Kriegsopfer in der Ukraine: Wer zählt die Toten und Versehrten?
Der Krieg in der Ukraine ist eine menschliche Tragödie von unklarem Ausmaß. Viele Zahlen kursieren, doch ihr Ursprung und ihr Wahrheitsgehalt sind verschieden. Ein Überblick.
Der Tod ist allgegenwärtig in der Ukraine: Kein Tag vergeht, an dem nicht Soldaten auf beiden Seiten des Konflikts sterben; vermutlich auch kein Tag, an dem nicht Zivilisten durch den Beschuss beider Armeen den Tod finden.
Krieg bedeutet immer, dass Menschen sterben. Wie viele Opfer der Krieg in der Ukraine bereits gefordert hat, ist Gegenstand der Spekulation. In den Medien kursieren unterschiedliche Zahlen, was auch daran liegen dürfte, dass beide Konfliktparteien übertriebene Zahlen für die Opfer des Gegners und geschönte Zahlen für die eigene Seite veröffentlichen – wenn sie überhaupt der Öffentlichkeit zugänglich gemacht werden.
Der Blick in die deutschen Medien offenbart eine Schieflage in der Berichterstattung, denn die veröffentlichten Zahlen betreffen meist nur die russische Seite. Dass auch viele ukrainische Männer sterben, wird kaum erzählt. Dabei ist es ihr Leben, das mit westlichen Waffenlieferungen geschützt werden soll.
Am Dienstag hieß es etwa im Newsticker der Frankfurter Rundschau: Innerhalb von 24 Stunden hätte die russische Armee 1.030 Tote zu verzeichnen gehabt. Einen Tag später sollen es erneut über 900 gewesen sein. Die Quelle der Zahlen ist das Verteidigungsministerium der Ukraine.
Allerdings ordnet man diese Zahlen nicht ein, sondern übernimmt sie einfach. Um die Zahlen groß aussehen zu lassen, unterscheidet das ukrainische Verteidigungsministerium nicht zwischen "tot" und "verwundet", sondern fasst beide Werte unter "liquidiert" zusammen.
Die Anmerkung, dass die Angaben nicht unabhängig überprüft werden konnten, heilt die Schieflage allerdings nicht. Denn während ukrainische Zahlen nahezu täglich Eingang in die Newsticker deutscher Medien finden, sucht man die der Gegenseite meist vergebens – obwohl auch das russische Verteidigungsministerium täglich berichtet.
Im November hatte die Zahl der ukrainischen Kriegsopfer Aufmerksamkeit erregt: Ursula von der Leyen, Chefin der EU-Kommission, hatte in einer Ansprache von über 100.000 getöteten ukrainischen Soldaten gesprochen. Kurze Zeit später wurde das entsprechende Video in den sozialen Netzwerken wieder gelöscht und eine Sprecherin betonte, dass getötete und verwundete Soldaten gemeint gewesen seien.
Die ukrainische Regierung war damals alles andere erfreut über die Aussage von der Leyens. Im ukrainischen Fernsehen betonte Präsidentensprecher Serhij Nykyforow, dass nur der Oberkommandierende der Streitkräfte, der Verteidigungsminister oder der Präsident belastbare Zahlen über die Verluste veröffentlichen könnten.
Im Rückblick verwundert diese Reaktion, denn inzwischen haben auch andere westliche Politiker die Kriegsopfer geschätzt. Mark A. Milley, Vorsitzender des Vereinigten Generalstabs der US-Streitkräfte, hatte im November ebenfalls davon gesprochen, dass auf beiden Seiten mehr als 100.000 Soldaten getötet und verwundet worden seien.
Im Januar hatte auch der norwegische Verteidigungsminister Eirik Kristoffersen diese Zahlen im norwegischen Fernsehen genannt. Der Sturm der Entrüstung blieb auch in diesem Fall aus.
Etwas offener über die ukrainischen Verluste berichtete kürzlich die New York Times. In den Kämpfen um Bachmut seien zeitweise täglich Hunderte von ukrainischen Soldaten verwundet und getötet worden, heißt es in dem Bericht. Das habe auch daran gelegen, dass man schlecht ausgebildete Truppen an die vorderste Front und ins Feuer geschickt habe, während besser ausgebildete Einheiten in Reserve gehalten wurden.
Wenn es aber um die Zahl von russischen Kriegsopfern geht, beruft sich auch die New York Times auf die Spekulation von US-Beamten. Die Zahl der Toten und Verwundeten auf russischer Seite habe sich inzwischen der 200.000er-Marke genähert.
Diese Zahlen sind Schätzungen – vermutlich von den US-Geheimdiensten. Auf Grundlage von Satellitenbildern, abgefangenen Nachrichten, sozialen Medien, Medienberichten vor Ort und offiziellen Berichten seien die Zahlen ermittelt worden.
Vor dem Hintergrund der anderen Berichte muss der Artikel einer türkischen Zeitung als kontrovers betrachtet werden. Am 25. Januar berichtete die Zeitung Hürseda Haber über die Kriegsverluste beider Seiten im Krieg in der Ukraine. Dabei bezog sie sich auf vermeintliche israelische Geheimdienstberichte.
Demnach hat Russland 418.000 Soldaten im Feld und von diesen seien 18.480 gefallen und 44.500 wurden verletzt. Die Ukraine hat dagegen 734.000 Soldaten und hat 157.000 Gefallene und 234.000 Verwundete zu beklagen.
Außerdem gebe es 234 tote Nato-Ausbilder aus den USA und aus Großbritannien, zudem 2.458 tote Nato-Soldaten und 5.360 tote Söldner auf ukrainischer Seite.
Der Wahrheitsgehalt des vermeintlichen Geheimdienstberichts aus Israel kann nicht überprüft werden. Mit der Zahl der gestorbenen Nato-Soldaten haben sich allerdings die Faktenchecker von PolitiFact beschäftigt. Unter Berufung auf eine offizielle Erklärung der Nato wurde demnach widerlegt, dass Nato-Ausbilder und -Soldaten im Krieg gegen Russland gefallen sind – schließlich sind keine Nato-Truppen in der Ukraine.
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