Keine zwei Jahre her: Als Polizeigewalt in Deutschland niemanden störte

Polizeigewalt 2023, 2021: einmal Skandal, einmal egal.

Themen des Tages: Hausverkauf durch Wärmepumpen-Zwang? Precht: Sexist oder Realist? Und: Wen die Polizei ohne weitere Kritik misshandeln darf – und wen nicht.

Liebe Leserinnen und Leser,

1. Letzte Generation: auf dem Holzweg oder auf der Siegstrecke?

2. Treibt der Staat Eigenheimbesitzer in die Pleite?

3. Und auf Seite 2 lesen Sie: Warum die Debatte über Polizeigewalt unehrlich ist.

Doch der Reihe nach.

Zivile Generation und letzter Ungehorsam

Die friedlichen Sitzblockaden der Klimaprotestgruppe "Letzte Generation" würden immer wieder heftig kritisiert, schreibt Telepolis-Redakteur David Goeßmann Ihnen werde vorgeworfen, die Gesellschaft zu terrorisieren, illegal zu handeln, den Autoverkehr willkürlich zu stören und die Falschen zu treffen, Rettungskräfte zu behindern, die Bevölkerung zu spalten, während die Aktionen keinen Effekt auf die Politik hätten, sondern Bürger:innen von Klimaschutz entfremden würden.

Was in der Debatte, in der Fragen der Legitimität, Legalität und Effektivität oft wild und unrechtmäßig vermischt werden, dabei fast nie auftaucht, ist die zentrale Rolle, die ziviler Ungehorsam für geschichtlichen Fortschritt bis heute gespielt hat – und auch in der Klimakrise spielen muss.

David Goeßmann

Wärmepumpen und Business

Bis 2045 soll Deutschland klimaneutral sein, so Telepolis-Autor Bernd Müller: "Für Hausbesitzer bedeutet diese Vorgabe, dass sie in absehbarer Zeit ihre Öl- und Gasheizungen ausbauen müssen." Auf die Hersteller von Wärmepumpen warteten dagegen lohnende Geschäfte.

"Die guten Aussichten bestehen für die Branche nicht nur in Deutschland, sondern in ganz Europa", so Müller weiter: Etwa 70 Prozent der Häuser könnten voraussichtlich ohne größeren Umbau mit Wärmepumpen beheizt werden, habe kürzlich der Chef des Heizungsherstellers Vaillant, Norbert Schiedeck, gegenüber der Rheinischen Post ausgeführt. Müller weiter:

Je nach energetischem Zustand der Gebäude könnte die notwendige Sanierung vom Austausch weniger Heizkörper reichen bis hin zur Gebäudedämmung, so Schiedeck. Für einen Teil der Häuser werde aber auch dann die Wärmepumpe nicht ausreichen.

Philosoph und Außenministerin

Richard David Precht habe durchaus kein gutes Haar an Annalena Baerbock gelassen, gesteht Telepolis-Redakteurin Claudia Wangerin ein. "Was für ein Unfall, dass diese Frau Außenministerin geworden ist. Die hätte doch unter normalen Bedingungen im Auswärtigen Amt nicht mal 'nen Praktikum gekriegt", zitiert sie Precht aus dem ZDF-Podcast Lanz & Precht. In China habe die Grünen-Politikerin versucht, mit der "moralischen Inbrunst einer Klassensprecherin" westliche Werte zu erklären.

Dass er von einem "Unfall" ausgeht, ist bedauerlich, denn sonst könnte zumindest "Klassensprecherin" eine treffende Analyse sein: Wer wie Annalena Baerbock für das "Young Global Leaders Forum" des Weltwirtschaftsforums ausgewählt wurde, spricht in der Regel tatsächlich für eine Klasse.

Claudia Wangerin

Polizeigewalt: Einmal akzeptiert, einmal skandalisiert

Die Aktivistengruppe "Letzte Generation" hat der deutschen Polizei indirekt Folter vorgeworfen. Über einen auf Video dokumentierten Fall in Berlin hatte auch Telepolis berichtet. Beim Auflösen von Straßenblockaden setzten die Beamten immer wieder sogenannte Schmerzgriffe ein, beklagten die Aktivisten nun auch unabhängig von Einzelfall in Berlin.

"Die Polizei in Deutschland, vor allem die Polizei Hamburg, setzt sogenannte Schmerzgriffe gegen friedliche Menschen ein, um sie zu etwas zu zwingen oder sie abzuschrecken. Das ist nicht mit dem Folterverbot der UN vereinbar", schrieben Klimaaktivisten am Donnerstag auf Twitter.

Video und Behauptung hatte einen erstaunlichen medialen Impact dafür, dass es sich nur um ein Video und eine Behauptung handelte, die zudem rechtlich umstritten ist. Denn die Letzte Generation könnte sich ja nicht nur auf die Antifolterkonvention berufen, sondern die Sonderberichterstatterin der Vereinten Nationen zum Thema Folter einschalten, die Australierin Alice Jill Edwards.

Das ist schon einmal geschehen – und es ist gar nicht so lange her. Vor gut eineinhalb Jahren hatte sich Edwards Vorgänger, der Schweizer Nils Melzer, nach heftigen Polizeiübergriffen auf Corona-Maßnahmenkritiker zu Wort gemeldet.

In seiner Eingabe verwies er damals auf Informationen, die er im Zusammenhang mit mehreren Fällen übermäßiger Gewaltanwendung durch Polizisten "unter offensichtlicher Verletzung der Grundsätze der Notwendigkeit und Verhältnismäßigkeit bei Kundgebungen gegen die staatlichen Coronamaßnahmen in Berlin am 1. August 2021 und in Dresden am 19. April 2021" erhalten habe. Die spätere Antwort der Bundesregierung fiel ausweichend aus, Medien juckte die Beschwerde des UN-Sonderberichterstatters kaum.

Mehr noch. Der Redakteur der Süddeutschen Zeitung, Ronen Steinke, schrieb nach der offiziellen Eingabe Melzers an die Bundesregierung, der Schweizer Jurist setze sich "für Opfer staatlicher Gewalt ein, und besonders für Julian Assange". Jedoch mehrten sich die Hinweise, "dass er dabei zu weit geht", so Steinke und sein Ko-Autor Thomas Kirchner damals.

Wie ein Vertreter der Vereinten Nationen bei seinem Einsatz für Opfer staatlicher Gewalt "zu weit gehen" kann und ob bei der Kritik an staatlicher Gewalt Grenzen geboten sind, beantwortete der Artikel kaum. Stattdessen raunte es in dem Text, Melzer habe "auf Twitter viele zweifelhafte Kontakte" und sei "auch bei RT, dem staatlich finanzierten russischen Propagandasender, (…) regelmäßig zu Gast, als profilierter Kämpfer für den inhaftierten australischen Whistleblower Julian Assange. Wenn man sich bei ihm meldet, ruft er blitzschnell zurück, auch spät abends."

Weitaus gnädiger war Steinke nun nach den Vorwürfen der Klimaaktivisten. "Blockieren Demonstranten den Verkehr, dürfen Polizisten sie von der Straße räumen, wenn nötig mit Zwang. Aber wo liegt die Schmerzgrenze – auch gesetzlich?", fragt Steinke nun nachrichtlich-langweilig.

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