Koksan: Die mächtigste Kanone der Welt kommt in die Ukraine

Nordkorea zeigt im Fernsehen die Koksan-Geschütze aufgereiht nebeneinander.

(Bild: Screenshot / Nordkoreanisches Staatsfernsehen)

Nordkoreas Koksan-Kanone (170 mm) verstärkt Russlands Arsenal in der Ukraine. Als eines der größten Geschütze weltweit bedeutet sie große Gefahr.

Die US-Regierung hat der Ukraine erlaubt, Russland tiefer als bisher anzugreifen. Die New York Times (NYT) berichtet, dass die Erlaubnis den Einsatz der ATACMS-Systeme ermöglicht.

Die ATACMS-Systeme sollen laut Bericht vorerst in der russischen Region Kursk zum Einsatz kommen, zum Beispiel gegen nordkoreanische Truppen. Diese haben dort wohl Artilleriesysteme stationiert, die für die ukrainischen Truppen einen erheblichen Nachteil darstellen. Sie schießen weiter als herkömmliche Geschütze und können so Ziele hinter den ukrainischen Linien treffen, ohne durch Gegenfeuer gefährdet zu werden.

Nordkorea liefert schwere Artillerie an Russland

Bei den nordkoreanischen Geschützen handelt es sich vermutlich um Selbstfahrlafetten vom Typ M-1989 Koksan, von denen Fotos auf Telegram-Kanälen kursieren. Der Telegram-Kanal "belarusian_silovik" zeigt ein Bild, auf dem zwei der Geschütze vermutlich im sibirischen Krasnojarsk zu sehen sind.

Nach Angaben der Financial Times, die sich auf den ukrainischen Militärgeheimdienst beruft, soll Nordkorea insgesamt 50 dieser Geschütze sowie 20 Mehrfachraketenwerfer des Kalibers 240 Millimeter an Russland geliefert haben.

Während für die 240 mm Mehrfachraketenwerfer bislang keine Bildbelege vorliegen, sind die Koksan-Geschütze bereits dokumentiert. Die beiden schweren Artilleriesysteme würden sich in ihrer Wirkung ergänzen: Während die Raketenwerfer mit ihrer Flächenwirkung und hohen Feuerrate hauptsächlich gegen ungehärtete Ziele wirksam sind, ist die Koksan als Präzisionswaffe gegen Befestigungen konzipiert.

Mit einem Kaliber von 170 Millimetern gehört die Koksan, die von der nordkoreanischen Armee selbst als "Chuch’e p’o" bezeichnet wird, zu den weltweit größten Geschützen. Mit reichweitenverstärkter Munition, bei der ein zusätzlicher Raketenantrieb zum Einsatz kommt, kann sie vermutlich bis zu 60 Kilometer weit schießen, mit Standardmunition immerhin noch 40 Kilometer. Damit ist sie wahrscheinlich das reichweitenstärkste Geschütz, das derzeit im aktiven Dienst einer Armee steht.

Das macht sie in der Tat einzigartig. Zwar gibt es auch Geschütze mit größerer Reichweite, so kann die deutsche Panzerhaubitze 2000 fast 70 Kilometer weit schießen, die chinesische Haubitze PCL-181 soll es sogar auf 100 Kilometer bringen. Beide Haubitzen haben ein Kaliber von 155 Millimetern – aber es sind eben Haubitzen und keine Kanonen wie die Koksan.

Technische Unterschiede zwischen Haubitze und Kanone

Haubitzen wie die chinesische PCL-181 sind für indirektes Feuer mit steiler Flugbahn optimiert. Sie können Ziele auch hinter Deckungen bekämpfen und sind im Gelände flexibler einsetzbar.

Kanonen wie die Koksan sind dagegen für direktes Feuer mit flacher Flugbahn und hoher Mündungsgeschwindigkeit ausgelegt. Sie dienen traditionell auch der Panzerabwehr und dem Beschuss befestigter Stellungen.

Die 170 mm Kanone der Koksan ist durch ihre hohe Durchschlagskraft und große Sprengwirkung besonders effektiv gegen befestigte Stellungen. Die flache Flugbahn der Kanone erhöht dabei die Präzision bei der direkten Bekämpfung solcher harten Ziele, da die Geschosse mit mehr kinetischer Energie auftreffen als bei der steileren Flugbahn einer Haubitze. Das große Kaliber von 170 mm verstärkt diesen Effekt noch.

Eine Haubitze schießt dagegen bogenförmig. Ihre Geschosse treffen in einem steileren Winkel und mit geringerer Geschwindigkeit auf das Ziel. Dadurch eignet sie sich zwar optimal für indirektes Feuer über Hindernisse hinweg und zur Bekämpfung von Flächenzielen, ihre Durchschlagskraft gegen befestigte Stellungen ist jedoch geringer. Selbst bei gleichem oder größerem Kaliber ist ein Haubitzengeschoss wegen des steilen Auftreffwinkels und der geringeren Auftreffgeschwindigkeit gegen harte Ziele weniger wirksam.

Der kürzere Lauf einer Haubitze führt zu einer geringeren Mündungsgeschwindigkeit des Geschosses, auch wenn es im direkten Richten, also flach, abgefeuert wird. Im längeren Lauf einer Kanone können die Treibgase länger auf das Geschoss einwirken, wodurch dieses eine deutlich höhere Geschwindigkeit erreicht.

Daher haben beide Systeme ihre spezifischen Einsatzgebiete: Kanonen für harte Ziele und direkte Bekämpfung, Haubitzen für indirektes Feuer und Flächenziele.

Eine Besonderheit des Koksan ist seine große Reichweite. Das System kann aus sicherer Entfernung operieren und ist daher weniger anfällig für gegnerisches Gegenfeuer. Die langsame Feuerrate von zwei Schuss alle fünf Minuten ist weniger problematisch, da es primär um die Zerstörung einzelner, stark befestigter Ziele geht und nicht um Flächenfeuer oder die schnelle Bekämpfung beweglicher Ziele.

Zwei Varianten des nordkoreanischen Geschützes

Allerdings ist das System aufgrund des ungewöhnlichen Kalibers logistisch anspruchsvoll – die Munitionsversorgung muss speziell für dieses Geschütz organisiert werden, da die 170-mm-Munition nicht mit anderen Systemen kompatibel ist und nicht in Russland hergestellt wird.

Von der selbstfahrenden Kanone gibt es zwei Varianten, die ältere M-1978 aus den 70er Jahren und die neuere M-1989, die erstmals 1989 gesichtet wurde und auf einem russischen Raupenschlepper vom Typ ATS-59 montiert ist und nicht wie die ältere M-1978 auf dem Fahrgestell eines chinesischen Panzers vom Typ 59.

Die M-1989 wurde verschiedenen Modernisierungen unterzogen, unter anderem soll ein Feuerleitcomputer eingebaut worden sein. Von beiden Varianten sollen zusammen etwa 500 Stück gebaut worden sein. Etwa 100 der Geschütze sind auf einem Video des nordkoreanischen Staatsfernsehens zu sehen, wo sie am 25. März 2016 an einer Übung in der Nähe des Flughafens Wonsan teilnehmen.

Russlands Strategie gegen ukrainische Befestigungen

Im aktuellen Konflikt kann das System für die russischen Streitkräfte von besonderer Relevanz sein, um die stark ausgebauten ukrainischen Verteidigungsstellungen zu bekämpfen. Bisher ist es der russischen Armee gelungen, auch gegen stark ausgebaute ukrainische Befestigungen vorzugehen.

Dabei setzt die Führung in Moskau neben ihrer drückenden Überlegenheit bei der Artillerie vorwiegend auf Gleitbomben. Über 100 dieser billig herzustellenden Bomben, die von Flugzeugen abgeworfen werden, soll die russische Luftwaffe Tag für Tag auf ukrainische Stellungen regnen lassen können. Mit einer Sprengkraft von 1,4 Tonnen ist etwa die größte Version, die FAB-3000, in der Lage, ukrainische Verteidigungsstellungen in einem großen Umkreis auszuschalten.

Zwar konnten die russischen Streitkräfte im November ihre Vormarschgeschwindigkeit gegenüber dem Rekordmonat Oktober noch einmal um 37 Prozent steigern. Bis zum vergangenen Freitag eroberten Moskaus Truppen 441 Quadratkilometer. Das entspricht aber fast das Doppelte des Kölner Stadtgebiets – und die Ukraine ist nach Russland der größte Flächenstaat Europas.

Hier könnte das jetzt gelieferte Artilleriesystem Koksan aus russischer Sicht genau die richtige Waffe sein, um stark befestigte Gebiete in der Ukraine gezielt unter Feuer zu nehmen und die russische Luftwaffe zu unterstützen. Gerade an Frontabschnitten wie bei Torezk oder im Raum Pokrowsk, wo die ukrainischen Streitkräfte über Monate ihre Verteidigungsstellungen ausbauen konnten, könnte die Durchschlagskraft der 170-mm-Kanone gegen Bunker und befestigte Stellungen für die russischen Angriffsbemühungen wertvoll sein.

Koksan als kostengünstige Alternative zu Luftangriffen

Auch wenn die FABs eine größere Sprengmasse zur Explosion bringen können, ist die nordkoreanische Kanone wahrscheinlich zielgenauer.

Außerdem ist ihr Einsatz wahrscheinlich kostengünstiger und weniger riskant. Während die FAB-Bomben selbst unschlagbar billig sind, ist eine Flugstunde der hochentwickelten russischen Kampfflugzeuge teuer. Zudem sind die wertvollen Flugzeuge den ukrainischen Flugabwehrbatterien ausgesetzt.

Und schließlich kann eine einzige Koksan-Granate trotz ihrer vergleichsweise geringen Feuerrate pro Stunde etwa die Sprengkraft einer FAB-500 ins Ziel bringen; der Sprengkopf einer Standard-Koksan-Granate wiegt nach Angaben des US-Magazins National Review etwa 12,5 Kilogramm, der einer FAB-500 etwa 300 Kilogramm.

Das nordkoreanische System wird vermutlich fernab der Front und gut geschützt durch Flugabwehr und Mittel der elektronischen Kampfführung eingesetzt. Aufgrund der kontinuierlichen Feuerrate, der großen Reichweite und des großen Kalibers könnte es für die ukrainischen Verteidiger zum Problem werden, wenn es als Bunkerbrecher gegen gut ausgebaute Verteidigungsstellungen eingesetzt wird.

Nach der erst im Juli dieses Jahres bekannt gewordenen Übergabe von Panzerjägern des Typs Bulsae-4 durch Pjöngjang an die Truppen Moskaus ist die Lieferung der Koksan ein weiterer Schritt in Richtung einer offensichtlich vertieften militärischen Zusammenarbeit und steht vermutlich im Zusammenhang mit dem erst in der vergangenen Woche unterzeichneten "Vertrag über eine umfassende strategische Partnerschaft" zwischen Russland und Nordkorea.

Das asiatische Land unterhält eine der zahlenmäßig größten Armeen der Welt mit entsprechend gut gefüllten Arsenalen. Neben der Bulsae-4 liefert Nordkorea auch ballistische Raketen an Russland. Vor allem aber sind die umfangreichen Munitionslieferungen – bisher schätzungsweise acht Millionen Geschosse der Kaliber 122 und 152 Millimeter – zu einem elementaren Faktor für den russischen Erfolg auf den Schlachtfeldern in der Ukraine geworden.