Klima außer Rand und Band: Nach dem Rekord ist vor dem Rekord

Die Daten sind besorgniserregend. Quelle: Copernicus-Klimaprogramm der EU

Der letzte Monat war global mit großem Abstand der wärmste je beobachtete September. Wissenschaftler sind besorgt. Welche Höchstwerte sonst noch übertroffen werden.

Der zurückliegende September war nicht nur in Deutschland, wie berichtet, sondern auch im Weltmaßstab der wärmste je registrierte September. Wie eine Grafik des Copernicus-Klimaprogramms der EU zeigt, lag er mit außergewöhnlich großem Abstand über den bisherigen Rekordhaltern. Es hat fast den Anschein, als habe die Temperatur einen regelrechten Satz gemacht.

Schon der Juni hatte einen neuen Rekord aufgestellt und im Juli und im August lag die globale Durchschnittstemperatur ähnlich weit über den bisherigen Rekorden wie jetzt im September. Eine Darstellung des japanische Wetterdienstes zeigt diese Sprünge recht anschaulich. Dort ist auch zu sehen, dass es seit mindestens 1890 keinen derartigen Sprung gab.

Die Copernicus-Daten reichen hingegen nur bis 1940 zurück. Sie sind aus den aufgearbeiteten Wetterbeobachtungen extrahiert, die in das Vorhersagemodell des Europäischen Zentrums für mittelfristige Wettervorhersagen eingespeist werden.

16,38 Grad betrug die über den ganzen Monat und von Pol zu Pol gemittelte Temperatur nach Copernicus-Angaben. Das waren 0,93 Grad Celsius mehr als der Durchschnitt der Jahre 1991 bis 2020, die bereits deutlich von der globalen Erwärmung geprägt waren.

Aus den vom Goddard Insitut der NASA in New York aufbereiteten Klimadaten ergibt sich, dass die September in diesen drei Jahrzehnten im planetaren Mittel um rund 0,79 Grad wärmer als in den drei Jahrzehnten von 1880 bis 1909 waren, oder mit anderen Worten: Der September 2023 hat erstmalig deutlich mehr als 1,5 Grad Celsius über dem vorindustriellen Niveau gelegen.

Dieser Wert war in der Pariser Klimaübereinkunft 2015 als der Wert genannt worden, der möglichst nicht überschritten werden sollte. Allerdings bezieht sich das auf den Durchschnitt über mehrere Jahre. Die von vielen Klimawissenschaftlern erwarteten dramatischen Folgen, wie Absterben der Korallenriffe, Versteppung des Amazonasbeckens, Destabilisierung der Eisschilde auf Grönland und in der Antarktis sowie anderes, werden erst eintreten, wenn die Temperaturen für längere Zeit diese Schwelle überschreiten.

2023 wird auch als Jahr einen neuen Rekord aufstellen

Doch der Trend ist eindeutig und es hat ganz den Anschein, als habe er sich gerade deutlich beschleunigt. Schon jetzt ist klar, dass 2023 auch als Jahr einen neuen Temperaturrekord aufstellen wird. Die bisherigen Rekordhalter 2016 und 2020 waren nach den oben verlinkten NASA-Daten um 1,26 Grad Celsius wärmer als der Durchschnitt der Jahre 1880 bis 1909.

Samantha Burgess, stellvertretende Direktorin des Copernicus Climate Change Service, sieht das laufende Jahr bereits in etwa bei 1,4 Grad Celsius über dem vorindustriellen Niveau:

Die im September – nach einem Rekordsommer – beobachteten, für diese Jahreszeit beispiellosen Temperaturen haben die Rekorde um ein Vielfaches übertroffen. Dieser extreme Monat hat dem Jahr 2023 die zweifelhafte Ehre des ersten Platzes eingebracht. Es ist auf dem besten Weg, das wärmste Jahr zu werden und rund 1,4 Grad Celsius über den vorindustriellen Durchschnittstemperaturen zu liegen. Zwei Monate vor der COP28 ist die Dringlichkeit ehrgeiziger Klimaschutzmaßnahmen so groß wie nie zuvor.


Samantha Burgess, Copernicus Climate Change Service

Mit COP28 ist die diesjährige UN-Klimakonferenz gemeint, die Ende November und Anfang Dezember in den Vereinigten Arabischen Emiraten tagen wird. Dort liegen die Tageshöchsttemperaturen seit Anfang Mai meist über 40 Grad Celsius, was auch für diesen Wüstenstaat nicht unbedingt normal ist.

An verschiedenen Messtationen lag dort die mittlere Tagestemperatur in den letzten zwölf Monaten um 1,26 bis 1,77 Grad Celsius über dem Mittelwert der Jahre 1991 bis 2020.

Das sind Temperaturen, bei denen es sich eigentlich nur in gekühlten Räumen aushalten lässt und der längere Aufenthalt im Freien während des Tages lebensgefährlich werden kann. Sicherlich einer der Gründe, weshalb so auffallend viele der rechtlos gehaltenen ausländischen Arbeiter auf den Baustellen des Ölstaates und der anderen arabischen Golfanrainer sterben.

Aber zurück zur globalen Temperatur: Die Wahrscheinlichkeit ist hoch, dass 2024 genauso warm wie 2023 oder gar noch etwas wärmer ausfallen wird. Seit dem Sommer ist das Klima weiter Teile des Planeten nämlich vom Wetterphänomen El Niño geprägt. Telepolis hatte darüber bereits berichtet.

Voraussichtlich noch bis ins Frühjahr 2024 hinein wird der tropische Pazifik ungewöhnlich warm sein, und in der Regel ist das Jahr, in dem ein El-Niño-Ereignis ausklingt, ein besonders warmes Jahr. So war es unter anderem 1998 und 2016.

Entwicklung wie seit vier Jahrzehnten vorhergesagt – nur schneller

Grund genug also, sich zu sorgen, wie es etwa der Generalsekretär der Weltorganisation für Meteorologie (WMO), Petteri Taalas, macht:

Seit Juni erlebt die Welt eine noch nie dagewesene Hitze an Land und im Meer. Die Temperaturanomalien sind enorm – viel größer als alles, was wir in der Vergangenheit je gesehen haben. Die antarktische Winter-Meereisausdehnung war die niedrigste, die jemals für diese Jahreszeit aufgezeichnet wurde. Besonders besorgniserregend ist, dass sich das wärmende El-Niño-Ereignis immer noch weiterentwickelt, so dass wir davon ausgehen können, dass diese rekordverdächtigen Temperaturen noch monatelang anhalten und kaskadenartigen Auswirkungen auf unsere Umwelt und Gesellschaft haben werden.


Petteri Taalas, WMO

Auch Stefan Rahmstorf vom Potsdam Institut für Klimafolgenforschung und Mitautor mehrerer IPCC-Berichte sorgt sich: "Wir verstehen die von den fossilen Brennstoffen verursachte globale Erwärmung", schreibt er auf Mastodon, dem dezentralen und unkommerziellen Konkurrenten der Plattform X, ehemals Twitter. "Seit vier Jahrzehnten schreitet sie wie vorhergesagt voran. Aber wir verstehen nicht diesen überraschenden Sprung nach oben, den wir gerade sehen, und das bereitet mir Sorgen."

Taalas kündigt unterdessen an, dass die WMO mit ihren Partnern sich an die Ursachenforschung machen wird. Sicher ist, dass diese Frage in nächster Zeit viele Klimawissenschaftler beschäftigen wird. Helge Gößling, Klimaphysiker am Alfred-Wegener-Institut für Polar- und Meeresforschung arbeitet, geht gegenüber Telepolis davon aus, dass "natürliche Schwankungen besonders stark zu den hohen Temperaturen beigetragen haben."

Die Erwartungen bezüglich der künftigen Erwärmung müssten sicherlich nach oben korrigiert werden, aber Anzeichen für positive Rückkoppelungen, durch die das Klimasystem eventuell in einen neuen Zustand eingetreten sein könnte, sieht er noch nicht. Auf jeden Fall "macht uns dieses Jahr deutlicher denn je, dass die globale Erwärmung schnell voran schreitet und es weiter tun wird, solange wir die Treibhausgasemissionen nicht schnell und stark reduzieren", so Gößling.

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