Klassenkampf mit Jens Spahn

Er scheut die "Höhle des Löwen" nicht, aber wenn er gefragt wird, hat notfalls der Hund seine Hausaufgaben gefressen: Bundesgesundheitsminister Jens Spahn (CDU). Foto: Martin Kraft / CC-BY-SA-4.0

Der Gesundheitsminister mit CDU-Parteibuch sprach heute vor protestierenden Pflegekräften - und warb dafür, die Gewerkschaft ver.di zu stärken, weil er nicht immer schuld sein will

Hat Bundesgesundheitsminister Jens Spahn heute etwa indirekt zum Arbeitskampf aufgerufen? Jedenfalls warf der CDU-Politiker der Gewerkschaft ver.di an diesem Mittwoch in München vor, sie brauche nur deshalb staatliche Regelungen zu Mindestlöhnen und Personaluntergrenzen im Pflegebereich, weil sie in Tarifkämpfen nicht durchsetzungsfähig genug sei. Ver.di hatte anlässlich der digitalen Gesundheitsministerkonferenz Protestkundgebungen vor den Ministerien der Länder organisiert - und Spahn in München Gelegenheit gegeben, auf der Bühne selbst zu den Vorwürfen Stellung zu nehmen.

Die Corona-Pandemie habe "wie unter einem Brennglas gezeigt" wo das Gesundheitssystem stark sei, wo die Probleme lägen und welche von der Bundesregierung bereits "angegangen" worden seien, sagte Spahn. Letzteres löste im Publikum Gelächter aus. Dann zählte der gelernte Bankkaufmann und Politologe seine mutmaßlichen Verdienste als Gesundheitsminister auf und betonte, der Pflegebereich sei bereits aus dem viel kritisierten Fallpauschalensystem herausgenommen worden.

Stellenabbau im Logistik- und Servicebereich

Allerdings wird dafür in anderen Bereichen gespart - bis hin zu Stellenstreichungen. Das hatte zuvor der Betriebsratsvorsitzende des Sana-Klinikums Offenbach, Holger Renke, im ver.di-Livestream deutlich gemacht. Rund 1.000 Jobs im Logistik- und Servicebereich will eine Tochtergesellschaft der Sana Kliniken abbauen. Er habe nicht gedacht dass er im letzten Jahr seiner Amtszeit "noch eine solche Unverschämtheit" erleben müsse, so der Betriebsrat. Betroffen sind Beschäftigte im Hol- und Bringdienst, Patientenbegleitdienst und Stationshilfsdienst, die seit der Ausgliederung für die Tochterfirma DGS pro.service GmbH schon "wirklich billig" gearbeitet hätten, so Renke. Einige nur für 11,83 pro Stunde.

Auf dieses Beispiel verwies auch Sylvia Bühler, die den ver.di-Fachbereich Gesundheit, Soziale Dienste, Wohlfahrt und Kirchen leitet, in ihrer Erwiderung auf Spahns Rede. "Deshalb wollen wir eine Gesundheitspolitik aus einem Guss", sagte Bühler und forderte die generelle Abschaffung des Fallpauschalensystems. "Unser Gesundheitwesen ist immer noch ausgerichtet auf Profitmaximierung und wirtschaftlichen Wettbewerb - und das ist ein Grundübel", betonte sie. Anstelle einer bedarfsgerechten Personalbemessung würden als Notbehelf gedachte Personaluntergrenzen als "neue Norm" verstanden. Außerdem würden sich die kirchlichen Träger Caritas und Diakonie, für die das weltliche Arbeitsrecht nicht uneingeschränkt gilt, gegen die Ausweitung von Tarifverträgen wehren.

Spahn beklagte unter erbosten Zwischenrufen den noch ausbaufähigen Organisierungsgrad von ver.di und erweckte schließlich den Eindruck, als würde er tatsächlich eine Stärkung der Gewerkschaft begrüßen, nur um nicht mehr für den Mangel an gesetzlichen Regelungen verantwortlich gemacht zu werden. "Ich hätte nie gedacht, dass ich mal dazu aufrufe ver.di-Mitglied zu werden", betonte Spahn. Er verwies auf den immerhin in seiner Amtszeit beschlossenen Pflegemindestlohn von 15 Euro pro Stunde für dreijährig ausgebildete Fachkräfte - für ungelernte Kräfte beträgt er zur Zeit 11,35 Euro.

Zwangsmaßnahmen aus Zeitmangel in der Psychiatrie

Auf den ver.di-Protestkundgebungen in mehreren Städten spielte die Bezahlung aber zum Teil gar nicht die Hauptrolle. Mehrfach wurde auf eine Umfrage verwiesen, in der 78 Prozent der Pflegekräfte angegeben hatten, sie könnten sich wegen der Arbeitsverdichtung nicht vorstellen, diesen Job bis zur Rente auszuüben. In Stuttgart berichtete die Gewerkschafterin Sabine Witte über den Alltag der Beschäftigten in der Psychiatrie, wo offenbar auch die dünne Personaldecke zu Gewalt und Zwangsmaßnahmen führt. Wo keine Zeit für Gespräche, Kriseninterventionen und Deeskalation sei, werde zu Fixierungen und Zwangsmedikation gegriffen, räumte sie ein. Mit mehr Personal könne das in vielen Fällen vermieden werden, so Witte. Die Frage sei: "Welche Psychiatrie wollen wir?" Sie wolle "eine menschliche Psychiatrie" - keine "Verwahrpsychiatrie, in der Zwangsmaßnahmen das letzte Mittel sind".

Spahn betonte in München jedoch, eine bedarfsgerechte Personalausstattung sei nicht von heute auf morgen möglich. Wenn bereits ausgestiegene Pflegefachkräfte nicht in den Beruf zurückkehrten, könnten leider auch die Stellen nicht besetzt werden, so der Minister. "Wir sind in einer Spirale, die über viele Jahre in die falsche Richtung gegangen ist", gab er letztendlich zu. Bühler sprach vom verlorenen Vertrauen der Kolleginnen und Kollegen, dass sich in diesem Bereich etwas zum Guten ändere. Spahn wiederum erklärte, Vertrauen sei eben schneller weg, als es wieder aufzubauen sei - das sei in jeder Beziehung so. Es müsse nun gemeinsam wieder aufgebaut werden.