Kriegsverbrechen: Schwere Vorwürfe gegen ukrainisches Freiwilligen-Bataillon
Die französische Zeitung Le Monde verifiziert ein Video, das brutale Misshandlungen an russischen Kriegsgefangenen in der Nähe von Charkiw zeigt
Es ist ein kleines Politikum auf schwierigem Gelände. Die französische Zeitung Le Monde veröffentlichte am Wochenende Video-Material, das zeigt, wie Kämpfer mit ukrainischen Abzeichen auf wehrlose russische Kriegsgefangene schießen.
Für die Leserschaft, die viel in sozialen Netzen unterwegs ist, sind Videos mit solchen oder ähnlichen Bildern keine Neuigkeit. Seltener kommt vor, dass eine große Zeitung auf ein Video mit Kriegsverbrechen von ukrainischer Seite hinweist. Die Journalisten haben die Videoaufnahmen verifiziert, heißt es schon in der Überschrift.
In dem acht Minuten und 40 Sekunden langen Ausschnitt werden zu Anfang mehrere Videoausschnitte gezeigt, die aus dem sozialen Netzwerk Telegram stammen, und den Vorwurf erheben, dass ukrainische Kämpfer verantwortlich für mindestens schwer verletzte, wenn nicht sogar tote russische Soldaten sind, die regungslos in Blutlachen liegen. Die Bild-Aufnahmen stammen vom 26. März und vom 4. April. Der Sprecher macht darauf aufmerksam, dass solche Bilder meist in Zusammenhang mit russischer Propaganda gebracht werden.
Erklärt wird anschließend, dass sich das Team aus Journalisten und Beratern zur Überprüfung der Echtheit das meistverbreitete Video ausgesucht habe. Es stammt vom 27. März dieses Jahres, gefilmt wurde es auf einem Betriebshof in Malaya Rohan, an der östlichen Peripherie von Charkiw, fünf Kilometer von der Stadt entfernt.
Die Kamera zeigt fünf Soldaten am Boden liegend, danach wendet sie sich einem stehenden Mann und einem Kleinbus zu, aus dem drei Männer klettern. Die Stimme erklärt, dass es sich um Kriegsgefangene handelt und warnt den Zuschauer schon vorab, dass auf sie geschossen wird. Ihnen wird aus nächster Nähe in die Knie geschossen. "Wer sind die Männer?", fragt die Stimme.
Anhand weißer Armbänder und eines anderen Zeichens werden die Opfer als russische Kriegsgefangene identifiziert, die Männer, die geschossen haben, werden aufgrund ihrer blauen Abzeichen als Ukrainer identifiziert, was durch eine Sprachanalyse weiter bestätigt wird. Ort und Zeit werden durch den Abgleich des Himmels und der Wetterverhältnisse ("Schneespuren im Hof") überprüft. Dazu werden russische und ukrainische Truppenbewegungen geschildert.
"Der Ruf nach Rache"
Viel Wert wird in dem Video auf einen Kontext gelegt, auf den schon zu Beginn hingewiesen wird: der Ruf nach Rache für die brutalen russischen Angriffe auf Charkiw. In diesem Zusammenhang werden dann ukrainische Freiwilligenverbände vorgestellt - darunter auch eine Einheit des Asow-Regiments namens Kraken -, um am Ende dann das Foto des nationalistischen Bataillons Slobozhanshchina (ein historisch aufgeladener Name, siehe etwa Sloboda Ukraine) aus Charkiw zu zeigen, worauf sich ein Mann deutlich und selbstbewusst exponiert: Andriy Yangolenko.
Weitere Folgerungen, Bildervergleiche, Abstimmungen mit Zeit und Ort etc. führen dazu, dass Yangolenko und Mitglieder des Bataillons Slobozhanshchina schwer beschuldigt werden. Nach allem, was vorgebracht wird, sind sie es, die mit allergrößter Wahrscheinlichkeit das Video gedreht haben und auch für die darin dargestellten Verbrechen verantwortlich sind. Es hatte zu diesem Zeitpunkt auch niemand anders die Kontrolle über den Hof, wo das Geschehen stattfand.
Der oder die Schützen sind allerdings nicht zu identifizieren. Die Frage nach dem Täter bleibt offen.
Auf diese Vorfälle angesprochen teilte der Berater des ukrainischen Präsidentenbüros, Aleksey Arestovich, mit, dass es eine Untersuchung geben werde. Er deutet ebenfalls auf die schwierige psychische Situation - den Kontext für die Brutalitäten. Dennoch seien diese Taten inakzeptabel.
Als Zulieferer von Bildmaterial für die Arbeit der Journalisten nennt der Le Monde-Artikel Erich Auerbach. Auf dessen Twitter-Konto kann man manches, was im französischen Artikel zur Sprache kommt, auf Englisch lesen.
Das schwierige Gelände
Aussagen, die ukrainische Kämpfer, insbesondere Mitglieder des Asow-Bataillons, brutaler Vergehen gegen russische Soldaten beschuldigen, sind auf einem Mitschnitt eines Videos des französischen Sud-Radio zu hören. Dort spricht der ehemalige französische Elite-Soldat Adrien Bocquet von seinem kürzlichen Aufenthalt bei den Kämpfern und erzählt drastische Einzelheiten über einen extrem-rassistischen Corpsgeist bei den Azow-Kämpfern, die er getroffen bzw. erlebt habe, und deren brutale Behandlung von russischen Kriegsgefangenen (etwa ab Minute 18).
Im Unterschied zum genannten Video werden die Aussagen von Bocquet aber nicht verifiziert. Der ehemalige Soldat wurde, so die Darstellung des Senders, zur Vorstellung seines Buches eingeladen, das davon berichtet, wie er seine Querschnittslähmung, Folge eines Unfalls bei einer militärischen Übung, überwand und wieder gehen lernte. Das klingt zunächst politisch unschuldig.
Sein Interviewpartner, André Bercoff, ist allerdings keiner, den eine politische Neutralität oder gar Unschuld auszeichnet. Der ehemalige Linke hat in Frankreich einen Namen. Mittlerweile wird er der radikalen rechten Szene zugeordnet, die von Verschwörungsszenarien fasziniert ist und sich politisch im Infokrieg aufseiten Putins platziert. Dieser Fan-Kult wird auch dem Sender Sud-Radio vorgeworfen. Der Auftritt Bocquets, so kommentiert es die Publikation A gauche, sei pure Propaganda.
Umso wichtiger ist es, wenn große Medien wie Le Monde das Thema der Kriegsverbrechen mit offenen Augen und genauem Blick aufnehmen und nicht nur in eine Richtung schauen.