Kellogg-Plan in Umsetzung? Trump und Putin am Telefon, EU im Abseits
Was wird zwischen Washington und Moskau verhandelt werden?
(Bild: Valokuva24/Shutterstock.com)
Trump und Putin telefonieren über den Ukraine-Krieg, in Europa schrillen die Alarmglocken. Welche Einblicke der Kellogg-Plan in die Zukunft gibt. Eine Analyse.
Innerhalb von 24 Stunden wollte der US-Präsident als Wahlkampfversprechen den festgefahrenen Krieg in der Ukraine durch ein Telefonat mit seinem russischen Amtskollegen beenden. Zumindest den zweiten Teil seines größten geopolitischen Versprechens an die Welt und die Wähler hat Donald Trump in diesen Tagen eingelöst. Was wird nun als nächstes passieren?
Wie die Tagesschau berichtete und der Kreml bestätigte haben er und Wladimir Putin explizit über ein Ende des Konflikts telefoniert.
Verhandlungen zwischen der Ukraine, den USA und Russland sollen umgehend, aber ohne konkreten Zeitplan beginnen. Nach Angaben der US-Regierung handelte es sich um ein "langes und sehr produktives Telefonat".
Was in diesem Zusammenhang "lang" in zeitlicher Hinsicht (es soll über eine Stunde gedauert haben) und "produktiv" in Bezug auf die verschiedenen inhaltlichen Streitpunkte genau bedeutet, darüber hüllen sich beide Verhandlungsseiten noch in Schweigen.
Das war zu erwarten, zu tief sind die Gräben und offenen Fragen seit dem 24. Februar 2022.
Diplomatie zweier Großmächte
Überraschend sind dagegen zwei Randbemerkungen: Wie die ARD berichtet, waren an dem Telefonat Außenminister Marco Rubio (ein US-Falke, der vor allem für den lateinamerikanischen "Hinterhof" der USA bekannt ist), der Nahost-Sondergesandte Steve Witkoff (er verfügt über Expertise, war zuvor maßgeblich am aktuellen Waffenstillstand zwischen Hamas und Israel beteiligt), CIA-Chef John Ratcliffe und schließlich der Nationale Sicherheitsberater Mike Waltz beteiligt.
Spannend ist, dass eine Personalie fehlte: der US-Sondergesandte für die Ukraine, Ex-General Keith Kellogg, der zuvor mit weitreichenden, publizistischen Vorschlägen zur Lösung des Krieges in Erscheinung getreten war.
Und vor allem: Die Ukraine war nur am Rande beteiligt. Wie der britische Telegraph schockiert feststellen musste, ist die Ukraine nicht Teil der direkten Verhandlungen, obwohl sie zweifellos Gegenstand ist.
In der Diktion Trumps, die den Vorstellungen der russischen Eliten entsprechen dürfte, hat das staatliche Leichtgewicht Ukraine keinen Platz am Katzentisch der "Supermacht"-Staaten. Eine deutliche Aufwertung der russischen Position, in der diskreten Welt der Diplomatie gilt ein direkter Kontakt – scheinbar auf Augenhöhe – als deutliche Nivellierung der US-Position.
Vor allem in der EU, allen voran in Deutschland, löste dies medialen Wirbel und schlimmste Befürchtungen aus.
Schnappatmung im Westen
Der Anruf kam für Europa zur Unzeit. Mit der Bundestagswahl stehen unruhige politische Zeiten bevor: Der Ukraine-Konflikt war zumindest in der politischen Tiefenanalyse das Thema der Ampel-Koalition, überschattet die Lebens- und Arbeitsbedingungen der deutschen Lohnabhängigen und ist mittelfristig ein Grund für das Scheitern der Koalition.
Zudem fand das Telefonat nur wenige Stunden vor der mit Spannung erwarteten Münchner Sicherheitskonferenz (MSC) statt, die das maßgebliche Produkt außenpolitischer Repräsentation der Bundesrepublik Deutschland in der Welt ist.
Im Münchner Nobelhotel, umgeben von hohen Sicherheitsvorkehrungen, sollen weltpolitische Weichen gestellt werden: der Globale Süden, Xi Jinping oder die BRICS-Staaten, aber auch Donald Trump glänzen durch Abwesenheit.
Bemerkenswert ist, dass die westdeutschen Erwartungen an die MSC ganz andere waren: Wie Noch-MSC-Vorsitzender Heusgen mitteilte, erwartete man auf der MSC die "Konturen" eines Ukraine-Friedensplans, vorgestellt von J.D. Vance.
Aber wie sollte der aussehen? Russland und seine Vertreter waren zum vierten Mal in Folge nicht eingeladen. Wolodomir Selenskyj und Keith Kellogg sollten die Neuheit verkünden. Diese naive Hoffnung war schon vor Konferenzbeginn jedem Beobachter zu wider. Zu unterschiedlich waren die Vorstellungen über die Maximalforderungen des ukrainischen Präsidenten und des US-Gesandten.
Desaster, Diktatfrieden und eine neue Dimension
Entsprechend war die mediale Reaktion im bundesdeutschen Blätterwald: Der Deutschlandfunk ließ die Militärexpertin Claudia Major verkünden, dass Waffenstillstand und Frieden zwei Paar Schuhe seien und "Frieden" derzeit nicht in Sicht sei.
Im ZDF erklärte Heusgen, das Telefonat sei ein "Weckruf" an Europa – es klingt wie eine Drohung an Kreml und Weißes Haus. Unabhängig vom US-Imperium müsse Deutschland nun eigenständig für seine Sicherheit sorgen. Deutliche Töne unter "transatlantischen Freunden".
Kritik kam aus allen politischen Lagern: "Desaster für die Ukraine" (Kiesewetter, CDU), "kein Diktatfrieden" (Scholz, SPD), "so macht man keine Außenpolitik" (Baerbock, Grüne).
Der außenpolitische Sprecher der SPD, Nils Schmid, traf den Nagel auf den Kopf, als er Trump als "schlechten" Verhandler einstufte. Der vorzeitige Verzicht auf Territorium und Nato-Mitgliedschaft, die zentralen Forderungen Kiews, schwäche die Position der Ukraine.
Die Frage blieb offen, wessen Position? Es ist die Position der deutschen Geostrategen: Frieden liegt nach wie vor nicht in ihrem Interesse.
Es geht um die Ausweitung der wirtschaftlichen Interessensphären an oder auf russisches Territorium. Ein Friedensschluss in der Ukraine würde die deutsch-europäischen Bemühungen um einen Regimewechsel von Kiew nach Moskau um Jahrzehnte zurückwerfen.
Anders die Position des US-Establishments: Infolge der relativen Schwäche der US-Ökonomie (insbesondere im Vergleich zu den "Boom-Staaten" China und Indien) verschiebt sich der Fokus nach Asien (Obama: pivot to asia).
Dafür braucht das an seine Grenzen gestoßene US-System Ruhe an anderen Fronten, weniger Geldausgaben auf dem "Schlachtfeld Ukraine" und eine geopolitische Fokussierung auf China. An diesen Realitäten wird sich auch die deutsche Politik orientieren müssen.
Hintergrund: Kellogg-Plan
Bereits im April 2024 hatte der ehemalige Generalleutnant der US-Armee und designierte Sonderberater für die Ukraine, Keith Kellogg, einen Vorschlag für eine mögliche Lösung des Ukraine-Konflikts veröffentlicht.
Dieser enthält für alle, die ihn kennen, eine ungefähre Blaupause für das heutige Handeln des US-Präsidenten. Die Ansagen kommen von einem Profi, der heute 80-Jährige war im ersten Kabinett Trump Nationaler Sicherheitsberater. Der Irak- und Vietnam-Veteran kennt sich aus im Geschäft mit dem Töten.
Der Plan sieht vor, dass in einem ersten Schritt der Gesprächskanal nach Moskau wieder geöffnet werden soll. Gesagt, getan, Telefonat mit Putin. Es handelt sich zudem um einen stufenweisen Aufbau, mit diversen Hürden. Der erste Schritt soll ein Waffenstillstand auf Basis der dann eingefrorenen Frontverläufe sein.
Im zweiten Schritt soll es Friedensverhandlungen geben, die laut Medienberichten derzeit bemerkenswerterweise in Riad stattfinden sollen. Ausgerechnet Riad: Nach den Ankündigungen von Davos hatte das Herrscherhaus der Al-Saud Donald Trump eine Senkung des Ölpreises verweigert.
Kern des Papiers sind aber drei weitere Elemente: kein Nato-Beitritt der Ukraine (zur EU-Mitgliedschaft findet sich die Aussage eines Beitritts ab 2030), Waffenlieferungen nur unter der Prämisse der Verhandlungsbereitschaft und eine deutliche, wenn auch schrittweise Lockerung der Sanktionen gegen Russland.
Analyse und Ausblick
Donald Trump will seinen Worten jetzt offenbar auch Taten folgen lassen. Entgegen ersten Vermutungen scheint Moskau, auch nach dem ersten Debakel der von London verhinderten Friedensverhandlungen, kompromissbereit.
Deutschland, die EU und Frankreich sehen sich als Anrainerstaaten zu Zaungästen degradiert, deren geopolitische Konzepte und Träume zerplatzen. Der deutsche Ruf nach mehr Autonomie und der Abkehr von den USA dürfte jedoch kein friedensstiftender Faktor sein.
Der Kellogg-Plan, auf dem er vermutlich beruht, hat deutliche Schwächen: Erstens ist die zeitliche Achse einer Nicht-Nato-Mitgliedschaft der Ukraine im Dokument nicht definiert – Moskau wird eine konkrete Aussage einfordern.
Der Köder der Sanktionslockerungen funktioniert nur dann voll, wenn auch die "europäischen" Partner zustimmen. Die Ukraine muss, in welcher Form auch immer, in die Verhandlungen eingebunden werden, sonst bleibt die Einhaltung des Waffenstillstands ein Wunschtraum. Trump aktuell und Kellogg 2024 lassen territorial-politisch-rechtliche Streitfragen fast völlig offen.
Das Telefonat ist ein erster Schritt, kann der Beginn einer neuen Zeitenwende sein – hat aber ein Dutzend Menetekel.