Kriegsmüde Ukrainer: Ohne Begeisterung an die Front
Seite 2: Keine Alternative zum Dienst an der Front
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Doch die Freiwilligkeit ist weiter nicht die Regel. Straßenkontrollen versuchen Wehrpflichtige aufzuspüren, die den Behörden bisher entgangen sind. Wer sich der Einberufung entzieht, dem droht im schlimmsten Fall ein Strafverfahren.
Selenskyj forderte erst in dieser Woche eine Verschärfung der Maßnahmen des ukrainischen Innenministeriums, Wehrpflichtige notfalls zwangsweise dem Militär zuzuführen, wenn sie sich auf Aufforderung nicht zum Kriegsdienst melden.
Ein Recht auf Wehrdienstverweigerung aus Gewissensgründen besteht in der Ukraine nicht, von der Wehrpflicht ausgenommen sind nur gesundheitlich untaugliche Männer oder alleinerziehende Väter. Ein ziviler Ersatzdienst wurde nur bis zum Kriegsausbruch angeboten.
Auch Frauen werden verstärkt für das Militär aktiviert
Männer von 18 bis 60 Jahren können die Ukraine nur noch illegal verlassen, wer den Kriegsdienst verweigert, dem droht strafrechtliche Verfolgung bis zur Inhaftierung oder die Zwangsrekrutierung. Seit Oktober müssen sich auch ukrainische Frauen mit medizinischer oder pharmazeutischer Ausbildung für die Wehrpflicht registrieren.
Diese Maßnahme ist in der Bevölkerung äußerst unpopulär, war ursprünglich schon im ersten Kriegsjahr geplant und wurde dann verschoben. In den Streitkräften der Ukraine gibt es aktuell 42.000 Soldatinnen. Vor einer Ausweitung von Rekrutierungen von Frauen schreckt Kiew noch zurück, da das Land ebenso wie Kriegsgegner Russland ein massives Geburtendefizit hat.
Wenn Frauen kämpfen, dann meist nicht aus feministischen Motiven, die oft in deutschen Medien dargestellt wird, sondern eher aus finanzieller Not. Feminismus ist in den ukrainischen Streitkräften weniger verbreitet, realistische Presseberichte gibt es eher über Diskriminierung und sexuelle Belästigung.
Probleme: Korruption und Binnenflucht
Doch all diese Maßnahmen greifen nicht ausreichend. Ein Problem ist die in der Ukraine weiter allgegenwärtige Korruption, die es oft ermöglicht, sich vom Kriegsdienst freizukaufen, wenn man dafür die nötigen Mittel hat – von um die 8.000 Euro ist die Rede.
Wie massiv dadurch die Rekrutierung eingeschränkt wird, zeigt sich auch daran, dass sich die Regierung genötigt sah, alle Leitungen von Einberufungsämtern durch nicht mehr fronttaugliche Soldaten zu ersetzen. Ein noch nicht verabschiedetes Gesetzesvorhaben Selenskyjs will Korruption für die Dauer des Krieges sogar mit Hochverrat gleichsetzen.
Viele Ukrainer sind weiterhin offiziell nicht dort registriert, wo sie tatsächlich wohnen und deswegen für die Einberufungsstellen schwer erreichbar. Dieses Problem wurde 2022 durch zahlreiche Binnenflüchtlinge innerhalb des Landes noch verstärkt.