"Parthenope": Ein Film wie ein Italienurlaub

Copyright Gianni Fiorito

Südländer sein und besser leben? Paolo Sorrentinos Männerfantasie über Schönheiten des Südens. Dekadenz deluxe – grotesk.

Wir befinden uns in Neapel, dem Lieblings-Territorium von Paolo Sorrentino, in einem Haus am Meer. Zu sehen ist ein alter, dekadenter Aristokratenpalast, so anachronistisch wie die versailles-artige Kutsche, die in einer Ecke des Salons steht.

In dieser Welt findet gerade eine Geburt statt, und der Bürgermeister verkündet, dass es ein Mädchen ist und den Namen einer Sirene tragen soll: Parthenope.

Glamour eines Werbefilms

So beginnt ein Film, der in vieler Hinsicht so wirkt, wie vergangenen Zeiten entsprungen: Eine wunderschöne Frau ist das Medium von Sorrentinos neuem Film; sie ist benannt nach der mythischen Sirene, die der Stadt Neapel ihren Namen gab: Parthenope (Celeste Dalla Porta).

Geboren aus dem Wasser, flaniert sie in diesem Film fast wie eine Schlafwandlerin durch prachtvolle Kulissen und luxuriöse Villen, ohne sich jemals ganz den Wünschen der jungen Männer hinzugeben, die sie permanent umwerben.

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Sie ist Anthropologin, neugierig und gebildet, von rätselhaften Gedanken beherrscht, aber unzugänglich und kühl anmutend in ihren Emotionen – Sorrentino porträtiert sie in einer Abfolge von Werbespot-artigen Szenen im Hinblick auf Licht und Bildkomposition, als wäre sie ein Model von Yves-Saint-Laurent – diese Firma ist nicht zufällig Produzent dieses Films –, darum trägt die schöne Dame auch Kleider von Saint Laurent und bewegt sich durch eine Welt, in der alles akribisch inszeniert ist, und kein Anzug eine einzige Falte hat.

Das Kino Sorrentinos stand dem Werbefilm schon immer nahe. Mit "La Grande Bellezza" und "Ewige Jugend" hat der Italiener einen eigenen, höchst persönlichen Filmtyp kreiert.

Thematisch um Thema Jugend und Schönheit kreisend, stilistisch nah an der Perfektion und dem Glamour eines Werbefilms sind Sorrentinos Filme formalistisch strenge Werke, zugleich inhaltlich burleske Exzesse, in denen er oft genug seinem großen Vorbild Federico Fellini nacheifert.

Anders als in seinen anderen Filmen ist die Hauptperson, die titelgebende Parthenope diesmal weiblich.

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Aus männlicher Perspektive

Bereits in dieser Ausgangssituation legt Sorrentino seine Karten offen: Die Sirene wird zur Verkörperung der Schönheit und ist dazu bestimmt, eine Göttin zu werden.

Parthenope wird im Lauf des Films einige Jahrzehnte der neapolitanischen Geschichte durchqueren, doch das gezeigte Neapel ist weder das der Camorra noch das der Archäologen und Kunsthistoriker, sondern ein anderes, imaginäres Neapel, das dem blauen Meer zugewandt ist und in dem alles auf eine bestimmte Vorstellung von Schönheit verweist.

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Parthenope verkörpert ein bestimmtes weibliches Ideal – aus männlicher Perspektive betrachtet. Die wiederum von den vielen jungen Männern verkörpert wird, die ihr nachjagen.

Dieser Film verliert sich wieder und wieder in zahlreichen Windungen und mäandert, wie seine Protagonistin, zwischen Schönheit und Groteske. Einer Groteske, die den Geist Fellinis atmet, dem großen Vorbild Sorrentinos.

Versuchung zum Grotesken

Der Regisseur zeigt hier die Vorstellung eines Italiens, das von der Schönheit beherrscht wird – als würde die Landschaft schöne Körper hervorbringen. Dieses Italien, das einst schon so reizvoll für Bernardo Bertolucci in "Gefühl und Verführung" oder für Luca Guadagnino in "Call Me by Your Name" war.

Im Gegensatz zu diesen Filmen ist der Versace-Werbeblick hier jedoch kein fremder Blick, sondern behauptet, tief neapolitanisch zu sein – bis hin zur Erforschung des kollektiven Unbewussten dieses Ortes.

Sorrentino bearbeitet ein Neapel, das von seinen Ritualen geprägt ist, und während er versucht, diese Welt wie ein Anthropologe zu erfassen, verspürt er die Versuchung zum Grotesken – einem Schlüsselmerkmal seines Stils.

Der Regisseur hat auch nie Angst, in leersten Manierismus abzudriften – im Gegenteil ist dies eine unverkennbare Marke von seinem Stil. Oder absurd abzuschweifen. Etwa in der Figur von John Cheever, gespielt von Gary Oldman in Remineszenzen an seine "Dracula" Rolle.

Düsternis und Klage

Dazu kommen düstere Reflexionen über Inzest, Freitod, die Bewertung weiblicher Schönheit oder über den Verzicht auf Mutterschaft.

Zuletzt klagte Sorrentino über Einschränkungen seiner Freiheit:

Das Kino hat an Qualität verloren. Das Kino der Vergangenheit konnte sich frei ausdrücken. Es war frei, zu sagen, was es wollte. ... Das heutige Kino hat diese Freiheit eingebüßt. Es unterliegt Einschränkungen, diktiert durch den herrschenden Zeitgeist und seine Ideologien. Das gilt nicht nur für Italien. Es gilt genauso für das Kino in Großbritannien, in Frankreich und in den USA.

Wir leben in einer Epoche, die sich mittlerweile schon lange hinzieht, in der das, was gesagt wird, oft als beleidigend empfunden wird. Und auch als potenziell gefährlich, vor allem von den Finanziers.

Daraus entsteht ein Mangel an Freiheit. Eine unfreie Kunst kann weniger provozieren und ist in ihren Möglichkeiten überhaupt beschränkt.

Paolo Sorrentino, Interview mit Jan Küveler

Dieser Themen-Cocktail ist mitunter schwer verdaulich, da er die Protagonistin in schwachen Momenten selbstgefällig in einen Fetisch seiner explizit voyeuristischen Blickweise verwandelt.

In seinen besten Momenten erinnert Sorrentinos Film aber auch wieder an Meisterwerke des Kino-Formalismus wie "Letztes Jahr in Marienbad".

Celeste Dalla Porta und Gary Oldman. Copyright Gianni Fiorito

Falls die Inszenierung die Weltanschauung des Regisseurs widerspiegeln soll, dann könnte diese, die sich aus den Bildern von "Parthenope" ableiten lässt, kaum feierlicher, selbstbezogener und selbstverliebter sein. Eine Ego-Überdosis.

Denunziation der Schönheit

Über Sorrentinos Filme heißt es immer, sie seien "eine Augenweide". Aber ist die sogenannte Schönheit bei diesem Regisseur nicht zu perfekt?

"Fast jede einzelne der Aufnahmen ist von ausgesuchter Raffinesse", schreibt Barbara Schweizerhof stellvertretend für ihre Kollegenschar in der taz. Aber es ist eben alles derart perfekt ausgeleuchtet, derart glatt, derart lackiert, dass es leer wird.

Sorrentino feiert die Schönheit nicht, sondern überbietet sie, bis sie grotesk wirkt – er denunziert sie.

Was bleibt, ist ein Film wie ein Italienurlaub.