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Kommunikationsfreiheit statt Angst!

Der Wissenschaftler Klaus Beck regt eine Debatte über ein kollektives Gut an: den freien Austausch von Ideen und Meinungen. Und er erklärt, warum uns diese Freiheit nervös macht

Dass Kommunikationsfreiheit ein kollektives Gut sei, unveräußerliches Menschenrecht und in vielen Ländern der Erde als solches auch rechtlich geschützt ist, erklärt uns Klaus Beck in einem gleichnamigen Reader, der unlängst erschienen ist [1]. Als Einstieg wählt der Autor die Krisensituation der Corona-Pandemie, was Gelegenheit bietet, sogleich den Wertedisput zu eröffnen: Die Kommunikationsfreiheit befindet sich auf ständigem Kollisionskurs [2].

In sieben Kapiteln, abgerundet durch ein kompaktes Fazit, führt der Autor den Leser auf knapp 130 Seiten (hinzu kommen Literaturanhang sowie ein treffliches Glossar) an die diffizile Materie heran, wobei ein Schwerpunkt der Historie gewidmet ist.

Beck ist seit April 2018 Lehrstuhlinhaber für Kommunikationswissenschaft an der Universität Greifswald. Zu seinem Arbeitsgebiet zählen neben den gesellschaftlichen, politischen und technischen Fragen, etwa Technik der Massenkommunikation, auch die Berücksichtigung medienethischer Aspekte. Sein neues Buch verspricht "Medienwissen kompakt" [3].

Im historischen Rückgriff liegt zweifellos eine der Stärken des Buches. Beck unterfüttert seine Annäherung an den Gegenstand mit einer aufschlussreichen historischen Nachverfolgung, nämlich wie sich "Kommunikationsfreiheit" im Lauf der Geschichte herausgebildet und in Stationen gegen Widerstände durchgesetzt hat. Die dabei aufgeführten Entwicklungsschritte (und Rückschläge!) zeichnen im Großen und Ganzen den westlichen Zivilisationsprozess nach und folgen der Topologie einer allmählichen Befreiung des Denkens aus der Kontrolle beziehungsweise Zensur von Kirche und Staat. Dabei werden die Widrigkeiten und Komplikationen des Weges deutlich.

Eine "unheilige Familie"

Eines wird schnell klar: Dem Gang aus der mittelalterlichen Christianitas folgte eben nicht zwangsläufig eine sich fortschreibende Humanitas ("progressus" als "perfectio", mit einer immer perfekteren Kommunikation). Becks historischer Abriss schildert vielmehr einen zähen Kampf, der zeige, so der Autor, "wie stark der Gegensatz zwischen Macht und Freiheit ist und welch wichtige Rolle Kirche und vor allem Staat spielen". Die Zensur hat dabei, so Beck, eine garstige Genossin an ihrer Seite, genannt Propaganda:

Die Zensur (...) kommt selten alleine, meist kreuzt sie in Gesellschaft einer ebenso hässlichen Schwester auf: der Propaganda. Beide besitzen die gleiche Mutter, nämlich die katholische Kirche, und den gleichen Vater Staat. Und leider pflanzt sich diese unheilige Familie bis heute äußerst fruchtbar fort, benutzt die neuesten Medien und zeugt immer weitere Formen der Unfreiheit von Kommunikation.

Klaus Beck

Nach der gründlich vorgenommenen (Selbst-)Vergewisserung der relevanten historischen Entwicklungslinien wendet sich die Abhandlung zurück zu den Fragen des – prinzipiell unabgeschlossenen – Aushandlungsprozesses von Kommunikationsfreiheit, und das nicht nur in Europa, sondern auch – im zweiten Hauptteil des Buches – mit Blick auf die Kommunikation in einer globalisierten Welt (und deren Problemlage, wozu u.a. das Thema Überwachung gehört).

Dabei erfährt man (und staunt!), dass die Meinungs- und Pressefreiheit bereits 1847 in Liberia, 1876 in der Türkei, 1889 in Japan, 1907 in Persien und 1930 in Afghanistan eingeführt wurde. Die beiden letzten Staaten garantierten, so ist zu lesen, die Pressefreiheit aber nur unter dem Vorbehalt, dass sich die Medien nicht gegen den Islam richteten. Sogar die chinesische Verfassung, schildert Beck, räumt in Art. 35 den Bürgerinnen und Bürgern der Volksrepublik Rede-, Publikations-, Versammlungs- und Vereinigungsfreiheit ein.

Dies bietet einerseits interessanten Lesestoff, wirft jedoch auch Fragen bezüglich eines immanenten Geschichtsprozesses auf, der im westlichen Idealzustand freier Kommunikation seine Erfüllung hätte, freilich ohne reale Letztverwirklichung, aber doch als Maßstab für andere Kulturen? Diese Fragen diskutiert Klaus Beck durchaus, und geht dabei auch auf die Ausgangslage unterschiedlicher Kulturkreise ein. Durch die Brille europäischer Bildungsarroganz allein lässt sich eben die Weltlage auch nicht erklären.

In Sonderstellung: Presse- und Medienfreiheit

"Kommunikationsfreiheit": Das Kompositum fungiert als Oberbegriff z.B. von Meinungsfreiheit und Informationsfreiheit, aber auch von Freiheit der Kunst, Wissenschaft oder einer ungestörten Religionsausübung; Presse- und Medienfreiheit stellen einen zusätzlichen Aspekt der Kommunikationsfreiheit dar, wobei die Medien als Institutionen eine Sonderstellung genießen. Die Presse- und Medienfreiheit, wie sie im deutschen Grundgesetz kodifiziert ist (GG Art. 5), unterscheidet sich dabei vom individuellen Jedermanns-Recht auf freie Meinungsäußerung. Im Buch heißt es dazu:

Sie (Journalismus und Medien) sollen informieren, bei der Meinungsbildung helfen, die Regierenden ebenso wie Konzerne, Verbände, Kirchen etc. kritisieren und kontrollieren, aber auch unsere Fragen, Themen und Meinungen artikulieren. Alle diese Rollen, die weit über das hinausgehen, was der oder die Einzelne leisten kann, sind durch die institutionelle Presse- und Medienfreiheit besonders vor dem Staat geschützt.

Aber wissen die Medien diese Freiheit auch zu schätzen? Die Antworten fallen arg optimistisch aus, etwa wenn man an die Konzentration im Mediensektor denkt, und die damit einhergehende Meinungsmacht. Beck formuliert frohgemut:

Die ganz überwiegend marktwirtschaftliche Struktur der Medien in Deutschland hat den großen Vorteil, eine große Unabhängigkeit vom Staat oder einer Staats-Partei zu gewährleisten.

Gleichwohl, so setzt der Autor fort, berge die kapitalistische Medienorganisation "auch Gefahren für die Kommunikationsfreiheit", manchmal als "materielle Zensur" bezeichnet. Einschränkungen sieht Beck jedoch "vor allem im Hinblick auf Vielfalt und Gleichheit der Freiheitsrechte".

Hier hätte man sich mehr systemkritische Chuzpe und einen Hinweis auf die Filterfunktion gewünscht, die der "Öffentlichen Meinung", als soziales Konstrukt verstanden, zukommt ("öffentliche Meinung" vs. "veröffentlichte Meinung"). Ein Heer professioneller Kommunikationsarbeiter ist schließlich tagtäglich dabei, uns zu "versorgen", und das unter den Voraussetzungen definitiver gesellschaftlicher Verhältnisse und konkreter Interessenlagen.

Kleiner Exkurs: der "nervöse Mensch"

Medienhistorisch hat sich die Macht tendenziell zugunsten der Transporteure verschoben. Die immensen publizistischen Apparate der sekundären und tertiären Medien, so rekurriert Klaus Beck in einem Aufsatz von 2016 ("Lebensthema Medientheorie") auf den Publizistikwissenschaftler Harry Pross, bergen die Gefahr in sich, die soziale Kommunikation in einen "Einbahnverkehr" zu verwandeln und verhindern den direkten Kontakt mit den Urhebern der Mitteilung. [4]

Harry Pross (1923-2010) seinerseits typologisierte die Medien bereits 1970 abhängig von deren Produktions- und Rezeptionsbedingungen - und hörte nicht auf, die unmenschlich gewordene Taktung der modernen Welt zu betonen: Die "Angst vor dem Versäumnis" ("Versäumnispanik") habe den "nervösen Menschen" hervorgebracht.

In einem Zeitzeugengespräch 2002 in São Paulo sprach Pross von einem "Durcheinander der Signale", das eine sich auflösende Ordnung hinterlassen habe, und nannte die euphemistische Rede von der Welt als globalem Dorf abfällig einen "Phantomspruch". [5]

Mein Smartphone kommuniziert auf eigene Faust

Zurück zur "Kommunikationsfreiheit": Zwar können wir uns, schreibt Beck, heute auch als Amateure praktisch aller technischer Mittel bedienen, um unsere Meinung zu verbreiten und um die Meinung anderer zu erfahren. Jedoch:

Mit dem Internet ist das Problem der Kommunikationsfreiheit keineswegs gelöst (…) Digitale Überwachung als Geschäftsmodell tritt zunehmend an die Stelle staatlicher Vorzensur (...).

Zugespitzt gefragt: Sind wir am Ende nur Massenkonsumenten in den Händen neuer und - wie niemals in der Geschichte zuvor - allmächtiger Wissensoligarchen geworden? Und deren mehr oder weniger hilflose wie bereitwillige Datenlieferanten?

Jedes handelsübliche Smartphone mit dem Google-Betriebssystem Android liefert jeden Tag rund 900 verschiedene Daten beim Server ab, kommuniziert also auf eigene Faust. Eine andere Zahl: Jeden Tag werden Milliarden von Postings ausgetauscht, allein auf Youtube werden täglich rund 80 000 Stunden Videomaterial hochgeladen.

Das lese ich in Klaus Becks Reader, nachdem mir die morgendliche Lektüre der Tageszeitung soeben den folgenden Schlag versetzt hat: Weniger als die Hälfte der 15-Jährigen in Deutschland [6] kann nach OECD-Angaben in Texten Fakten von Meinungen unterscheiden (Sonderauswertung der Pisa-Studie im Bereich Lesekompetenz, Mai 2021 [7]).

Was also hat unsere moderne Medienkultur zu bieten - Blinkzeichen des Fortschritts und der Orientierung, oder ist sie längst zum Transportmittel und zur Maschinerie von Abstumpfung und Gleichmacherei verkommen?

Geht es um "Wahrheit"?

Manche Aussagen, die Freiheit betreffend, klingen im kompakten Lehrbuchstil bei Klaus Beck arg holzschnittartig ("Untrennbar mit Freiheit verbunden ist Verantwortung", "Die Freiheit, alles zu sagen, bedeutet nicht, dass alles gesagt werden soll."). Dem wird niemand widersprechen wollen. Summarisch wird festgestellt:

Ohne Kommunikationsfreiheit können freiheitliche Demokratien nicht bestehen; die gemeinsame Suche nach Wahrheit setzt den freien Austausch von Gedanken voraus.

Leider stößt man sich hier und da an derart alltagstauglichem Sprachgut, vielleicht doch auch ein philosophisches Manko bei dem Unterfangen, ein derart anspruchsvolles Thema auf handhabbare Größe zu reduzieren.

Unversehens geht mitunter der Wahrheitsbegriff in "Richtige Ansicht" über, verwischt sich insofern mit dem Meinungsbegriff. Wieder an anderer Stelle heißt es statt Wahrheit auch "Beste Lösung". Am Ende des dritten Kapitels ist gar von einer "ganzen Wahrheit" (S. 26) die Rede, nachdem zuvor gesagt wurde, der Diskurs ergebe immer nur eine Annäherung an "Teilwahrheiten".

Spätestens an der Stelle fragt sich der Leser, ob es in Demokratien bzw. im öffentlichen Diskurs überhaupt um "Wahrheit" geht.

Freiheit vs. Beliebigkeit

Resümee: In dieser hochkompliziert- und -komplex gewordenen Welt ist Kommunikation kein leicht abzuhandelnder Begriff. Was sich auf den ersten Blick als alltägliche, unhinterfragte Sozialhandlung darstellen mag (wir alle kommunizieren ständig, und das auch ohne Theorie oder Kalkül), entwickelte sich im Laufe der Politik- und Kulturgeschichte zu einem neuzeitlichen Modewort mit weitreichender Signalwirkung, eingebettet in den Wertekanon der Moderne.

"Kommunikativ" sein ist "in" und gilt als fortschrittlich; und dient als neuzeitlicher Lackmustest, gewissermaßen als Vorbedingung und Ausdruck von Freiheit.

Wo Freiheit real wird, ist sie jedoch bedroht, und das gilt allemal auf dem Feld der Kommunikation, das sich geschichtlich häufig genug nicht nur als geistiges, sondern auch als politisches und soziales Kampf- und Schlachtfeld präsentiert; zu den Ausläufern zählt heute u.a. auch die überhandnehmende Verrohung der Onlinekommunikation.

Wird "Freiheit" heutzutage da nicht gern mit Beliebigkeit verwechselt? Die Dekaden des Freiheits-"Kampfes" sind die eine Sache, moderne Rechtsauffassungen eine andere. Der Sinn von Kommunikationsfreiheit kann aber letztlich nicht im Prozess der Entwicklung selbst liegen, so plausibel diese auch nachzuvollziehen sein mag.

Freiheit setzt Mündigkeit voraus. Klaus Becks Unterrichtsstunde liefert bei aller Kompaktheit eine beachtliche Stofffülle und bietet darüber hinaus Anlass und Anstoß zu weiterem Räsonieren.


URL dieses Artikels:
https://www.heise.de/-6040558

Links in diesem Artikel:
[1] https://www.springer.com/de/book/9783658324773
[2] https://www.heise.de/tp/features/Pressefreiheit-und-Corona-Panik-ist-kein-guter-Ratgeber-6033876.html
[3] https://ipk.uni-greifswald.de/klausbeck/
[4] http://www.harrypross.de/lebensthemen/01-2/lebensthema-medientheorie/
[5] https://youtu.be/G1VXzjvin9k
[6] https://www.oecd.org/pisa/PISA2018_Lesen_DEUTSCHLAND.pdf
[7] https://www.oecd.org/pisa/publications/21st-century-readers-a83d84cb-en.htm