Kriegsgeschichten: Was wird uns da erzählt?
Seite 3: Die blinden Flecken und die Moral von der Geschichte
- Kriegsgeschichten: Was wird uns da erzählt?
- Storytelling vs. sachliche Berichterstattung
- Die blinden Flecken und die Moral von der Geschichte
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Ergänzende Medien (um hier den Ausdruck "Alternativmedien" zu meiden) wie die komplett Nutzer-finanzierte US-Journalismusplattform Democracy Now, die 1996 gegründet wurde, deuten dann durch ihre relativ eigenständige Arbeit auf blinde Flecken der jeweils herrschenden Narrative und Narrationen hin.
Hier sei exemplarisch auf die Story zum traurigen Schicksal eines palästinensischen Kindes verwiesen – des offenbar von israelischem Militär im Gazastreifen getöteten sechsjährigen Mädchens Hind Rajab und jener anscheinend ebenfalls getöteten Sanitäter, die das Kind in Not retten wollten.
Deren sehr trauriges Einzelschicksal erschien in reichweitenstarken hiesigen Medien wie tagesschau.de kaum mehr als in einer Ticker-Notiz. So kann mediales Storytelling bestimmte übergreifende Narrative befördern oder ihnen entgegenwirken – z.B. "mehr Waffen" für eine bestimmte Kriegspartei. Oder aber generell: "Die Waffen nieder!"
Medienkritische Bilanz
Fassen wir medienkritisch zusammen: Narrativität, also das strukturierte Erzählen von Geschichten, kommt in vielen Kommunikationen zum Einsatz: in Reportagen und Wahlkampfreden, in Balladen wie auch in Gute-Nacht-Geschichten.
Storys sind sehr wirksam, bei vielen und ganz verschiedenen Leuten. Menschen haben sich vermutlich, so u.a. der Medienwissenschaftler und Filmemacher Karl-Nikolaus Renner, schon immer Geschichten erzählt. Und können anscheinend auch kaum anders.
Studien deuten darauf hin, dass gerade jüngere und formal weniger gebildete Personen besonders gut durch Narrationen ansprechbar sind. Denn diese Geschichten sprechen unser Gefühl und unseren Verstand an, Emotio und Ratio. Sie sind informativ und unterhaltsam, oft auch spannend.
Es soll etwas gelernt werden ...
Es kann (oder soll) zugleich etwas gelernt werden – "die Moral von der Geschicht'". Solche Narrationen haben eine ziemlich einfache Grundstruktur: Eine Hauptfigur sieht sich einer Herausforderung gegenüber und versucht, diese zu meistern. Proponent gegen Opponent, mit entsprechend entgegengesetzten Eigenschaften.
Das Publikum, die Zielgruppe, kann (und soll) sich oft identifizieren mit den jeweiligen, häufig sympathischen Hauptfiguren. Den allermeisten Storys ist daher von vornherein eine gewisse Parteilichkeit eigen. Gut gegen Böse, Weiß gegen Schwarz.
... und Parteilichkeit verstärkt
Wenn – wie typischerweise in Krisen- und Kriegszeiten – ganz besonders viele und zudem möglichst emotional aufwühlende Geschichten mit ähnlichen Gut-Böse-Konstellationen erzählt werden, dann verstärkt sich diese Parteilichkeit.
Narrativität schlägt um in Narrativismus: Damit ist gemeint, dass sich das Storytelling verselbständigt.
Wenn kritisch auf die entsprechenden Nachrichtenerzählungen und Nachrichtenerzähler geschaut wird, lassen sich problematische Entwicklungen diskutieren, die zu tun haben mit Über-Vereinfachung, Hyper-Emotionalisierung und mit Parteilichkeit, die in zunehmende Einseitigkeit übergeht.
Vielleicht hatte Steve Jobs zumindest damit nicht ganz unrecht, der ganz sicher ein Experte der Selbst-Inszenierung und des "Strategic Storytelling" war:
Die mächtigste Person auf der Welt ist der Geschichten-Erzähler.
Diese Leute bestimmen laut Steve Jobs Visionen, Werte und Wichtigkeiten ganzer Generationen. Und damit womöglich neue "unendliche Geschichten".