Kriegsschiffe und "ein guter Tag, um die Zukunft zu bauen"
Die Rüstungsindustrie baut ihre Kapazitäten aus – einem IG-Metall-Bezirksleiter gefällt das. Wie Kapitalismus funktioniert und Putin "gute Arbeit" in Deutschland sichern hilft
Von einem "guten Tag, um die Zukunft zu bauen", sprach der Bezirksleiter der IG Metall Küste, Daniel Friedrich, als Ende vergangener Woche bekannt wurde, dass der Kieler Rüstungskonzern ThyssenKrupp Marine Systems (TKMS) in Wismar seine Kapazitäten ausbaut, um die erhöhte Nachfrage nach Kriegsschiffen zu befriedigen. Zu diesem Zweck hat der Konzern das Areal der insolventen MV-Werften gekauft.
Wie Insolvenzverwalter Christoph Morgen am Freitag mitteilte, war am Donnerstag bereits der Kaufvertrag unterzeichnet worden – über den Kaufpreis wurde zunächst Stillschweigen vereinbart. "Die Werft steht weiter für gute Arbeit", freute sich der IG-Metall-Bezirksleiter laut einem Bericht des NDR für die 800 bis 1500 Lohnabhängigen, die hier ab 2024 Korvetten, Fregatten und vor allem U-Boote bauen sollen, wie sich TKMS-Chef Oliver Burkhard vorstellt.
Der Kauf der Werft stelle eine "sehr gute strategische Ergänzung" dar, so Burkhard, der sich nicht allzu direkt über den Anlass freuen wollte. "Der Anlass - der Krieg in der Ukraine - auf den hätten wir gerne verzichtet", betonte er. Aber durch die "Neukalibrierung der Sicherheitspolitik" im Zuge des russischen Krieges gegen die Ukraine würden Marineschiffe von öffentlichen Auftraggebern stark nachgefragt.
Interessant sind im Zusammenhang mit diesem "Anlass" die genannten Jahreszahlen. Russland plant nach Einschätzung von US-Militärexperten eine Fortsetzung des Ukraine-Krieges bis Oktober dieses Jahres und glaubt demnach, seine Ziele im Nachbarland bis dahin erreichen zu können.
Über den Realitätssinn dieser Einschätzung sowie den Gesundheitszustand des russischen Präsidenten Wladimir Putin und eine mögliche Krebserkrankung wird unterdessen wild spekuliert – und darüber, inwieweit der Ukraine-Krieg von russischer Seite tatsächlich auf einsamen Entscheidungen eines Despoten basiert.
Sollten die Gerüchte zutreffen, lebt er vielleicht 2024 gar nicht mehr. Und falls das Reden von "Putins Krieg" keine grobe Vereinfachung ist, wären im Fall seines Ablebens die von Bundeskanzler Olaf Scholz (SPD) für die "Zeitenwende" und das 100-Milliarden-Sondervermögen für die Bundeswehr genannten Gründe weitgehend erledigt. Ohne Putin oder einen ebenbürtigen Nachfolger und mit kriegsmüden Russen gäbe es da ein Legitimationsproblem, aber der deutsche Geldregen für die Rüstungsindustrie ist beschlossene Sache.
"Jetzt wissen wir, wie ein Feind aussehen könnte"
Die FDP-Politikerin Marie-Agnes Strack-Zimmermann hat es Ende Mai in einem Anflug von Ehrlichkeit auf den Punkt gebracht:
Was wir brauchen - das mag martialisch klingen - Sie brauchen, um aus Sicht der Bundeswehr zu agieren, ein Feindbild.
Marie-Agnes Strack-Zimmermann im Mai gegenüber dem Redaktionsnetzwerk Deutschland
Russland sei in den letzten Jahren der "Appeasement-Politik" nicht mehr als solches empfunden worden, so die Vorsitzende des Verteidigungsausschusses im Bundestag, die der Verein LobbyControl wegen ihrer Tätigkeit in Vereinen mit zentraler Beteiligung der Rüstungsindustrie kritisiert.
"Jetzt wissen wir, wie ein Feind aussehen könnte, in diesem Fall aussieht. Und deswegen muss auch die Nato angepasst werden an das Thema China, was passiert mit dem Iran, wie gehen wir weiter mit Russland um", fuhr Strack-Zimmermann fort.
Was TKMS-Chef Burkhard die "Neukalibrierung der Sicherheitspolitik" nennt, beinhaltet also längerfristige Pläne, in denen die Ukraine vielleicht gar keine wichtige Rolle mehr spielt, aber dafür Kriegsschiffe, die ab 2024 gebaut werden. Die Auftragsbücher der Marinesparte von ThyssenKrupp sollen bis weit über 2030 hinaus gefüllt sein.
Auf der Einkaufsliste für die Bundeswehr stehen unter anderem atomwaffenfähige F-35-Kampfjets, enthalten im Etat für die Modernisierung der Luftwaffe, der 40,9 Milliarden Euro beträgt. Die 38 Tarnkappenbomber sollen mit insgesamt 5,5 Milliarden zu Buche schlagen. Über diesen Betrag darf sich allerdings der US-Konzern Lockheed Martin freuen.
Die IG Metall ist übrigens nicht durchweg der Meinung, dass sie über jeden neuen Rüstungsauftrag in Deutschland jubeln muss, nur weil es Arbeitsplätze in diesem Bereich gibt – sie war es jedenfalls bis vor kurzem nicht. Seine Gewerkschaft sei "für Frieden und Abrüstung", versicherte in einem Interview auf deren Homepage vor der "Zeitenwende" Jürgen Kerner, zeitweise im IG Metall-Vorstand für Wehr- und Sicherheitstechnik zuständig.
Gefordert wurde damals – noch unter Kanzlerin Angela Merkel – ein "industriepolitischer Dialog" über Alternativen zur Produktion von Waffen für den Export in Kriegs- und Krisengebiete. Dieses Ziel scheint vorerst in weite Ferne gerückt zu sein.