Kreml-Täuschung oder Frieden-Chance? Das steckt wirklich dahinter Putins "Ja, aber"

Wladimir Putin am Rednerpult

"Nein" heißt nein. "Ja, aber" aber nicht. Bild: Madina Nurmanova/ Shutterstock.com

Putin signalisiert vorsichtige Zustimmung zu US-Vorschlag. Im Westen ist man skeptisch. Doch in Moskau könnte mehr geschehen als geahnt.

Nach der ersten Reaktion des russischen Präsidenten Wladimir Putin auf den US-amerikanischen Vorschlag für einen Waffenstillstand im Ukraine-Krieg sind die Reaktionen in den deutschen Medien und auch bei vielen Experten recht einhellig. Seine nur bedingte Zustimmung wird als Zeichen gewertet, dass ein solcher Waffenstillstand gar nicht im Sinne des Kremlchefs sein kann.

Vom Nein überzeugt, bevor es ausgesprochen worden ist

"Warum Putins Ja zur Waffenruhe nur ein verstecktes Nein ist", meint Alexander Dubowy, Russlandexperte der Berliner Zeitung.

"Viele westliche Beobachter werten Putins Äußerungen deshalb als kaum verhohlenes Nein" schreibt auch die Tagesschau, "[Putin] hat kein Interesse an einer Waffenruhe, will das aber nicht offen sagen, um Trump nicht zu verärgern" meint die Bild.

Bei all diesen Überlegungen wird außer Acht gelassen, dass eine sofortige und vorbehaltlose Unterstützung der US-Vorschläge für Putin angesichts seines bisher nach außen dargestellten Kurses und seiner Stellung im russischen Regierungssystem kaum möglich gewesen wäre. Seine bedingte Zustimmung liegt eher im positiven Spektrum der möglichen Reaktionen auf ein solches Angebot.

Sofortiges Zustimmung widerspricht Propaganda und Misstrauen

Seit dem eigenen Einmarsch in das Nachbarland vor drei Jahren lautet das Narrativ des Kremls an die russische Bevölkerung, man befinde sich in einem Abwehrkampf gegen einen "kollektiven Westen".

Dieser werde von einer angloamerikanischen Hydra angeführt, der die europäischen Vasallen zu folgen hätten. Eine sofortige und vorbehaltlose Unterstützung eines vom "Haupt des Bösen" vorgeschlagenen Schrittes zur Beendigung des Krieges würde den Eindruck erwecken, dass der allmächtige Putin auf eine Finte des Feindes hereingefallen sein könnte.

Das Misstrauen gegenüber Washington sitzt in Moskau tief. "Wir können die vergangenen zehn Jahre nicht einfach ignorieren, auch nicht die sehr strengen Sanktionen gegen uns in den zurückliegenden drei Jahren, dazu die umfangreiche Hilfe für Russlands Gegner.

Von der Stabilität möglicher Vereinbarungen ist man daher in Moskau nicht überzeugt", äußert der russische Regierungsberater Iwan Timofejew in einem Interview mit der Wochenzeitung Der Freitag. Und Timofejew ist kein Hardliner im russischen Apparat.

Generell wäre es dem Kreml möglich, die russische Bevölkerung von einem späteren Abkommen mit den USA und der Ukraine zu überzeugen. Umfragen zeigen, dass die Mehrheit der Bevölkerung einem Kurswechsel Putins in Richtung Frieden folgen würde. Jeder kennt Gefallene im eigenen Bekanntenkreis, nur eine kleine Minderheit wäre selbst bereit, für die Eroberung des Nachbarlandes das eigene Leben zu opfern.

Bevölkerung in Russland nicht entscheidend

Doch diese Zustimmung der Bevölkerung ist nicht entscheidend – Russland ist keine Demokratie und jede Opposition wurde repressiv ausgeschaltet. Putin ist die Symbolfigur eines Apparates, dessen oberstes Ziel vorwiegend der eigene Machterhalt ist und der die Zügel im Land fest in der Hand hält.

Ihn umgibt ein innerer Machtzirkel aus Präsidialverwaltung und weiteren hohen Beamten, der auch gerne als "kollektiver Putin" bezeichnet wird. Hier werden Entscheidungen im Namen des Kremls auch ohne Beteiligung des Chefs oder nur mit seiner Zustimmung getroffen.

Unterstützt wird dieser innere Zirkel von verschiedenen Organen und Interessengruppen, vom mächtigen Inlandsgeheimdienst FSB über die Regierungspartei "Einiges Russland" bis zu den Staatsmedien und ultrapatriotischen Kriegsberichterstattern.

Sie alle eint die Feindseligkeit gegenüber dem Westen, sie its unter ihnen deutlich ausgeprägter als in der breiten russischen Bevölkerung. Schon bei den ersten Vorschlägen aus dem Weißen Haus, die eigentlich ein großes Zugeständnis an die Positionen des Kremls waren, waren aus diesen Reihen Ablehnung und Misstrauen zu vernehmen.

"Nur Russland kann den Krieg beenden, und zwar zu seinen eigenen Bedingungen", ist etwa die Meinung des kremlnahen Medienmoguls Konstantin Malofejew, mehr müsse man über einen Waffenstillstand oder ein Einfrieren des Konflikts nicht wissen.

Auch Konstantin Kossatschow, stellvertretender Vorsitzender des Föderationsrates, will nur Vereinbarungen zu Russlands Bedingungen akzeptieren, nicht zu denen der USA. "Die Szene der Kriegsblogger und nationalistischen Politiker kocht, der Waffenstillstand ist ein geopolitisches Täuschungsmanöver" fasst der Leiter des Russlandprogramms der Friedrich-Ebert-Stiftung, Alexej Jussupow, die Stimmung in einem wichtigen Segment der Putin-Unterstützer zusammen.

Putin ist bei der Entscheidung über Krieg und Frieden – anders als die Bevölkerung – auf die Unterstützung seines Apparates angewiesen. Als Schiedsrichter sucht er den Ausgleich zwischen all diesen Gruppen, die zum Teil auch für ihn nicht ungefährlich sind. Was passieren kann, wenn ein Teil dieses Konglomerats dem Kreml außer Kontrolle gerät, hat der Aufstand des Söldnerführers Prigoschin deutlich gezeigt.

Objektives russisches Interesse an der Beendigung des Krieges

Dennoch hat Russland auch ein objektives Interesse an der Beendigung des von Putin persönlich inszenierten Krieges in der Ukraine. Dem Kreml ist nicht entgangen, dass der von der Rüstungsindustrie getriebene Kriegsboom in den vergangenen Monaten zu Ende gegangen ist und für 2025 nur noch eine Stagnation der russischen Wirtschaft prognostiziert wird.

Hohe Zinsen zur Stabilisierung des Rubels verhindern Investitionen und Kredite, viele Branchen vom Autohandel über den Energiesektor bis zur Landwirtschaft verzeichnen rückläufige Zahlen.

Die Sanktionen des Westens belasten die wirtschaftlichen Aussichten zusätzlich. Hier sind vor allem die Europäer als ehemalige Handelspartner von Bedeutung. Aber im Bereich der Finanzsanktionen spielen die USA eine wichtige Rolle, eine Rückkehr zum SWIFT-System oder den Kreditkartenanbietern Visa und Mastercard in Russland würde von der Wirtschaft und der Bevölkerung mehr als begrüßt und ist ohne Kompromisse mit Trump nicht zu erwarten.

Der Krieg bedeutet einen chronischen Mangel an Arbeitskräften und der Tod junger Männer an der Front verschärft das massive demografische Problem der Russischen Föderation. "Wir haben bereits einen hohen Preis bezahlt. Sowohl was den wirtschaftlichen Schaden als auch was den Verlust von Menschenleben betrifft – sowohl bei Soldaten als auch bei Zivilisten", räumt Iwan Timofejew gegenüber dem Freitag, also einem westlichen Medium, ein. Ob ein schneller militärischer Sieg in Reichweite ist, ist ungewiss. Je länger der Krieg andauert, desto schwieriger werden seine negativen Folgen zu bewältigen .

Lehnt Moskau jeden Kompromiss ab, ist mit einer Fortsetzung der US-amerikanischen Waffenhilfe für die Ukrainer zu rechnen. Wann Ende der Rüstungslieferuneng der Europäer steht ohnehin außer Frage.Inwieweit Putin dieser Ernst der Lage, gefiltert durch sein politisches Umfeld, voll bewusst ist, ist unter Experten allerdings umstritten.

Zustimmung trotz Einschränkungen vorhanden

Wenn Putin in dieser Situation Gesprächsbereitschaft signalisiert, "die Idee" eines befristeten Waffenstillstands als zielführend bezeichnet, ist das keine negative Reaktion. Wenn er Bedingungen und Vorbehalte hinzufügt, ist das die Demonstration einer "starken Position", sowohl gegenüber dem eigenen Apparat als auch gegenüber dem misstrauisch beäugten Westen. Er stärkt bewusst seine Position als staatsmännische Symbolfigur und Taktiker.

Die Alternativen zu einem vorsichtigen Verhandlungskurs sind für Russland angesichts der eigenen Lage allerdings nicht so groß, wie es scheint, und ein Kompromissfrieden ist nicht ausgeschlossen. Denn bei einer Fortsetzung des Waffengangs sind die Folgen für Russland ungewiss. Es ist durchaus möglich, dass hinter den Mauern des Kremls der Kurs noch nicht endgültig feststeht. "Die russische Führung weiß nicht, ob sie vor einem einmaligen und nur für kurze Zeit geöffneten Fenster der Möglichkeiten steht, das sich bald wieder schließen könnte, oder ob sie mit dem Eintritt in substanzielle Verhandlungen ihren wichtigsten Vorteil gegenüber der Ukraine (...) aufgeben würde", meint dazu Alexej Jusupow.

Jeder Kompromiss verlangt natürlich schmerzhafte Zugeständnisse von den Ukrainern, einer angegriffenen Nation, die durch eine feindliche Invasion schwer getroffen wurde und viele Opfer zu beklagen hat. Das ist eine Situation, die gerade moralisierende westliche Beobachter fernab der Zerstörungen des Krieges - auch der zukünftigen Zerstörungen bei einer Fortsetzung - nicht wollen. Schon gar nicht durch einen Deal zwischen Donald Trump, der gerade mit dem Vorschlaghammer auf das transatlantische Bündnissystem einschlägt, und dem Autokraten Wladimir Putin. Das sollte aber nicht die eigene Einschätzung der Aussichten auf einen Waffenstillstand beeinflussen, der dem Töten und Sterben in der Ukraine von Anfang an und für lange Zeit ein Ende setzt.