Klima-PR-Kampf mit ungleichen Budgets: strafbare Autobahnblockaden und legitime Positionen

Weniger Angst vor Strafverfahren als vor der Klimakatastrophe: Klima-Aktivisten auf deutschen Straßen. Foto: Essen Retten – Leben Retten

Die Atomlobby nimmt viel Geld in die Hand, um für ein Kernkraft-Comeback zu werben. Eine Hauptforderung der Klima-Aktivsten, die den Verkehr behindern, war vorher schon mehrheitsfähig

Der rechtsverdrehende PR-Spuk muss ein Ende haben. Der Rechtsstaat darf sich nicht länger auf der Nase herumtanzen lassen. Es handelt sich hier nicht um Ideen einer Handvoll Menschen, sondern um Versuche, mit massiver PR-Power an bestehendem Recht zu rütteln. Unsere Gesellschaft darf sich nicht erpressen lassen...

So in etwa könnte eine Verurteilung der massiven PR-Anstrengungen der Atomlobby aussehen – genauso wie die gängige Verurteilung der Autobahnblockaden der Gruppe Aufstand der letzten Generation.

Während die einen sechsstellige Beträge in PR-Agenturen investieren, um ein Revival der Atomenergie in die öffentliche Debatte zu drücken, noch dazu mit unbekannten Auftraggebern, katapultieren eine Handvoll Vertreterinnen der jungen Generation durch ihre Autobahnblockaden ihr Thema transparent in die Medien. Die einen gestalten die Demokratie mit gefüllten Kampfkassen, die anderen mit strafbaren Handlungen. Beide Protagonisten zielen darauf, dass sich Haltungen und Gesetze auf politischer Ebene verändern. Beides muss unsere Demokratie aushalten.

Populistisches Stammtischniveau

Einem Tabubruch und dem Ticket zum Ketzertum kommt in gewissen Kreisen schon der Vermittlungsversuch und die inhaltliche Beschäftigung mit den Forderungen gleich. Einheitlich ist die Ablehnung, sich mit den Inhalten derer zu beschäftigen, die Schaden von der Gesellschaft abwenden wollen, weil deren Stil nun so gar nicht gehe. Einheitlich ist der Debattenstil derjenigen, die der Gesellschaft mehr Risiken zumuten wollen und mit prall gefüllten PR-Kassen die Medien und damit die Politik beeinflussen.

Ja, es ist eine strafbare Handlung, wie der "Aufstand der letzten Generation" den Verkehr behindert. Die jungen Menschen riskieren, über längere Zeit vorbestraft zu sein, beruflich mit Einschränkungen kämpfen zu müssen, auf unbestimmte Zeit in Gefängnissen zu verweilen. Kriminell sind sie damit nicht, terroristisch noch weniger, wie es so manchem auf populistischem Stammtischniveau über die Lippen kommt.

Es ist fast unmöglich, Autofahrern zu vermitteln, warum man ihren Weg zur Arbeit blockiert und damit ein "Essen-Retten-Gesetz" fordert. Auch für mich ist dieser Zusammenhang ein großer Spagat.

Aber auch die "Corona-Spaziergänge" gewisser Kreise gehören in die Kategorie Verletzung des Versammlungsrechts, auch diese Massenaufläufe legen regelmäßig den Berufsverkehr, Busse und Bahnen lahm, auch sie demonstrieren regelmäßig für ihre politische Haltung. Nur scheinen ihre Inhalte zunächst näher am politischen Mainstream zu sein und werden reflexiv aufgegriffen. Der "Letzten Generation" gelingt das noch nicht, auch wenn zunehmend mehr Medienvertreter und erste Politiker sich mit den Inhalten auseinandersetzen.

Es stellt sich damit die Frage der Legitimität. Gerichte werden später entscheiden, inwieweit diese Blockaden legitim sind und wie das Strafmaß ausfallen wird, falls sie als rechtswidrig gewertet werden. Das höchste deutsche Gericht, das Bundesverfassungsgericht, hat klar gesagt, dass zur Sicherung der Freiheitsrechte zukünftiger Generationen das CO2-Restbudget heute nicht über Gebühr genutzt werden darf – das ist eine der Argumentationslinien der Letzten Generation.

Dieser gut begründbare Zusammenhang wird in der Diskussion über die Autobahnblockaden bislang wenig aufgegriffen. Daraus erklärt sich die drastische Wahl ihrer Mittel – und deshalb fällt es vielen leicht, die Letzte Generation zu verurteilen.

Erinnern wir uns an die 1980er- und 1990er-Jahre, als Greenpeace mit spektakulären Aktionen dafür sorgte, dass die Politik sich bemüßigt fühlte, für saubere Flüsse und Luft zu sorgen? Dass einer der ersten Umweltpolitiker der Republik ein CDU-Parteibuch hatte, dass Klaus Töpfer als Umweltminister all diese Reflexe damals aufnahm und für die heutige Umweltgesetzgebung sorgte?

Dass die von mir angestoßenen Blockaden auf dem Ku‘damm mit zum Strafrechtsparagraphen 315d gegen illegale Autorennen führten, dass meine Aktionen dazu beitrugen, den Bußgeldkatalog zu reformieren oder der von mir angeschobene Volksentscheid Fahrrad für Deutschlands erstes Radverkehrs- und Mobilitätsgesetz sowie entsprechende Mahnwachen zu Dutzenden weiteren legalen Bürgerbegehren in der Republik führten? Möchte das jemand missen?

Folgenreiche Lebensmittelverschwendung

Zurück zu dem Kernthema der Protestierenden, dem Umgang mit Lebensmitteln. Zutiefst konservativ ist die Einstellung des Bewahrens und des Respekts vor der Schöpfung. 18 Millionen Tonnen Lebensmittel pro Jahr gehen in Deutschland in die Tonne, gut 200 Kilogramm pro Jahr und Einwohner, unter anderem auch Fleisch, mit einem großen ökologischen und klimatischen "Rucksack".

Erst am Wochenende – und erstmals überhaupt – sah ich im Gewerbekeller unterm Bio-Gemüseladen Berge weggeschmissener Lebensmittel. Davon zu nehmen wäre strafbar, aber es ist auch kein Zustand, dass dies so weiter bleibt. (Das mit dem Bio-Gemüseladen nehme ich persönlich und werden mich darum kümmern.)

2019 habe ich die Klima-Organisation GermanZero gegründet, um den gesetzlichen Rahmen auszuarbeiten, damit Deutschland das völkerrechtlich verbindliche, zu 100 Prozent einstimmig im Bundestag ratifizierte und vom Bundesverfassungsgericht nochmals bekräftigte 1,5-Grad-Limit mit für die menschengemachte Erderwärmung einzuhalten.

GermanZero hat unter anderem für den Bereich Lebensmittel mit vielen Experten und Beteiligten aus Verbänden, Wirtschaft und NGOs wenige Anpassungen für das Kreislaufwirtschaftsgesetz erarbeitet, die sich auf die Paragraphen 3, 7 und 13 beziehen.

Respekt vor den Bauern und der Schöpfung

Die hier vorgeschlagenen Maßnahmen hören sich auch für konservative Ohren sinnvoll an: Lebensmittel weiterverarbeiten oder an Wohltätigkeitsorganisationen spenden, statt Supermärkten zu erlauben, diese wegzuwerfen; Supermärkte vor Haftungsrisiken beim redlichen Spenden zu schützen, die Regelungen zum Mindesthaltbarkeitsdatum auf den Prüfstand zu stellen und Produktanforderungen für Obst und Gemüse zu reformieren, damit nicht ein Drittel des angebauten Obsts und Gemüses vernichtet werden, weil es zu krumm oder nicht krumm genug ist.

Es gehört zum Respekt vor den Bauern, vor deren redlicher Arbeit, vor der Schöpfung, dass wir mit Lebensmitteln anständiger umgehen. Was ist so schlimm daran, darüber zu diskutieren, über nicht einmal drei klitzekleine Paragraphen? So leicht wie uns das Atomthema mit weit größeren Gefahren über die Lippen kommt, sollten wir uns nicht auf Nebenkriegsschauplätze wie den Erpressungsvorwurf begeben, denn selbstverständlich müssen die Beteiligten von Autobahnblockaden mit Strafverfahren und Verurteilungen rechnen.

Meinungsbild: inhaltlich große Zustimmung, Methode mehrheitlich abgelehnt

Laut einer Umfrage des MDR im vergangenen Jahr sind übrigens 96 Prozent der Meinung, dass in Deutschland zu viel Essen in der Tonne landet – also weit mehr, als sich laut einer aktuellen Umfrage über strafrechtlich relevante Autobahnblockaden entrüsten. 66 Prozent der Befragten stehen dieser Protestform eindeutig oder "eher" ablehnend gegenüber, 30 Prozent halten sie eindeutig oder "eher" für legitim; vier Prozent zeigten sich unentschieden.

Eine große Mehrheit gegen die ausufernde Lebensmittelverschwendung dürfte es bei 96 Prozent in der Gesamtbevölkerung allerdings auch unter den Wählern der Unionsparteien geben – ein Aspekt, den diese vor den anstehenden Landtagswahlen berücksichtigen sollten.

Die Legitimität für die politischen Forderungen ist damit geklärt – und ein Stück weit sind es auch die Gründe der Politikverdrossenheit. Vielleicht könnte die Politik diesen Wunsch der Wählerinnen und Wähler aufgreifen, damit es ein Ende dieser Blockaden gibt? Ich würde es allen Auto- und Lkw-Fahrern wünschen – und diese sich vermutlich auch!

Heinrich Strößenreuther ist Klimalobbyist und Spindoctor, Mitgründer Volksentscheid Fahrrad, Changing Cities, GermanZero und KlimaUnion

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