Kriegstüchtigkeit im Feuilleton: Weiße Tauben im Visier

Christiane Voges
Friedenstaube mit Zweig im Schnabel

Wie mit der Friedensbewegung abgerechnet wird. Statt weißer Friedenstauben soll "robuster Antifaschismus" ans Werk, um Frieden zu erzwingen. Analyse und Kommentar.

Die weißen Tauben sind nicht mehr nur müde. Nein, ein, zwei Zeitenwenden weiter flattern sie nun "nach rechts", glaubt man Johannes Schneider, seines Zeichens (es ist nicht das Peace-Zeichen) "politischer Feuilletonist" bei Zeit und Zeit online.

Schaut man sich seinen aktuellen Artikel aus Anlass seiner ganz persönlichen Abrechnung mit den friedensbewegten Ostermärschen 2025 an, lässt sich festhalten: eher wohl mittlerweile ein militär-politischer Feuilletonist. Sein Text erscheint als ein Paradebeispiel oliv-grüner Kriegsertüchtigung vom Schreibtisch aus. Aber der Reihe nach.

Tief im Westen der alten BRD

Der Autor wählt einen typischen szenischen Einstieg, um das Publikum mitzunehmen:

"In meinem Elternhaus gab es einen alten Schreibtisch, und in dem Schreibtisch gab es eine Schublade."

Tief im Westen der alten BRD fand Schneider hier im Arbeitszimmer der Eltern neben allerhand anderem "Kram" auch Ansteck-Buttons mit Friedenssymbolen wie der weißen Taube auf blauem Grund.

Aber seine Eltern erklärten ihm das Ganze schon damals merkwürdig "rotwangig", also verklärend sehnsuchtsvoll und wohl etwas blauäugig. Jedenfalls weder wirklich cool noch echt realistisch – wir kommen darauf zurück.

Denn die schärfsten Kritiker der Elche waren ja früher oft selber welche, wie es F.W. Bernstein einst auf den kritischen Punkt brachte.

"Der Frieden hat die Seiten gewechselt"

Damit man nun auch die eigene Zeitenwende gut erklären kann, zumindest sich selbst, wird die kleine weiße Friedenstaube flugs auf die angeblich andere Straßenseite geschickt:

Heute hat der Frieden die Seiten gewechselt, hat den linken Mainstream verlassen, dessen Vorhut linksgrüne Elternhäuser wie meines waren, und ist mittlerweile tief verankert in den Slogans von Viktor Orbán und der AfD.

Johannes Schneider, Die weißen Tauben flattern nach rechts

Aber hej, Sie sagen es ja sogar selbst, Johannes Schneider: "In den Slogans"!

Doch im Feuilleton kein Wort davon, dass die AfD-Fraktion im alten wie im neuen Bundestag für alle möglichen deutschen Militarisierungs-Schritte locker zu haben ist, wenn sie nicht sogar selber voranprescht: von Bundeswehr-Ausbau bis Heldengedenktag.

Hufeisen und demokratische Mitte

Keine Frage dazu, wie ernst es die AfD-Spitze mit ihrem "Frieden mit Russland" tatsächlich und langfristig meinen mag – vielleicht trägt sie ja hier auch einfach eine Tarnkappe, um nicht weite Teile ihrer Wählerschaft gerade in Ostdeutschland ins eigene Knie zu schießen?

Nein, statt dessen hier eine gar nicht ganz so neue Version von "lechts gleich links", Hufeisen hin und her: Die Ränder sind das Problem. Die nerven mit ihrem Friedensgedöns von vorgestern.

In der sogenannten demokratischen Mitte hingegen, wo die Staatsräson zu Hause sein soll, werden ganz andere Scheinfragen gestellt – und die Antworten natürlich gleich mitgegeben:

"Wir Kinder der Ostermarschiererinnen (fragen) uns heute, ob unsere Kinder Deutschland verteidigen sollen."

Hallo: Wenn das nicht ukrainische Waffenbrüder und -schwestern oder anderweitig ausländische Fachkräfte (vulgo: Söldner*innen) weitgehend für "uns" machen sollten – wer denn dann?

Im Ernst: Schneiders Marschrichtung ist klar:

"Auch die weißeste Taube kann ihre Unschuld verlieren."

Antimilitarismus und Pazifismus entsorgen

Während sein falsches "Wir" natürlich seine Unschuld behält – und damit Folgendes vernebelt: Es würden ganz sicher auch hier nicht vor allem Angehörige der Eliten oder deren Kinder/Enkel als Kanonenfutter in die Schützengräben und Minenfelder geschickt. Sondern wie in jedem Krieg bisher insbesondere die Unterprivilegierten – sei es nun in einer Berufs- oder Wehrpflichtarmee.

Schneider versucht, mit seiner Eltern-Vergangenheit zugleich jeden Antimilitarismus oder Pazifismus zu entsorgen: Der "volkstümliche Pazifismus der einstigen Ostermarschierer" sei schon immer "inhaltsleer" gewesen.

Die neuen Gutmenschen

Einen "grandiosen Mangel an Coolness" mag er jenen Ewiggestrigen noch am ehesten nachsehen. Auch die damalige Erfindung "Gutmensch" sei keine ganz sinnlose gewesen. Denn heute, so lässt sich Schneiders Text paraphrasieren, wären dann die oliv-grünen Kriegstüchtigen mit ihren typischen Habeck-Bauchschmerzen die neuen "Guten".

Schneiders gepflegtes Ressentiment gegen Ostdeutsche vulgo Vulgärpazifisten blitzt immer wieder auf. Sein Blick ist dermaßen westdeutsch geprägt, dass man sich fragt, ob die Zeit-Macher unter ihrem Publikum auch nur einen einzigen "Zoni" vermuten:

Kinder besangen (die Friedenstaube) auf Kirchentagen und auf importierten Amiga-Platten.

Schlimm genug das alles, denn es waren natürlich bundesdeutsche Kinder – und wenn es in der DDR auch sonst nichts gab, aber Amiga-Platten musste man nicht importieren.

Hufeisen reloaded

Der Autor offenbart gewissen Drehschwindel in Zeitenwende-Zeiten:

Heute klingen Rechte wie Achtzigerjahre-Kabarettisten in der ARD-Sendung Scheibenwischer oder wie Reinhard Mey in seinen schlechteren Liedern.

Erneut: Hufeisen reloaded – die Extreme waren und sind schlimm! Sind im Grunde dasselbe. Kein Wort davon, dass Linke internationalistisch insbesondere gesellschaftliche Strukturen der Ausbeutung/Unterdrückung kritisieren und ändern wollen, während Rechte nationalistisch vor allem bestimmte Menschen anfeinden und Schlimmeres.

"Linkes" Gedankengut der 1980er-Jahre hätte den heutigen Rechten den Weg bereitet? Klar, das Böse kommt auch im politischen Feuilleton von außen. Und nicht aus der Mitte der Gesellschaft, wo und von wo aus alle möglichen Konkurrenzen immer weiter verschärft werden. Unter anderem mit der Folge, dass die Rechten/Rechtsextremen in vielen Staaten immer stärker werden.

Unterkomplexer "Breitbandpazifismus"

Was aber ist des Pudels Kern, mit Blick auf Schneiders Text? Er lässt die Katze aus dem Sack:

(...) Heute (leugnen) Rechte die Notwendigkeit militärischer Abschreckung gegenüber expansiven Diktaturen.

Hier werden zwei Fliegen mit einer Klappe geschlagen:

1. Wird ohne jedes Argument "die Notwendigkeit militärischer Abschreckung gegenüber expansiven Diktaturen" behauptet. Gemeint ist natürlich weitere, deutliche Militarisierung.

Denn es ist ja nicht so, dass die Nato samt Bundeswehr derzeit ein Ponyhof oder Kindergeburtstag wäre. "Expansive Diktaturen" kann sich nur auf Russland und China beziehen und macht damit die doppelte Stoßrichtung dieser Kriegs-Rhetorik deutlich.

2. Zugleich wird, wie beim "Schlagen im Vorübergehen" im Schachspiel, ein scheinbar nur etwas im Wege stehender Bauer einfach abgeräumt: Kritik am aktuellen Aufrüstungskurs von alter und neuer Bundesregierung, von Rheinmetall oder VW wird generell als "rechts" geframt und damit diffamiert.

Der laut Schneider schon immer unterkomplexe "Breitbandpazifismus" jetzt in Version 4.0., als angebliche Querfront von Rechten und Linken. Wie buchstäblich "inhaltsleer" dabei Schneiders Verständnis von "links" ist, zeigt sich nicht zuletzt darin, dass er das entsprechende Spektrum abgrenzt mit den Namen von Ole Nymoen und "Toni" (ja, die sachliche Version "Anton" wäre wahrscheinlich eine Art Kriegserklärung) Hofreiter.

Frieden erzwingen mit "robustem Antifaschismus"

Laut Schneider "erzwingt man Frieden nicht mit Radikalpazifismus, sondern mit robustem Antifaschismus – in Deutschland etwa mit dem klaren Bekenntnis, dass die vordringliche Lehre aus der Nazizeit nicht ‚Nie wieder Krieg‘ ist, sondern ‚Nie wieder Faschismus‘. Denn: Faschismus bedeutet Krieg, das stimmt heute wie vor 90 Jahren".

Den Rest müssen und können wir uns denken: Schon wieder ist jetzt! Nun kann auch noch die Vergangenheit der deutschen Groß- und Urgroßeltern entsorgt werden. Logisch also, dass diesmal eben Putin der Faschist ist (nebenbei: Schneider scheint auch keinen Begriff von Faschismus zu haben) und damit maximale Aufrüstung gegen Russland ganz einfach "robuster Antifaschismus". So wird der Russe zumindest rhetorisch schon mal mattgesetzt.

Überraschung übrigens: Johannes Schneider schreibt schließlich, er reagiere mittlerweile auf weiße Tauben vor blauem Grund "äußerst misstrauisch". Wenn man so will, hat er sie mittlerweile zumindest "auf dem Kieker", oder eben schon mal präventiv "im Visier".

Denn: Wer weiß, wo die noch hinflattern.

DDR-Kinder-Lied "Kleine weiße Friedenstaube"

Und das DDR-Kinder-Lied "Kleine weiße Friedenstaube", die allen Menschen Frieden bringen möge, ist ganz sicher keine Musik in Schneiders Ohren. Genau dieses Lied wurde übrigens bereits 1990, als der westdeutsche Cornelsen-Verlag den DDR-Verlag "Volk und Wissen" gerade übernommen hatte, aus den Schul- und Liederbüchern gestrichen – sorry, Wikipedia liegt auch hier korrekt auf Linie: Es wird einfach "seit 1990 nicht mehr geführt". Man hätte auch schreiben können: Es wurde gestrichen oder zensiert. So klingt es putzig harmlos.

"Äußerst misstrauisch" jedenfalls war aus gutem Grund nach eigener schlechter Erfahrung mit "robustem" Fronteinsatz auch der Journalist und Schriftsteller Kurt Tucholsky (1890 bis 1935).

Vor ziemlich genau 100 Jahren schrieb er, nach seinen Erfahrungen im Ersten Weltkrieg mittlerweile überzeugter Antimilitarist, im August 1925 in der Zeitschrift "Das Andere Deutschland":

Wer im Kriege getötet wurde, ist nicht zu feiern, sondern aufs Tiefste zu bedauern, weil er für einen Dreck gefallen ist.

Wäre das im Lichte der heutigen "Zeit" nur "Breitband-Pazifismus", oder doch schon "Lumpen-Pazifismus"?