Können China und Russland eine Eskalation in Nahost verhindern helfen?

Seite 2: Komplexe Interessenlagen

Schwieriger ist das aber zu bewerkstelligen, weil sich zwischen Washington und Moskau ein immenses Misstrauen und eine Feindseligkeit aufgebaut haben, lange bevor die russische Invasion in der Ukraine die Beziehungen in den Abgrund stürzte. Angesichts der tiefen amerikanisch-russischen Feindschaft aufgrund des Ukraine-Kriegs ist die Versuchung für Russland natürlich groß, den USA Ärger zu bereiten und die internationale Wut über die israelischen Vergeltungsmaßnahmen im Gazastreifen auszunutzen, um seine Beziehungen zum Iran, zu den arabischen Staaten und dem weiteren Globalen Süden auf Kosten der Vereinigten Staaten zu stärken.

Glücklicherweise hat Moskau auch Gründe, angesichts einer Verschärfung des Konflikts in der Region besorgt zu sein. Seit dem Ende des Kalten Krieges bemüht sich Russland um gute Beziehungen zu Israel, einem wichtigen Wirtschaftspartner und der Wahlheimat von mehr als einer Million russischer Emigranten.

Es hat nicht reagiert, als Israel in den letzten Jahren Hisbollah-Kräfte oder syrische Ziele angegriffen hat, obwohl Russland eine Schlüsselrolle als Partner der Hisbollah und des Baath-Staates in Syrien spielt. Ein Krieg zwischen Israel und Iran würde die iranische Lieferung von Drohnen an Russland beenden, die im russischen Feldzug in der Ukraine eine wichtige Rolle spielen.

Vor allem aber ist Russland seit Langem besorgt über die Gefahren des sunnitisch-islamischen Terrorismus, von dem zahlreiche Anschläge in Russland ausgehen und der sich wahrscheinlich aus dem aufkeimenden Konflikt in Gaza speisen wird. Nach dem 11. September 2001 war man sich in Moskau der gemeinsamen Interessen mit den USA im Kampf gegen den Terrorismus sehr bewusst.

Diese Wahrnehmung einer gemeinsamen Bedrohung führte dazu, dass die westliche Politik in Libyen und Syrien in Russland nicht nur mit Wut, sondern auch mit Fassungslosigkeit aufgenommen wurde.

In Bezug auf die offensichtliche Gefahr des islamistischen Extremismus und des schrecklichen Beispiels des Irak-Kriegs konnten russische Analysten nicht verstehen, wie der Westen eine Politik verfolgte, die den libyschen und den syrischen Staat zerstörte (was im Falle Libyens auch geschah) und große Chancen für die Ausbreitung dschihadistischer Kräfte schuf.

Die Wiederherstellung einer zumindest begrenzten Kooperation mit Russland bei der Terrorismusbekämpfung ist sowohl ein Weg zu einer eventuellen umfassenderen Lösung als auch um ihrer selbst willen dringend notwendig, denn der gegenwärtige Konflikt wird die terroristische Bedrohung gegen den Westen mit Sicherheit erhöhen.

In Europa haben die Terroranschläge bereits begonnen. Die USA müssen auch die Gespräche mit Russland über die Zukunft Syriens wieder aufnehmen, denn die US-Strategie, das Baath-Regime zu stürzen, ist längst gescheitert.

Diese widersprüchlichen Aspekte in eine Zusammenarbeit mit Russland zu überführen, um die Eskalationsgefahren im Gazastreifen zu minimieren, wird keine leichte Aufgabe sein. Es wird erforderlich sein, einen prominenten Kommunikationskanal zwischen hochrangigen Vertretern der Biden-Administration und dem Kreml zu eröffnen, um die Krise zu erörtern, verbunden mit dem impliziten Signal, dass Washington bereit ist, auf einige konkrete russische Bedenken hinsichtlich der Rolle des US-Militärs in Syrien und der Notwendigkeit einer Wiederbelebung der israelisch-palästinensischen Diplomatie einzugehen.

Unsere Chancen auf eine Kooperation mit Russland würden sich verbessern, wenn die USA und China ernsthafte Gespräche über die Bewältigung der Gaza-Krise aufnehmen, denn Putin wird die internationale Bühne nicht an Beijing abtreten wollen.

Weder Russland noch China verfügen über genügend Druckmittel, um die Hisbollah daran zu hindern, eine Nordfront mit Israel zu eröffnen – und damit eine Kaskade weiterer Eskalationen auszulösen –, falls die israelischen Verteidigungskräfte eine umfassende Invasion des Gazastreifens starten.

Aber sie haben wahrscheinlich genügend Einfluss, um sicherzustellen, dass die Unterstützer der Hamas sich aus dem Konflikt heraushalten, wenn sie im Gegenzug ein gewisses Maß an israelischer Zurückhaltung erhalten. Das gilt insbesondere dann, wenn die Vereinigten Staaten bereit wären, erneute israelisch-palästinensische Verhandlungen zu unterstützen, Gespräche mit Moskau über Syrien aufzunehmen und die internationale Bühne bei der Bewältigung der Krise mit anderen zu teilen.

Demgegenüber wird der Widerstand gegen die US-Politik wachsen, wenn versucht wird, Chinas und Russlands Einmischung zu unterdrücken. Und wenn es etwas gibt, was Washington in dieser Krise nicht braucht, dann sind es noch mehr Parteien, die die Instabilität ausnutzen wollen.

Der Artikel erscheint in Kooperation mit Responsible Statecraft. Das englische Original finden Sie hier. Übersetzung: David Goeßmann.

Anatol Lieven ist Senior Research Fellow für Russland und Europa am Quincy Institute for Responsible Statecraft. Zuvor war er Professor an der Georgetown University in Katar und an der Abteilung für Kriegsstudien des King's College London. Er ist Mitglied des beratenden Ausschusses der Südasienabteilung des britischen Außen- und Commonwealth-Büros. Lieven ist Autor mehrerer Bücher über Russland und seine Nachbarländer, darunter "Baltic Revolution: Estonia, Latvia, Lithuania and the Path to Independence" und "Ukraine and Russia: A Fraternal Rivalry" (Eine brüderliche Rivalität).

George Beebe ist Direktor für Grand Strategy beim Quincy Institute. Er verbrachte mehr als zwei Jahrzehnte in der US-Regierung als Geheimdienstanalyst, Diplomat und politischer Berater, unter anderem als Direktor der Russland-Analyse der CIA, als Direktor des Open Source Center der CIA und als Berater von Vizepräsident Cheney in Russlandfragen. Sein Buch "The Russia Trap: How Our Shadow War with Russia Could Spiral into Nuclear Catastrophe" warnt davor, wie die Vereinigten Staaten und Russland in eine gefährliche militärische Konfrontation stolpern könnten. Beebe war zudem Vizepräsident und Studiendirektor am Center for the National Interest.