Kniefall am Ende des Regenbogens

Fußball-Fans gegen Homophobie, Street-Art in München. Foto: A. Naica-Loebell

Die Fußball-Europameisterschaft ist so politisch wie noch nie und die Spieler zeigen ihren Funktionären wie man klare Zeichen setzt, statt Worthülsen zu verbreiten. Kommentar

Wer das Achtelfinal-Spiel der Europameisterschaft England gegen Deutschland in Wembley gesehen hat, der sah nicht nur einen Fußballklassiker, sondern auch zwei Mannschaftskapitäne mit Regenbogen-Binden am Arm, und kurz vor dem Anpfiff 22 Spieler vereint auf dem Rasen kniend, um gemeinsam still gegen Rassismus zu protestieren. Ein eindrückliches Bild, eine kurze, aber klare politische Demonstration der Fußballspieler vor dem ganz großen internationalen Publikum.

Bundestrainer Joachim Löw kniete auch und erklärte vorab:

Natürlich stehen wir für diese Werte und finden es richtig, für diese Werte einzustehen. Die Mannschaft hat darüber diskutiert und besprochen, was zu tun ist. Sie werden den Kniefall machen, das ist ein starkes Zeichen.

Joachim Löw

Die Ufea, Autokraten und Equal Game

Die Euro 2020 findet quer durch Europa in Stadien verschiedener Stadien statt. Darunter Baku in Aserbaidschan, ein Land, das definitiv komplett außerhalb Europas liegt, und Sankt Petersburg. Die Uefa präsentiert als Veranstalter diese Städte als lohnende touristische Ziele.

Die Uefa bietet damit Autokraten wie dem russischen Präsidenten Wladimir Putin oder dem Staatspräsidenten von Aserbaidschan, Ilham Alijew, die große Bühne zur Selbstdarstellung. Sie schmücken sich mit den großen Sportveranstaltungen, werten sich auf und nicht zuletzt erscheinen sie dadurch einer breiten Öffentlichkeit zu Hause als respektable internationale Partner. Zudem enthält die Floskel "Sport schweißt die Nation zusammen" politisch einen wahren Kern.

Der Dachverband des europäischen Fußballs ist ja laut Selbstdefinition eine "politisch neutrale Organisation" und offensichtlich blind, wenn es um die Menschenrechtsverletzungen fragwürdiger Regime geht. Oder gibt es etwa noch andere Gründe für die Wahl der Austragungsorte?

Der russische Energiekonzern Gazprom unterstützt die Uefa seit Jahren finanziell, der aserbaidschanische Ölkonzern Socar (State Oil Company of Azerbaijan) war seit 2013 bis vor kurzem der größte Sponsor (UEFA beendet Partnerschaft mit umstrittenem Sponsor).

Ein Schelm, wer Böses dabei denkt. Die Uefa setzt sich selbstverständlich aktiv für "positiven sozialen Wandel" ein, die aktuelle Kampagne heißt "Equal Game" und hat zum Ziel "Menschen darauf aufmerksam zu machen, dass Fußball für alle da ist, unabhängig davon, wer sie sind, wo sie herkommen und wie sie spielen.

Rassismus, Homophobie, Sexismus und alle Formen von Diskriminierung sind ein Schandfleck für unsere Gesellschaft - und stellen heutzutage eines der größten Probleme im Fußball dar. Diskriminierendes Verhalten beschädigt nicht nur die Spiele selbst, sondern auch außerhalb der Stadien die Kommunikation im Netz rund um unseren geliebten Sport.

Uefa-Kampagne "Sign for an Equal Game"

Der Münchner Stadtrat, ein Brief und das Verbot

Die Ablehnung der Uefa das Münchner Stadion am 23.6. in Regenbogenfarben zu beleuchten, verursachte eine Menge öffentlichen Protests. Anlässlich des Verbots gab es sehr viel Berichterstattung (Politisches Fußballfieber: UEFA lehnt "Regenbogen-Arena" ab) - aber auch einige Missverständnisse und Trugschlüsse.

München wollte nicht einfach die Arena bunt beleuchten und ist gescheitert, weil die Stadt so dumm war, das offen als Protest gegen die ungarische Politik zu deklarieren. Es war genau umgekehrt. Stadträte fast aller Fraktionen (nur die AfD-Fraktion zog es vor, sich mit einem offenen Brief bei den ungarischen Exzellenzen anzubiedern) beschlossen sichtbar gegen die ungarische Politik zu protestieren:

Anlässlich des EM-Spiels Deutschland gegen Ungarn ist es der Landeshauptstadt München wichtig, ein sichtbares Zeichen der Solidarität mit der LGBTI Community in Ungarn zu setzen, die unter der aktuell verschärften homo- und transphoben Gesetzgebung der ungarischen Regierung zu leiden hat.

Flagge zeigen!.

Der Bitt-Brief des Oberbürgermeisters an die Uefa sollte den Verband zu einer Stellungnahme zwingen (die Ablehnung war ja für alle absehbar) und war nur eine unter anderen beschlossenen Aktionen. Mit Ansage ging es darum den "öffentlichkeitswirksamen Rahmen" als Austragungsort der Europameisterschaft aktiv zu nutzen. Was als kleines sichtbares Zeichen geplant war, entwickelte sich zu einer Welle enormer und andauernder Aufmerksamkeit. Die homophobe Politik (nicht nur) Ungarns und die Scheinheiligkeit der Uefa stehen nun mitten im Flutlicht.

Regenbogenleuchten

München beflaggte nicht nur das Rathaus mit Regenbogenfahnen, sondern ließ die Stadt am Spieltag an vielen Orten bunt leuchten. Zahlreiche andere Orte schlossen sich an, Stadien in ganz Deutschland strahlten solidarisch in bunten Farben.

Selbst der bayerische Ministerpräsident Markus Söder hisste an der Staatskanzlei die Regenbogenfahne (am Landtag hatte die CSU das abgelehnt) und twitterte als "klares Bekenntnis gegen Ausgrenzung und für Freiheit und Toleranz" ein Foto von sich von sich mit entsprechendem Mundschutz aus der Arena.

Empörung und viele Fähnchen im Stadion

Die Uefa staunte über die massive Empörung, die ihre Entscheidung in der Öffentlichkeit auslöste. Also entschloss sich der Fußballdachverband schnell zu reagieren und färbte noch am Tag des Spiels sein Logo überall in den sozialen Medien ein und verkündete: "Die UEFA ist stolz darauf, heute die Farben des Regenbogens zu tragen."

Ihre Entscheidung sei nicht politisch gewesen "im Gegenteil: Die Anfrage war politisch", und der Regenbogen sei "kein politisches Symbol, sondern ein Zeichen unseres festen Engagements für eine vielfältigere und integrativere Gesellschaft". Dafür gab es dann natürlich gleich den nächsten Shitstorm.

Viktor Orban sagte seine geplante Reise zum Spiel nach München ab und musste sich stattdessen ungewohnt scharfe Worte aus Brüssel anhören. Der ungarische Ministerpräsident, für den der Fußball machtpolitisch ein wichtiger "strategischer Sektor" ist, in den er viel Geld pumpt, ließ derweilen daheim einige Stadien in den Nationalfarben erleuchten.

Vor der Arena in München wurden mit Unterstützung des DFB von verschiedenen Organisationen mehr als 10.000 Regenbogenfähnchen an die Zuschauer verteilt.

Im Münchner Stadion gröhlten derweilen eine Stunde vor Anpfiff die Ungarn-Fans, darunter ein Nazi-Hooligan-Block, vor dem Spiel homophobe Parolen. Als deutsche Fußballfans dagegen protestierten, versuchten die ungarischen Hooligans den benachbarten Block zu stürmen - was Spezialeinsatzkräfte der Polizei erfolgreich verhinderten.