Kooperation anstatt Egoismus?

Ansichten der Evolutionspsychologie. Eine Rezension

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Will man den Evolutionspsychologen glauben, so resultieren Überlegenheit und Intelligenz des Menschen aus seiner biologisch einmaligen Kooperationsfähigkeit. Die Behauptung ist einleuchtend, aber ihre Grundlage in einer Computersimulation dünn. Über William Allmans anregendes Buch "Mammutjäger in der Metro. Wie das Erbe der Evolution unser Denken und Verhalten prägt."

William F. Allman: Mammutjäger in der Metro. Wie das Erbe der Evolution unser Denken und Verhalten prägt. Spektrum Akademischer Verlag 1996. 368 Seiten.

Die sechziger Jahre sind längst vorbei, als man nach den schrecklichen politischen Folgen der biologistischen Ideologie glaubte, die Frage Natur oder Kultur hinsichtlich des menschlichen Verhaltens einseitig für die Kultur entscheiden zu können. Inzwischen hat sich, vor allem auch in der Hirnforschung, der biologische Ansatz mit seiner darwinistischen Erklärungsweise wieder durchgesetzt, auch wenn die Argumentationsstrategien in aller Regel subtiler geworden sind, man eher von evolutionären Rahmenbedingungen spricht als von genetischem Determinismus.

Der Mensch ist das aggressivste Tier - allerdings auch das Wesen mit der höchsten Kooperationsbereitschaft

William Allman

Eigentlich ist die Sachlage ganz einfach. Da die Gene etwa nicht Lage und Verbindungen eines jeden der Milliarden von Neuronen im Gehirn festlegen können, können sie nur Grundstrukturen ausbilden, die dann durch den Dialog mit der Umwelt ausdifferenziert werden. So haben die Menschen offensichtlich ein genetisch angelegtes "Sprachorgan", aber welche der vielen Sprachen schließlich erlernt wird, hängt ausschließlich von der Umwelt ab. Andererseits lassen sich viele Verhaltensweisen beobachten, die genetisch determiniert zu sein scheinen, aber unserer modernen Umwelt nicht mehr angepaßt sind. Der ohne "mentale Freßbremse" ausgestattete Heißhunger nach Fett und Zucker war beispielsweise in der Umwelt der Jäger und Sammler überlebensnotwendig, da diese Komponenten dort selten waren, während er heute die Menschen im Zeitalter des Fast-Food krank macht, in dem Zucker und Fleisch im Überfluß vorhanden sind. Seit geraumer Zeit hat sich so neben der Soziobiologie der evolutionspsychologische Ansatz herausgebildet, den der Wissenschaftsjournalist William Allman in seinem Buch erstmals ausführlich vorstellt und diskutiert. Fast auf jeder Seite wird man Interessantes oder auch Herausforderndes finden. Es macht Lust, sich in diese Thematik weiter zu vertiefen, was ein populärwissenschaftliches Buch gerade auszeichnet, auch wenn es keine konsistente Theorie anbietet.

Natürlich wissen wir längst, daß die Evolution auch unser Denken und Verhalten irgendwie prägt, aber in welcher Weise und mit welchem Zwang ist noch immer ein Streitpunkt. Allman fügt viele Beobachtungen und Vermutungen zusammen, die faszinierend sind, auch wenn sie oft waghalsige Spekulationen darstellen. Im Zentrum seines Buches aber steht die These, daß der Erfolg des Menschen sich seiner großen Fähigkeit zur Kooperation verdankt.

Das gesamte Repertoire, das unser modernes Miteinander bestimmt, reicht bis in die Frühzeit der Menschheit zurück. Unabhängig von Kultur und technologischem Entwicklungsstand - ganz gleich, ob der einzelne als Buschmann die Savanne durchstreift oder als Astronaut den Mond umkreist - sind diese Denk- und Verhaltensschablonen bei jedem Individuum Teil eines uralten Vermächtnisses

William Allman

Die Evolutionspsychologie geht davon aus, daß das Verhalten und die kognitiven Eigenschaften des Menschen stark von den Einflüssen der Umwelt geprägt werden und sich durch Selektion, also im Zusammenspiel von Genen und Umwelt ausprägen. Das Gehirn ist kein völlig flexibler Problemlöser oder eine Art Universalcomputer. Es gibt vielmehr auf bestimmte Situationen zugeschnittene und von diesen ausgelöste Verhaltens- und Wahrnehmungsmechanismen oder -mustern, die Rahmenbedingungen möglichen Verhaltens darstellen. Sie können sich langfristig verändern oder erweitern, aber sie engen doch das Verhaltensspektrum ein. So werden auch logische Probleme nicht unabhängig davon gelöst, auf was sie sich beziehen. Daher prägen in der Evolutionsgeschichte erworbene Strukturen noch heute das Verhalten. Das Gehirn besteht aus evolutionspsychologischer Perspektive aus vielen Hunderten von unabhängigen Modulen oder Minicomputern, die mehr oder weniger stark miteinander vernetzt sind. Allmann behandelt in dieser Hinsicht die Bedeutung von Gefühlen, die Evolution der Liebe und der Geschlechtsverhältnisse, die Sprachfähigkeit sowie die Aggressionsbereitschaft. Doch der Rahmen der Evolutionspsychologie hat sich vom genetischen Egoismus der Soziobiologie zum sozialen Gehirn oder der Fähigkeit zur Kooperation verschoben.