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Kriegstüchtig in fünf Jahren: General Breuers Appell an deutsche Gesellschaft

Carsten Breuer, Generalinspekteur. Bild: Tim Frank, US-Army

Trump lässt Nato fallen, Stoltenberg verlangt Aufrüstung, General fordert Kriegstüchtigkeit. Kommt die Wehrpflicht zurück? Was Wehrtüchtige und Eltern nun wissen müssen.

Wie aggressiv ist Russland einzustufen und wie steht es mit der Verteidigungsfähigkeit der Nato und der europäischen Länder? Auf diese Fragen gab es an diesem Wochenende großes Medienecho.

"Allergrößte Unruhe" [1] (ZDF-Korrespondent Florian Neuhann) stiftete der aussichtsreiche Kandidat für die anstehenden US-Präsidentschaftswahlen Donald Trump, der seinen Ruf als Nato-Schreckgespenst auf einer Wahlkampfveranstaltung in South Carolina verfestigte.

Trump erschreckt Nato

Die New York Times [2] zitiert ihn damit, "dass er die Nato-Verbündeten gewarnt hat, wenn sie nicht zahlen, würde er Russland sagen, dass sie tun können, was immer sie wollen". Im englischen Original ist das noch kräftiger formuliert: He would "encourage" Russia "to do whatever the hell they want".

Angeblich habe er dies einem von ihm nicht namentlich genannten Regierungschef eines Nato-Landes gesagt, als er noch US-Präsident war. Eine allein von ihm beglaubigte Anekdote also, mit der Trump seine Anhänger befeuerte. Jenseits des Atlantiks spitzt man da die Ohren. Mit Grund: Trumps Distanzierungen von der Nato [3] mit Knalleffekt sind nicht nur von gestern [4].

Dem ZDF war die jüngste Äußerung des Wahlkampf-Feuerwerkers eine Eilmeldung [5] wert. Anlass ist die Befürchtung, dass auf den Schutz der USA unter einem wiedergewählten Trump wenig Verlass wäre:

"Ex-Präsident Trump will säumige Nato-Partner 'nicht beschützen'."

Stoltenberg beunruhigt

Nato-General-Sekretär Jens Stoltenberg reagierte schnell mit einem grundsätzlichen Statement, erkennbar beunruhigt:

Die Nato bleibt bereit und fähig, alle Verbündeten zu verteidigen. Jedem Angriff auf die Nato wird mit einer gemeinsamen und kraftvollen Antwort begegnet. Jede Andeutung, dass Verbündete sich nicht gegenseitig verteidigen würden, untergräbt unser aller Sicherheit, auch die der USA. Ich erwarte, dass unabhängig vom Ausgang der US-Präsidentschaftswahl die USA ein starker und engagierter Verbündeter der Nato bleiben werden.

Jens Stoltenberg, ZDF [6]

Schon Zweifel daran, ob die USA unter Trump ihren Bündnisverpflichtungen nachkommen, können ausreichen, "um die Abschreckung der Nato entscheidend zu schwächen", kommentiert Florian Neuhann [7].

Das Kriegsgeschehen in der Ukraine sieht gegenwärtig nicht gut für das von der russischen Armee angegriffene Land aus, trotz der Nato-Unterstützung.

Es fehlen Soldaten, Munition und Waffen [8]. Angesichts dessen, dass man vor einiger Zeit noch über einen Sieg der ukrainischen Verteidiger gegen die Invasoren sprach, entsteht der Eindruck, dass die Nato die militärischen Fähigkeiten der russischen Armee unterschätzt hat.

Mehr in Rüstung investieren

Nach dem Scheitern der ukrainischen Sommeroffensive hat man dies auch schon einmal öffentlich eingeräumt; sehr gut möglich, dass man das nun intern ehrlicher weiterdiskutiert als nach außen.

Jedenfalls gab es am Wochenende Zeichen, dass man jetzt gegensteuern will. Fast wie ein Alarmsignal. Stoltenberg rief dazu auf, mehr in europäische Rüstung zu investieren und sich damit zu beeilen (Tagesschau [9]).

Wir müssen unsere industrielle Basis schneller wiederherstellen und ausbauen, damit wir die Lieferungen an die Ukraine erhöhen und unsere eigenen Bestände wieder auffüllen können. (…) Das bedeutet, von langsamer Produktion in Zeiten des Friedens zu schneller Produktion, wie sie in Konflikten nötig ist, zu wechseln.

Jens Stoltenberg, Tagesschau [10]

Europas Rüstungsunternehmen sollen "mehr und schnellere Aufträge" bekommen, so die Forderung Stoltenbergs, wie sie die Tagesschau übermittelt. Als Argument wird angeführt, dass Waffenhersteller unterschriebene Verträge bräuchten, um ihre Produktion hochzufahren.

Mehr Geschäftstüchtigkeit bei der Aufrüstung

Als Prämisse für mehr Geschäftstüchtigkeit bei der Aufrüstung gilt, dass man sich "auf die Möglichkeit einer jahrzehntelangen Konfrontation mit Russland vorbereiten müsse". Der Nato-Generalsekretär fürchtet schlimme Folgen, wenn "Putin in der Ukraine gewinnt".

Dann gebe es "keine Garantie dafür, dass die russische Aggression sich nicht noch auf andere Länder ausbreitet".

Die Diskussion über die russische Aggression fächert sich indessen weiter auf.

Es geht nicht nur um mehr Produktion von Kriegsmaterial und einen neuen, verschärften Rüstungswettlauf, der auf die Stärke der Wirtschaften im Westen baut – "Die Wirtschaft und die industrielle Stärke des Westens stellten Russland bei weitem in den Schatten" (Stoltenberg [11]) –, sondern auch um einen Mentalitätswandel in der Gesellschaft, der in regelmäßigen Wiederholungen eingefordert wird.

Es geht also nicht nur um die militärischen Fähigkeiten der Bundeswehr, sondern auch um das Mindset der Gesellschaft.

Mehr Kriegstüchtigkeit bei der Bundeswehr und in der Gesellschaft

Aktuell fordert General Carsten Breuer eine "Gedankenwende, sowohl in der Gesellschaft als auch und vor allem in der Bundeswehr", wie er der Welt am Sonntag erklärte. Die Überschrift zum Artikel in der Printausgabe lautet: "In fünf Jahren kriegstüchtig sein".

Die Wams leitet das Gespräch mit dem Diplompädagogen, der seit März 2023 Generalinspekteur der Bundeswehr ist, mit dem Lehrer-Vorspann ein, wonach Breuer dazu drängt, die Abschreckung "schnellstmöglichst so zu erhöhen, dass Moskau nicht auf dumme Gedanken kommt".

Einiges an Breuers Äußerungen zur Kriegstüchtigkeit ist rational, nachvollziehbar und eindeutig. Vor allem, wenn es um die Fähigkeiten der Bundeswehr geht. Da ist er konkret.

Die Bundeswehr brauche mehr Rekruten, um auf die Sollstärke von über 200.000 zu kommen, bislang sind es gut 180.000. Auch brauche es mehr Investitionen, um die Einsatzbereitschaft der Armee sicherzustellen. Auch sollen Auslandseinsätze neu überdacht werden.

Die Strukturen, die die letzten Jahre hinweg sinnvollerweise auf internationales Krisenmanagement ausgerichtet waren, müssten nun stärker unter dem Gesichtspunkt betrachtet werden, wie eine "effektive Landesverteidigung und Bündnisverteidigung" durchzuführen sei, gab Breuer zu verstehen.

Sein Hauptanliegen: Es komme ganz auf die Abschreckung an, damit das Risiko für einen Angriff so hoch gesetzt werde, dass der Gegner davor zurückschrecke.

Geht es um die Wiedereinführung der Wehrpflicht?

Schwierig und uneindeutig wird es, wenn es um die Kriegstüchtigkeit geht, in der, so Breuer, sehr viel mehr stecke als nur Verteidigungsbereitschaft, wie sie der Journalist in der Frage angesprochen hatte: Kriegstüchtigkeit sei als Aufgabe eines Mentalitätswechsels zu verstehen.

Heißt das, dass die Wehrpflicht wieder eingeführt werden soll? Zuletzt gab es einen ganzen Strauß an Artikeln (Welt [12], Spiegel [13], FAZ [14], RND [15]) , die für die Wiedereinführung plädierten.

Stets wird das schwedische Modell [16] dazu erwähnt, wie dies auch Verteidigungsminister Pistorius und Breuer ebenfalls schon taten. "Zurück zum Bürger in Uniform", schrieb der Spiegel. Diese Diskussion läuft schon

Oder läuft die Forderung des Generalinspekteurs nach einer kriegstüchtigen Mentalität in der Gesellschaft – der darin dem Verteidigungsminister folgt –, lediglich darauf hinaus, dass gesellschaftspädagogisch ein Umdenken in Gang gesetzt werden soll, das die allgemeine Opferbereitschaft und Frontstellung angeht?

Eine Präzisierung der Leerformel, die eine geistig-moralische Wende anklingen lässt, steht noch aus. Dafür wird alles Mögliche in den Topf mit dieser Überschrift geworfen. Eine Klärung wäre nötig für genauer geführte, differenzierte Debatten.

Geht es um eine andere Pädagogik?

Der Begriff "kriegstüchtig" hat nämlich seine Abgründe. Dazu muss man nicht nur an die deutsche Vergangenheit erinnern, sondern hinschauen, was die "Eigendynamik" der gegenwärtigen Kriege in der Ukraine und im Gazastreifen mit Hunderttausenden Opfern anrichtet.

Was verstehen denn die Bundeswehrführung und der Verteidigungsminister genau unter dem Mentalitätswandel?

Müssen sich Eltern von jungen Teenagern darauf vorbereiten, dass ihre Kinder zur Bundeswehr einberufen werden? Oder sie für Ideen kämpfen sollen, die dann ein Wechsel an mächtiger politischer Stelle dann plötzlich als irrelevant erklärt? Sollen die Erzieher in den Kindergärten und Schulen umdenken und auf mehr Härte setzen?

Es gäbe viel Diskussionsbedarf.

Wäre #kriegstüchtig das Unwort d. Jahres 2023 u. nicht vorgezogen (mit Veröffentlichung vom 10.01.24) das Wort #Remigration, hätten wir jetzt einen anderen Diskurs über die Militarisierungsstrategien unserer Wirtschaft und Förderung der Kriegsbereitschaft in unserer Gesellschaft.

Sabine Schiffer [17]

URL dieses Artikels:
https://www.heise.de/-9625199

Links in diesem Artikel:
[1] https://twitter.com/fneuhann/status/1756677901120917960
[2] https://www.nytimes.com/live/2024/02/10/us/trump-haley-biden-election
[3] https://www.nytimes.com/2023/12/09/us/politics/trump-2025-nato.html
[4] https://www.nytimes.com/2019/01/14/us/politics/nato-president-trump.html
[5] https://www.zdf.de/nachrichten/politik/ausland/trump-nato-mitglieder-schutz-100.html
[6] https://www.zdf.de/nachrichten/politik/ausland/trump-nato-mitglieder-schutz-100.html
[7] https://www.zdf.de/nachrichten/politik/ausland/trump-nato-mitglieder-schutz-100.html
[8] https://www.telepolis.de/features/Ukraine-Krieg-Das-Endspiel-um-die-Festung-Awdijiwka-9625056.html
[9] https://www.tagesschau.de/ausland/europa/nato-kriegsgefahr-stoltenberg-100.html
[10] https://www.tagesschau.de/ausland/europa/nato-kriegsgefahr-stoltenberg-100.html
[11] https://www.tagesschau.de/ausland/europa/nato-kriegsgefahr-stoltenberg-100.html
[12] https://www.welt.de/politik/deutschland/plus249970526/Bundeswehr-Die-klaffende-Luecke-in-der-deutschen-Landesverteidigung.html
[13] https://www.spiegel.de/politik/wehrpflicht-zurueck-zum-buerger-in-uniform-kommentar-a-77881cfe-35e2-4565-befc-c43888c49bb0
[14] https://www.faz.net/aktuell/politik/inland/wehrpflicht-plaene-von-boris-pistorius-widerstand-in-spd-waechst-19407599.html
[15] https://www.rnd.de/politik/bundeswehr-deutschland-ist-noch-lange-nicht-kriegstuechtig-AVN7B66QRFEP3FRBKYZ7KJBPMU.html
[16] https://www.bundeswehr.de/de/aktuelles/meldungen/generalinspekteur-zur-kriegstuechtigkeit-bundeswehr-5718502
[17] https://twitter.com/IMVErlangen/status/1756276325717799335