. Auch die Begrenzung der Rückkehrzahl griechischer Vertriebener fanden die griechischen Zyprioten ungerecht.

Insgesamt wurde der Plan von dieser Seite als zu "pro-türkisch" empfunden. Damit war der Annan-Plan gescheitert. Die internationale Staatengemeinschaft hatte große Hoffnungen gehabt, dass der Annan-Plan in der Bevölkerung beider Seiten auf Zustimmung stoßen würde. Die ablehnende Haltung des griechisch-zypriotischen Präsidenten und seiner Medienkampagne wurde international kritisiert.

Aufnahme in die EU, Entspannung und Erdogan

Trotzdem wurde Zypern 2004 als Gesamtstaat in die EU aufgenommen. Das EU-Recht und Regelwerk gilt aber - solange es keine gesamtzypriotische Lösung gibt - nur im Süden.

2008 wurde Dimitris Chistofias zum griechisch-zypriotischen Präsidenten gewählt. Nun gab es in beiden Teilen der Insel moderate Präsidenten und damit wieder Annäherungen in der geteilten Republik: Die mit Sandsäcken und Barrikaden gesperrte, symbolträchtige Ledra-Einkaufsstraße in der Altstadt von Nicosia wurde zusammen mit einer Reihe anderer Grenzübergänge geöffnet. Somit konnten die Bürger:innen der Insel wieder in beide Teile Zyperns fahren, um Einkäufe zu tätigen, oder Verwandte zu besuchen. Mehr passierte allerdings nicht.

2011 erklärte der damalige türkische Ministerpräsident Recep Tayyip Erdogan, keine weiteren Verhandlungen mehr mit der EU zur Republik Zypern führen zu wollen. Bisherige Zugeständnisse hätten ebenfalls keine Gültigkeit mehr [12].

2014 gab es jedoch erneute Gespräche über eine Wiedervereinigung. Nun stellten der griechisch-zypriotische Präsident Nikos Anastasiadis und sein türkisch-zypriotischer Amtskollege Dervis Eroglu in einer gemeinsamen Erklärung die Umrisse einer Verfassung vor. Danach sollten beide Teilgebiete eine weitgehende innere Autonomie erhalten. Von 2014 bis 2017 fanden alljährlich erneut Gespräche statt - ohne Ergebnisse.

Die Militärpräsenz der Türkei

Alle bisherigen Bemühungen zur Überwindung der Teilung scheiterten, zuletzt 2017 in Crans-Montana in der Schweiz. Wieder ging es um die Militärpräsenz der Türkei und um die Teilung der Macht auf Zypern. Da sie die Bevölkerungsmehrheit stellt, lehnte die griechische Seite nach wie vor eine rotierende Präsidentschaft ab [13].

Die Fronten sind verhärtet. Alte Nationalismen treten wieder in den Vordergrund. Dies wird anlässlich der diesjährigen 200-Jahrfeier der griechischen Revolution gegen das Osmanische Reich deutlich: Auf den Plätzen der griechisch-zypriotischen Seite wehen Hunderte von blau-weißen griechischen Flaggen, während auf der türkisch-zypriotischen Seite die roten Flaggen mit dem weißen Halbmond wehen [14].

Nun sind die Verhandlungen im April 2021 erneut gescheitert, diesmal an der Haltung der Türkei und des AKP-treuen Präsidenten des türkisch-zypriotischen Teils von Zypern.

Das erneute Scheitern rückt eine Lösung in weite Ferne

Seit die Türkei wegen der Erdgasbohrungen vor der zyprischen Küste auf Konfrontationskurs gegen Griechenland ist, wurde der türkische Ton in der Zypernfrage rauer und nationalistischer. Für das türkische Militär ist die Insel strategisch zentral.

Seit die geopolitischen Spannungen im Levantinischen Meer im Zuge der Syrien-Krise stark zugenommen haben, ist Zypern strategisch noch bedeutender geworden. Aber das ist nur ein Aspekt. Seit Erdogan 2014/15 einen radikalen Kurswechsel hin zu einem islamisch-totalitären Staat einleitete und um die Vorherrschaft der Türkei im neo-osmanischen Sinne kämpft, ist eine Wiedervereinigung Zyperns fern der Realisierung. Die Türkei favorisiert mittlerweile wieder (oder immer noch?) eine Zwei-Staaten-Lösung.

Für die UNO ist eine Zwei-Staaten-Lösung inakzeptabel, denn diese würde der Türkei mehr Einfluss im östlichen Mittelmeer verschaffen. Wir erinnern uns: Mit dem neuen Neo - Osmanischen Kurs will Erdogan den territorialen Einfluss der Türkei wieder auf die Grenzen des Osmanischen Reiches ausweiten. Das bringt ihm Sympathien und Stimmen in der Türkei, auf die er angesichts der aktuellen desaströsen Wirtschaftslage und sinkender Wählergunst dringend angewiesen ist.

Seit der Wahl des jetzigen, AKP-treuen Präsidenten Nordzyperns, Ersin Tatar, im Oktober 2020 breitet der türkische Präsident Erdogan seinen Einfluss auf den türkisch besetzten Teil Zyperns aus. Dies führt auf der griechischen Seite unmittelbar zu Gegenreaktionen. Der vorangegangene türkisch-zypriotische Präsident Mustafa Akıncı suchte nach einer einvernehmlichen Lösung, versuchte eine eigenständige Politik für Zypern zu gestalten und dem Einfluss der Türkei Grenzen zu setzen.

Die türkische Regierung mischte sich in den Wahlkampf 2020 massiv ein, um ihren Wunschkandidaten Tatar von der AKP-nahen Partei UBP zu promoten [15].

Akinci und Tatar vertreten gegensätzliche Lösungsansätze. Akinci plädierte stets für eine gleichberechtigte Wiedervereinigung als föderaler Staat in der EU, während die Türkei und Tatar eine Zweistaatenlösung und enge Kooperation Nordzyperns mit der Türkei anstrebt.

Frankfurter Rundschau

Mehrere Minister aus Ankara riefen in nordzyprischen Gemeinden zur Wahl Tatars auf und stellten dem wirtschaftlich abhängigen Nordzypern neue Zuwendungen in Aussicht. Erdogan ließ Tatar zudem im Oktober 2020 im Vorfeld der Wahlen einen Badestrand in der vom türkischen Militär besetzten "Geisterstadt" Varoscha [16] im Niemandsland zwischen den Inselhälften öffnen.

Dies war ein klarer Verstoß gegen UN-Resolutionen. Die EU reagierte gewohnt zahnlos auf die türkische Intervention und gab sich lediglich "empört". Noch-Präsident Akinci berichtete der Frankfurter Rundschau zufolge, dass er von Mittelsmännern aus Ankara "klar bedroht" und aufgefordert worden sei, seine Kandidatur zurückzuziehen.

"Tatars Botschaft ist: Ich habe die Beziehungen zu Ankara, und ich bin derjenige, der das Geld verteilt", sagt der Makler Levent Gözmen aus Nord-Nikosia. Viele Zyperntürken, die unter den Einwanderern aus der Türkei inzwischen eine Minderheit bilden und die schleichende Islamisierung durch Ankara ablehnen, betrachteten den Urnengang als Schicksalswahl, sagt er. "Akinci ist die letzte Chance für uns, eine Wiedervereinigung zu erreichen und unsere kulturelle Identität zu bewahren. Wenn er verliert, laufen wir Gefahr, eine Provinz der Türkei zu werden. Viele türkische Zyprioten sitzen schon auf gepackten Koffern"

Frankfurter Rundschau [17]

Am Ende gewann der AKP- Wunschkandidat die Wahlen.

Trotz des Wahlsieges von Tatar gab es in den letzten Monaten vermehrt Demonstrationen und Kundgebungen auf beiden Seiten Zyperns, die ein geeintes, föderales Zypern forderten. Am 24. April 2021, dem Auftakt des erneuten Treffens unter UN-Regie, fand eine Demonstration der Bewegung UCN (#UniteCyprusNow) in beiden Teilen Zyperns statt.

In dem Aufruf warnt die Bewegung vor einer Zwei-Staaten-Lösung:

Die Wahl besteht darin, ein sicheres, wohlhabendes, vereinigtes Land für alle Inselbewohner zu haben oder eine dauerhafte Grenze zur Türkei, die Zypern durchschneidet. Die Wahl liegt darin, dass ein Bundesland von Zyprioten regiert wird oder ein geteiltes Land, in dem Zyprioten kein Wort in ihrem Land zu sagen haben werden. Die Wahl liegt zwischen einer Bundeslösung und keiner Lösung.

UniteCyprusNow #Together4Federation24_4

Der türkische Außenminister Mevlüt Cavusoglu wie auch der türkisch-zyprische Präsident Ersin Tatar bestanden jedoch beide beim Treffen im April auf einer Zwei-Staaten-Lösung. Sie forderten die endgültige Teilung der Insel. Dagegen stellte sich der Präsident der Republik Zypern, Nikos Anastasiades.

Der Vorschlag liege "außerhalb aller UNO-Resolutionen". Die griechischen Zyprioten seien weiterhin bereit, auf Grundlage jener UNO-Resolutionen zu verhandeln, "die eine Föderation zwischen zwei Bundesstaaten vorsehen" [18], zitierte die österreichische Zeitung Der Standard Anastasiades.

Viele setzten ihre Hoffnung auf die Vermittlungsfähigkeit des UN-Generalsekretärs António Guterres. Guterres musste aber am Ende konstatieren, dass es bei den Verhandlungen nicht genügend Übereinstimmung zwischen der griechisch- und der türkisch-zyprischen Seite gegeben habe, um formelle Verhandlungen aufzunehmen. Im Vorfeld der Verhandlungen drohte Guterres mit der Aufgabe seiner Vermittlerrolle, um den Druck für beide Seiten zu erhöhen, zu einer Lösung zu kommen.

Nordzypern ist das einzige annektierte Gebiet innerhalb der EU, weshalb die EU nach wie vor auf eine Lösung drängt. In diesem Zusammenhang sei auf die quasi annektierten Gebiete der Türkei in Nordsyrien hingewiesen [19].

Guterres: "Ich gebe nicht auf"

Die Türkei scheint insbesondere bei der deutschen Bundesregierung einen Freifahrtschein bei der Besetzung von Territorien z.B. in Nordsyrien und dem Nordirak zu haben. Aber die Zypernfrage ist für Guterres geopolitisch zu wichtig, um angesichts der Expansionspläne der Türkei aufgegeben zu werden.

"Ich gebe nicht auf" [20], sagte Guterres. Er stellte eine neue informelle Gesprächsrunde in zwei bis drei Monaten mit den beiden zyprischen Seiten sowie Vertretern der Garantiemächte der Republik Zypern - Griechenland, Türkei und Großbritannien in Aussicht.

Nach dem Treffen im April zeigte sich Präsident Anastasiades enttäuscht über das türkische Beharren auf einen unabhängigen Staat Nordzypern [21].

Eine Provinz der Türkei

Der ehemalige Präsident des zypriotischen Nordens, Akinci, wies darauf hin, dass der türkische Präsident Erdogan Nordzypern als eine Provinz der Türkei betrachtet. Das sehe man unter anderem daran, wie sich Erdogan gegen ihm unliebsame Beschlüsse des nordzyprischen Verfassungsgerichts zum Thema Koranunterricht stellte.

Dieses entschied, dass jeder Kurs, einschließlich der Korankurse, vom Bildungsministerium der Insel geregelt und angeboten werden muss und nicht von einer religiösen Kommission. Erdogan wetterte, das nordzyprische Verfassungsgericht müsse zuerst lernen, was Säkularismus ist [22]:

Sie sollten die Gewohnheiten der Türkei in die Praxis umsetzen. [Sie] sollten diesen Fehler schnell korrigieren, sonst werden unsere nächsten Schritte anders sein.

Erdogan

Akinci warnte, wer die Einflussnahme der Türkei auf die Wahlen vor sechs Monaten nicht glauben wollte, sollte dies jetzt anhand des türkischen Vorschlags der Zwei-Staatenlösung verstanden haben. Er bezog sich unter anderem auf eine Erklärung, die Erdogan kurz vor dem Treffen des griechischen Außenministers Nikos Dendias und seinem türkischen Amtskollegen Mevlut Cavusoglu abgegeben hatte.

Darin warnte Erdogan, die Türkei habe in der Zypernfrage guten Willen gezeigt und ihre Schiffe "zur Wartung" abgezogen. Damit meinte er den Erdgas-Konflikt. Aber man werde nicht zulassen [23], "dass die Rechte Nordzyperns usurpiert werden. Wenn nötig, werden wir intervenieren. Unsere Schiffe sind im Moment bereit, auszulaufen. Wenn sie Schritte unternehmen müssen, werden sie das tun. Wir gehen Gesprächen nicht aus dem Weg, solange sie wissen, dass sie die Türkei respektieren müssen".

Der nordzyprische Präsident Tatar bestärkte auf einem Online-Treffen der Eurasia Economic Relations Association zum Thema "Strategische Vision der Republik Nordzypern" im Vorfeld des Genfer Treffens die griechischen Befürchtungen, dass Nordzypern zur Provinz der Türkei [24] werde:

"Mit der wachsenden Macht der Türkei in der Region und ihrer Unterstützung für die TRNC, gehen wir gestärkt nach Genf, um unseren Staat weiter voranzubringen."

Dies alarmierte auch die griechisch-orthodoxe Kirche in Zypern: Der Metropolit Bischof Vasilios wandte sich im Dezember 2020 in einem Brief an die europäischen Regierungen, in dem er auf die vielen christlichen Kirchen und Klöster im Norden hinwies, die Erdogan bewusst nicht vor dem Verfall bewahrt.

Ihm und anderen Bischöfen sei es nicht möglich, ihren Glauben und ihre Gottesdienste in der Region zu praktizieren. In früheren Zeiten war es möglich, gemeinsam einige Kirchen und Klöster zu restaurieren. Seit Erdogan versuche, den Hass zwischen Muslimen und Christen zu schüren, zeige die türkisch-zypriotische Seite keinen Respekt mehr vor den Gotteshäusern. Sie wandele sie in Marktplätze um, wie bei der Erzengel Michael Kirche in Lefkoniko geschehen.

Der Metropolit Vasilios kritisierte insbesondere die wohlwollende Haltung der deutschen Regierung gegenüber der Türkei und Präsident Erdogan:

Es ist offensichtlich, dass Deutschland seine eigenen wirtschaftlichen und strategischen Interessen in der Türkei verfolgt, wie es der Fall war, als der Völkermord an den Armeniern während des Ersten Weltkriegs stattfand und die deutsche Regierung aus ähnlichen Gründen nicht eingriff...Sie haben die Ergebnisse der inakzeptablen Aktionen der Türkei gegen Zypern vor Augen und trotzdem zögern Sie, zu reagieren und irgendeine echte Anstrengung zu unternehmen, um Herrn Erdogan zu stoppen. Es ist an der Zeit, die Türkei daran zu hindern, einen weiteren Völkermord wie den an den Armeniern zu begehen... die nationale Säuberung des zypriotischen Volkes aus den besetzten Gebieten, die Ausrottung der Kurden... um nur einige von vielen Fällen zu nennen.

Brief an EU-Staats- und Regierungschefs

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Links in diesem Artikel:
[1] https://www.bpb.de/politik/hintergrund-aktuell/210919/unabhaengigkeit-zyperns
[2] https://www.springer.com/de/book/9783658311919
[3] https://de.wikipedia.org/wiki/EOKA
[4] https://de.wikipedia.org/wiki/Pogrom_von_Istanbul
[5] https://de.wikipedia.org/wiki/Londoner_Garantievertrag_1959
[6] https://de.wikipedia.org/wiki/Zypernkonflikt#Entwicklung_zwischen_1960_und_1974
[7] https://de.wikipedia.org/wiki/T%C3%BCrkische_Republik_Nordzypern
[8] https://www.wikizero.com/de/Akrotiri_und_Dekelia
[9] https://www.bpb.de/apuz/32118/die-verhandlungen-zur-wiedervereinigung-zyperns-1974-2008
[10] https://de.wikipedia.org/wiki/Parlamentswahl_in_der_T%C3%BCrkei_2002
[11] https://www.wikizero.com/de/Annan-Plan
[12] https://www.wikizero.com/de/Morfou
[13] https://www.nzz.ch/international/historische-zypern-gespraeche-fuenf-fragen-zur-geteilten-insel-ld.139380
[14] https://www.dw.com/de/zypern-verhandlungen-die-fronten-sind-verh%C3%A4rtet/a-57354390
[15] https://www.fr.de/politik/erdogan-nordzypern-tuerkei-provokation-erdgas-tatar-akinci-90067848.html
[16] https://www.tagesschau.de/ausland/varosha-zypern-strand-101.html
[17] https://www.fr.de/politik/erdogan-nordzypern-tuerkei-provokation-erdgas-tatar-akinci-90067848.html
[18] https://www.derstandard.de/story/2000126256375/un-mit-loesungsversuch-des-zypern-konflikts-erneut-gescheitert
[19] https://www.heise.de/tp/features/Tuerkisierung-und-Islamisierung-in-Nordsyrien-5068849.html?seite=all
[20] https://www.rnd.de/politik/zypern-verhandlungen-erneut-gescheitert-un-generalsekretar-will-nicht-aufgeben-HTNKYC62XJAK7JIQIUYSVL7QNI.html
[21] https://cyprus-mail.com/2021/04/29/long-day-in-geneva-little-sign-of-progress/?fbclid=IwAR2hyLMlrZi54of5L7B-khhJ4hzwwYkjdVbtm9gr1vLA6i0tf9AksXOzMFE
[22] https://nex24.news/2021/04/tuerkei-verurteilt-verbot-von-korankursen-in-nordzypern/?fbclid=IwAR1SMbLi36ea3dKsIdFGTxma-JUytHLV8TbOi3pT76lkFd1OSVFgPRONmF4
[23] https://greekreporter.com/2021/04/14/erdogan-threats-cast-shadow-over-greece-turkey-meeting/?fbclid=IwAR1-U2kGOvPK66wk3cxPPjBEy30pnOFCNx6AjgZq3qLHqjHsoeTZwpwOAKY
[24] https://cypriumnews.com/2021/04/19/n-cyprus-going-to-geneva-with-stronger-hand/?fbclid=IwAR1U9lK0jTNGCfpET6t9WpJFAy682iLeE6ELricKfTG9SEogoFnK4gADZsY