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Könnten sie nicht gute Gründe haben zu schweigen?

Drake-Formel bzw. Greenbank-Gleichung. Bild: SETILeague

Interstellare Büchse der Pandora? Wie gefährlich ist ein Kontakt via Licht- und Radiowellen? - Teil 3

Der renommierte Science-Fiction-Autor David Brin, einer der entschiedensten Gegner der Active-SETI-Methode, warnt explizit vor den Folgen einer zu freizügigen Entsendung irdischer Informationen ins kosmische Blaue hinein, weil eine theoretische, wenngleich ausgesprochen geringe Gefahr besteht, dass im Zuge einer maßlosen und einseitigen datenreichen Sendung außerirdische Geister heraufbeschworen werden könnten. Denn wer kann uns glaubhaft garantieren, dass unter den vielleicht Millionen intelligenten Kulturen, die in der Milchstraße ihren Platz an ihrer Sonne gefunden haben, ausnahmslos friedliche Arten einladende Antwortschreiben aufsetzen?

Teil 2 [1]: METI und Active SETI

Der 60-jährige US-Science-Fiction-Autor David Brin [2], der in dem Bereich Astrophysik promoviert hat und lange Jahre am Jet Propulsion Laboratory [3] der NASA unter anderem auch als Berater für den Fachbereich Astrobiologie tätig war, hält nichts davon, irdische Botschaften ins All zu entlassen.

Zwei neue Faktoren für die Drake-Gleichung

Noch bevor seine ersten Bestseller-Romane die Verkaufsregale zahlreicher Buchhandlungen zierten, veröffentlichte er 1983 einen in SETI-Kreisen vielbeachteten Aufsatz [4]. In ihm schimmerte bereits seine Kritik an einem zu freizügigen Versenden von irdischen Botschaften ins All durch. Mit den Jahren hat sich sein Standpunkt weiter radikalisiert.

David Brin

Dass sich technologisch hochstehende fremde exoplanetare Kulturen automatisch durch hohe Moral und hehre Absichten auszeichnen oder sich aufgrund ihres höheren Zivilisationsalters weiser und freundlicher gerieren als wir, hält David Brin für einen Trugschluss.

Bereits vor 28 Jahren distanzierte er sich von solch einer Einstellung und Denkweise und ergänzte die Drake-Formel [5] konsequent um drei Faktoren, die er in Drakes alter Gleichung schmerzlich vermisst hatte.

So beschreibt der erste Brin’sche Faktor nj die interstellare Migration außerirdischer Superzivilisationen. Denn als Folge der expansiven Verbreitung einer extraterrestrischen Art könnten, nur wenige oder viele Lichtjahre von deren Heimatwelt entfernt, Hunderte Kolonien errichtet worden sein, auf denen auch elektromagnetische Wellen zur Kommunikation eingesetzt werden, die wiederum andere Zivilisationen detektieren könnten.

Der zweite neue Fakor Aj soll die Wahrscheinlichkeit näher bestimmen, mit der fortgeschrittene Zivilisationen überhaupt bereit sind, zu senden. Postulierte die klassische Drake-Gleichung noch, dass alle außerirdischen sendefähigen Zivilisationen auch wirklich die Reihe durch senden, berücksichtigt Brins Formel dagegen auch jene fortgeschrittenen Technologien, die sich aus diversen Gründen entschlossen haben, schlichtweg zu schweigen und daher von keiner anderen Spezies wahrgenommen werden können. Zu guter Letzt repräsentiert der dritte Neue im Bunde, der Faktor N*, die Anzahl der infrage kommenden bewohnten Welten innerhalb einer im Rahmen eines Suchprojekts abgetasteten Raumzone.

Schärfster Kassandrarufer

Mittlerweile ist Brins Standpunkt insbesondere in praktischer Hinsicht radikaler geworden, wohl deshalb, weil die Anhängerschaft der „Active-SETI“-Methode selbst immer radikaler, sprich ihre Bereitschaft zu senden immer größer geworden ist. Hinzu kommt, dass die Debatte immer weitere Kreise zieht.

Computergenerierter Sonnenuntergang, so wie er auf einem fernen Exoplaneten aussehen könnte. Auch in Doppelsternsystemen könnten technologisch hoch entwickelte Lesewesen eine Nische gefunden haben. Bild: NASA/JPL-Caltech/University of Arizona

Brin hingegen zählt im stetig wachsenden Chor der METI-Skeptiker nicht nur zu den führenden Theoretikern, sondern auch zu den schärfsten Kritikern. Wann immer Wissenschaftler und die Medien über dieses Thema philosophieren und spekulieren, ist seine Meinung gefragt. Bei jeder sich bietenden Gelegenheit – so auch in der sehenswerten deutschen TV-Dokumentation Die wahren „Alien-Jäger“. Großer Lauschangriff ins All (2008) – kleidet Brin sein Hauptargument immerfort in eine kurze und schlüssige Formel. Es ist in der Regel eine, die zur Vorsicht mahnt.

Brin führt das Fehlen eines bisherigen ersten Kontakts über elektromagnetische Wellen nicht auf die Abwesenheit extraterrestrischer Intelligenz im Universum zurück. An deren Existenz zweifelt er keineswegs. Was die klassischen SETI-Suchprogramme seit 51 Jahren praktizieren, hält er für elementar wichtig und richtig. Nur wertet er das große Schweigen im Äther als Indiz dafür, dass hochentwickelte technologische Zivilisationen – wenn überhaupt – ihre Signale höchst dosiert einsetzen.

Es könnte sich zeigen, dass das große Schweigen dem in einem Kinderzimmer ähnelt, in dem Erwachsene sanft und leise sprechen, um die blumigen und farbenfrohen Träume ihrer Kinder nicht zu stören

Reservierte Aliens aus Kalkül

Aus einem unerfindlichen Grund orientieren sich die Anderen Brins Ansicht nach nicht an Carl Sagans [6] Idealtypus einer friedliebenden, altruistischen Superzivilisation, die im Sinne eines interplanetaren Kulturaustauschs sowohl fleißig horcht als auch sendet. Nein, Brins Aliens üben sich vielmehr in Zurückhaltung.

Es ist kaum zu glauben, aber jeder auf diesem Bild zu sehende einzelne Punkt ist eine weit entfernte Galaxie. Natürlich sind wir nicht allein … alles andere wäre „irdische Hybris“. Bild: ESA/Herschel/SPIRE/HerMES

Doch genau diese Attitüde sollte uns, wie Brin betont, nachdenklich stimmen, insbesondere diejenigen unter den SETI-Enthusiasten, die nicht mehr länger gewillt sind, passiv zu lauschen, sondern am liebsten permanent in den Weltraum funken würden. Die für Brin zentrale Frage kann daher nur lauten: Wenn freilich da draußen viele intelligente Spezies existieren, die sich darauf verständigt haben, allesamt zu schweigen, ist dann nicht die Frage naheliegend, ob wir ihrem Beispiel folgen sollten? Könnte es nicht sein, dass die Gründe für ihr Schweigen tiefgreifender Natur sind?

Wenn Aliens wirklich so fortgeschritten und selbstlos sind und sich dennoch entschlossen haben, ruhig zu bleiben und nicht zu senden – sollten wir dann nicht in Betracht ziehen, ihrem Beispiel zu folgen, zumindest für eine Weile?

Interstellare Handelsware

Entgegen der von Carl Sagan [7] in dem Roman „Contact“ literarisch und in dem gleichnamigen Film [8] cineastisch verklärten Superzivilisation, die ganz gezielt einen interplanetaren Kulturaustausch fördert, mahnt Brin zu Weitsicht und Abstinenz und fordert, mit den intellektuellen und kulturellen Ressourcen unserer Gesellschaft möglichst sparsam zu haushalten, weil sie unser größtes Kapital sind.

Ein zu freizügiges Verschicken von Datenpaketen könnte den irreversiblen Verlust wertvollen Geistesguts nach sich ziehen. Denn wer maßlos und einseitig Botschaften ins kosmische Blaue hinein oder im extremsten Fall den Inhalt des gesamten World Wide Web [9] ins All pulse, verscherbele laut Brin seine interstellare Handelsware freiwillig.

Denn mit großer Wahrscheinlichkeit werden auch außerirdische Kulturen Handel betreiben – fortgeschrittene, der Raumfahrt zugewandte Zivilisationen sogar auf interstellarer Ebene Informationen austauschen. „Ihr Kapital werden Informationen sein“, verdeutlicht Brin. Interstellare Informationen, die wir als nützlich erachten, solche, die wichtige Kenntnisse über deren Kunst, Literatur, Technik und Wissenschaft vermitteln könnten.

Vergessen Sie die materiellen Güter. Der wahre Reichtum der Menschheit liegt in ihrer Kultur. Mit ihr können wir Handel betreiben. Sie ist unser kostbarstes Gut!

Bild: NASA/JPL

Aber was hätte unsere Kultur einer fremden Rasse in einen solchen Fall noch zum Tausch anzubieten, beamte sie vorschnell ihr gesammeltes Wissen, ihre Musik, Kunst, Wissenschaft und Bücher als Geschenk großzügig und unwiderruflich weg?

Wir erhoffen uns von ihnen möglicherweise Antworten auf unsere grundlegenden Fragen. Sie werden vielleicht erwidern: ‚Prima. Wir haben einige Antworten: Aber sicher habt ihr im Gegenzug auch etwas zu bieten?

Aus diesem Blickwinkel betrachtet könnte sich ein hemmungsloses einseitiges interplanetares Mitteilungsbedürfnis als größter Fehler aller Zeiten erweisen. Künftige Historiker könnten geneigt sein, diejenigen, die einstmals das Erbe der Menschheit unbesorgt und altruistisch ins All geschleudert haben, als größte Menschheitsverräter zu bezeichnen, weil sie ohne Gegenleistung gesendet und uns „alle damit ärmer gemacht haben“.

Sendet so viel ihr könnt!

Dass ausgerechnet der bekannte SETI-Radioastronom Seth Shostak [10] der strittigen „Active-SETI-Methode etwas Positives abgewinnen kann, obwohl er wie Frank Drake [11], Jill Tarter [12] und John Billingham [13] längst offiziell davon Abstand genommen hat, im Rahmen des SETI-Programms eine irdische Botschaft ins All zu senden, spiegelt die ambivalente Haltung der SETI-Profis unserer Ära nur allzu deutlich wider. Zu diesem delikaten Thema gehen in der SETI-Szene die Meinungen weit auseinander.

Illustration eines fremden Sonnensystems, von denen es Schätzungen zufolge allein in unserer Milchstraße mehr als eine Milliarde geben könnte. Vielleicht sind es noch mehr, und vielleicht haben in ihnen hochentwickelte Kulturen dereinst das Licht ihrer Sonne erblickt. Womöglich haben diese Zivilisationen längst das Zeitliche gesegnet – nur ihre absichtlich entsandten Licht- oder Funksignale legen noch Zeugnis von ihrem einstigen kosmischen Dasein ab, sofern jemand sie auffängt. Bild: NASA/JPL-Caltech

Während der 1996 verstorbene Carl Sagan trotz seiner positiven Einschätzung der moralischen Qualitäten außerirdischer Gesellschaften davon abrät, kosmische Visitenkarten zu verteilen, statt dessen empfiehlt, sich lieber für längere Zeit aufs Zuhören zu beschränken, plädiert Shostak neuerdings für eine Doppelstrategie. Seine Devise lautet fortan: Horcht nach Funksignalen, sendet aber auch fleißig!

So dürfte David Brin fraglos irritiert gewesen sein, als Shostak 2009 mit dem Vorschlag überraschte, Außerirdische mit so vielen Informationen wie nur irgend möglich einzudecken, ihnen das aktuelle Wissen der Welt, alle im World Wide Web konzentrierten und gespeicherten Bits und Bytes zuzusenden.

Nein, wenn wir eine Nachricht von der Erde übermitteln wollen, sollten wir die Google-Server in den Transmitter befördern. Sendet den Aliens das World Wide Web.

Per Radiosignal ließe sich die planetare Enzyklopädie, so Shostak, binnen sechs Monaten als kompakte Lieferung verschicken. Mittels eines Infrarot-Laserstrahls könne die ganze Prozedur, so Shostak, innerhalb von nur zwei Tagen abgewickelt sein.

Carl Sagan mit einer 1:1-Kopie des Mars-Landers Viking 1, dessen Original nach marsianen Leben suchte … Bild: NASA

Brins Hoffnung

Diesem Ansatz vermag David Brin gleichwohl nichts Positives abzugewinnen. Von seinem alten Standpunkt ist er kein Jota abgerückt. Vor allzu großer Sendefreudigkeit sei gewarnt, so seine alte und neue Maxime. Denn wenn von SETI überhaupt eine reale Gefahr ausgeht, dann sind hierfür die Active-SETI- und METI-Befürworter verantwortlich, die schon mehrfach Botschaften mit leistungsstarken Radioteleskopen zu erdnahen Sternen gesendet haben: freimütig, voreilig, oft unter Zeitdruck und häufig fehlerhaft.

Dennoch hält Brin das Risiko für ausgesprochen gering, dass wir feindlich gesinnten Zivilisationen via Kosmogramm die Position der Erde verraten und von uns selbst vorschnell Informationen preisgegeben haben. Auch wenn viele Arten in der Galaxis und in den anderen Weltenoasen von ähnlichen Idealen beseelt sind wie unsere aggressive Spezies und daher Gefallen daran finden, technisch und kriegsstrategisch unterlegene Völker und Kulturen derart rücksichtslos auszuplündern und auszumerzen, wie es unsere Vorfahren in der Vergangenheit aus Machtstreben und Gewinnsucht oft praktiziert haben, glaubt Brin keineswegs an eine außerirdische Invasion.

Die meisten Physiker und Science-Fiction-Autoren sind sich allerdings einig, dass […] dies sehr unwahrscheinlich ist. Denn wie könnte eine Invasionsarmee am Ende einer Versorgunglinie über mehrere Lichtjahre hinweg aufrechterhalten? […] Auch wenn sie in billigen melodramatischen Kinofilmen dominiert, stellt eine Invasion aus dem All wahrscheinlich die geringste Gefahr dar.

Offizielle Website [14] von David Brin mit einigen integrierten You-Tube-Videos, in denen er seine Active-SETI-Skepsis präzisiert. Siehe auch:

David Brins Youtube-Channel [15]
Brins Wordpress Blog [16]

Teil 4 [17]: Aliens und San Marino Skala


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https://www.heise.de/-3388811

Links in diesem Artikel:
[1] https://www.heise.de/tp/features/METI-und-Active-SETI-3388631.html
[2] http://www.davidbrin.com/biography.htm
[3] http://www.jpl.nasa.gov/
[4] http://adsabs.harvard.edu/abs/1983QJRAS..24..283B
[5] https://www.heise.de/tp/features/Ein-Kompositum-von-Unsicherheiten-3383644.html
[6] http://www.quotationspage.com/quotes/Carl_Sagan/
[7] http://www.carlsagan.com/
[8] http://www.ew.com/ew/article/0,,288672,00.html
[9] http://spot.fho-emden.de/alge/museum/
[10] http://www.seti.org/shostak
[11] http://www.seti-inst.edu/about-us/people/staff/drake-frank.php
[12] http://www.seti-inst.edu/about-us/people/staff/tarter-jill.php
[13] http://www.daviddarling.info/encyclopedia/B/Billingham.html
[14] http://www.davidbrin.com/
[15] http://www.youtube.com/user/cab801
[16] http://davidbrin.wordpress.com/
[17] https://www.heise.de/tp/features/Aliens-und-San-Marino-Skala-3388899.html