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Krim: Reisen ins Non-Grata-Land

Jugendgruppe in Jalta. Deutsche Lieder dürfen sie singen, nach Deutschland reisen wird ihnen untersagt. Foto privat

Das Auswärtige Amt rät vor Reisen auf die Krim ab, die Menschen auf der Krim fühlen sich vom Boykott diskriminiert

"Vor Reisen auf die Krim wird dringend abgeraten." So steht [1] es amtlich auf der Homepage des Auswärtigen Amts unter der Rubrik "Ukraine". Oberbürgermeisterin Margret Mergen aus Baden-Baden empfindet dies gar als "Reisewarnung". Ein Grund für die Oberbürgermeisterin, in vorauseilendem Gehorsam vor der Bundesregierung und in Anerkennung des EU-Boykotts, nicht mehr zur Partnerstadt Jalta zu reisen.

Doch selbst das Außenministerium sieht das anders: Die Reise- und Sicherheitshinweise des Auswärtigen Amtes für die Ukraine enthielte für die Krim eben keine Reisewarnung, sagt dessen Pressestelle. Es gäbe infolge des Boykotts dort lediglich keinen konsularischen Schutz. Das dürfte Durchschnittsreisende in eine völlig friedliche und sichere Gegend aber nicht wirklich tangieren.

Bei so viel Konfusion wollen aber selbst Medien wie Spiegel-Online nicht außen vor bleiben: "Moskau hat die ukrainische Halbinsel Krim im Osten des Landes 2014 annektiert und unterstützt die dortigen Separatisten, die gegen ukrainische Soldaten kämpfen. Seit Beginn des Konflikts wurden rund 13.000 Menschen getötet", wussten die Spiegelleute zuletzt am 24. April des Jahres zu berichten. Wer will sein Leben als Tourist schon im Kriegsgebiet gefährden?

Leider wird hier der von Kiew beschossene Donbass im Osten der Ukraine mit der Krim im tiefen Süden durcheinander gebracht. Allerdings gab es auf der Krim sogar schon mal eine solche Zahl. Im Kriegsjahr 1942. Damals wurden 13.000 Sowjetarmisten bestialisch in den Steinbrüchen von Adschi-Muschkai [2] von deutschen Besatzern ermordet. Teilweise mit Giftgas.

Abgesehen von solchen Verwechslungen der Himmelsrichtungen, der völligen Unkenntnis tatsächlicher historischer Gegebenheiten und der unterschiedlichen Versionen dieser "Annexion", von 2014, von anderen als Sezession bezeichnet, gab es auf der Krim im Verlauf der dort so gesehenen Wiedervereinigung mit Russland erfreulicherweise keine Toten.

Das ist peinlich für "investigative" Journalisten - aber ebenfalls Ausdruck dessen, was in Sachen Krim an Fake-News produziert wird. Ist Unkenntnis aber noch eine hinreichende Entschuldigung für schlichte politische und mediale Lügen zu den dortigen Verhältnissen, wie sie Stefan Korinth kürzlich entlarvte [3].

Wenn das medial von EU und NATO übernommene Narrativ einer annektierten Region richtig sein soll, welche den Boykott und Feindseligkeit tatsächlich rechtfertigte: Warum werden dann Menschen boykottiert, die letztlich doch nur ein Opfer dieser russischen Aggression und Annexion wären? Sie könnten eigentlich nichts dafür. Als Opfer empfinden sich die Krim-Bewohner aber durchaus: Jedoch als Opfer des Westens und nicht als eines des russischen Präsidenten Putin. "Warum hassen Sie uns?", wurde vor Ort die Lehrerin Helgard Lörcher, Vorstandsmitglied des Bundesverbands der West-Ost-Gesellschaft auch schon gefragt.

Kein Schiff wird kommen …. Bild: Jörg Tauss

Die Widersprüche deutscher Krim-Politik

Violetta Tischina aus der Hauptstadt der Halbinsel, Simferopol, ist Vorsitzende des "Heidelberg- Hauses". Dieses entstand in besseren Zeiten der Städtepartnerschaft mit Heidelberg durch eine namhafte Spende eines dortigen Unternehmers.

Sie wundert sich über die Frage mit dem Hass nicht und gibt die Meinung vieler Menschen wieder: "Wir halten die EU-Sanktionen gegen uns für einseitig, vorurteilsbeladen und für einen Verstoß der Menschenrechte. Das Beleidigendste für uns ist die Nichtanerkennung des Referendums, mit dem wir der Russischen Föderation beitreten wollten."

Aber an dieser "Beleidigung" hält wie Außenminister Heiko Maas auch der Heidelberger Oberbürgermeister Eckart Würzner hartnäckig fest. 2012 besuchte die letzte Heidelberger Delegation aus dem Rathaus der Partnerstadt, bedauert sein Kollege Viktor Agejew (Interview 2). Kontakte reduzieren sich auf Weihnachtswünsche. Der kurpfälzische OB lehnt "offizielle" Kontakte ab, wenngleich auch er "freundschaftliche Beziehungen" andererseits für sehr "bewahrenswert" hält.

Diesen Widerspruch sollen vor Ort dann ehrenamtliche Heidelbergerinnen wie Magdalena Melter auflösen, deren Simferopol-Verein seitens der Stadt aber wenigstens Reisekostenzuschüsse erhält. Melter hat wenig Verständnis für die Situation: "Wir wollen endlich Frieden. Freundschaften sollten sich doch gerade in politisch schwieriger Zeit bewähren, statt aufs Spiel gesetzt zu werden".

Ähnlich verhält es sich in Ludwigsburg, wo eine offizielle Partnerschaft mit der Krim-Stadt Jevpatorija besteht. Auch hier sind nichtprivate Kontakte auf Eis gelegt. Denn der Stadtchef hält sich, wie sein Heidelberger Kollege, an eine ominöse "Weisung" des Auswärtigen Amts, deren Existenz in Berlin aber wiederum schlicht abgestritten wird: "Es gibt keine Weisung des Auswärtigen Amts", sagt dessen Pressestelle kurz und bündig.

Dies wiederum bestreiten die Oberbürgermeister. Sie halten sich weiterhin obrigkeitsstaatlich an "Weisungen", von denen also sogar die "anweisende" Stelle behauptet, dass sie nicht existieren. Auch deren Kollegin Mergen in Baden-Baden, die eine Weisung mal bestreitet, mal nicht, hält sich dennoch daran.

Darf man diese Weisungen also wenigstens einmal sehen? Sie erfolgte telefonisch, erklärt dazu die Ludwigsburger Pressesprecherin Meike Wätjen. Würzner schweigt auf diese Frage gänzlich und lässt nur auf Berlin verweisen. So dreht sich die kommunal-bundespolitische Konfusion im Kreis und so dümpeln die gewachsenen Beziehungen vor sich hin. Die Frage ans Auswärtige Amt, ob man solche "Missverständnisse" denn nicht einmal schriftlich aufklären wolle, sind bisher unbeantwortet.

Die Folgen sind aber umso bedauerlicher. Wegen der vermeintlichen "Reisewarnung" trauten sich viele Menschen in Baden-Baden nicht mehr auf die Krim, erzählt Uta Ell, ebenfalls ehrenamtlich für die Partnerschaft mit Jalta aktiv. Ihr Mann Gerhard ist dort sogar Ehrenbürger, denn die Eheleute haben sich jahrelang auch humanitär für Behinderte engagiert.

Aufgeben wollen beide Seiten aber nicht. Natalia Fomina ist Vorsitzende einer Organisation von Deutschstämmmigen im Stadtkreis Jalta. Sie reist umständlich via Italien zu Freunden nach Deutschland, weil auch ihr der direkte Flug verwehrt ist. Es sei aber "sehr schwierig und teuer, wegen der dummen Verbote die Reise über ein anderes EU- Land zu organisieren."

Schwierig ist es umgekehrt auch für deutsche Staatsbürger. Die West-Ost-Gesellschaft in Baden-Württemberg hatte morgens schon Polizei in Schutzwesten und mit Durchsuchungsbefehl vor der Haustür.

Auf Veranlassung der deutschen Botschaft in Moskau flatterte dem gemeinnützigen Verein, ebenfalls in Sachen Städtepartnerschaften engagiert, wegen einer Krim-Reise schon mal die Strafanzeige wegen Verstoßes gegen das "Außenwirtschaftsgesetz" ins Haus. Allein dieser Vorgang ist merkwürdig genug.

Denn nach Berliner Lesart sollte doch eigentlich nicht die Botschaft in Russland, sondern allenfalls die in Kiew für die "ukrainische Krim" zuständig sein. Zuvor hatte Gernot Erler, damals noch Russlandbeauftragte der Bundesregierung, bei "nichtkommerziellen Reisen" auf Anfrage allerdings keine Bedenken geäußert. Dennoch wurde die Staatsanwaltschaft bemüht, welche Monate später und erst nach Anfall hunderter Euro an Anwaltskosten die Ermittlungen "wegen Unschuld" einstellte

Nur "illegale" Reisen sind möglich

Der Boykott weist auch sonstige Absurditäten auf. Einerseits betonte das Außenministerium in Antwort auf eine Anfrage des linken Bundestagsabgeordneten Andrej Hunko immer wieder, dass völkerverständigende Kontakte mit der Krim"wünschenswert" [4] seien. Andererseits betreiben Außenminister Maas und sein Amt eine dem völlig entgegen laufende andere Politik.

So werden aktuell Gelder für alle deutsch-russischen Projekte gestrichen, an denen auch nur einzelne Krim-Bewohner teilnehmen. So zynisch wie lapidar teilt das Auswärtige Amt in amtlichem Deutsch der Zivilgesellschaft mit:

Die Teilnahme von Vertretern der Krim an von der Bundesregierung finanziell geförderten deutsch-russischen Veranstaltungen wird jedoch aufgrund der Krim-Nichtanerkennungspolitik der Bundesregierung nicht geduldet; dies kann unter Umständen auch zur Rückforderung bereits gezahlter Zuwendungen führen.

Auswärtiges Amt

Genau das führt dazu, dass eben keine oder bestenfalls trickreiche Begegnungen möglich sind. Denn welcher Mensch von der Halbinsel nimmt unter den herrschenden Verhältnissen, bis hin zur aktuellen sprachgesetzlichen Verboten des Russischen [5] noch an irgendwelchen "deutsch-ukrainischen" statt an "deutsch-russischen" Veranstaltungen" teil? Welcher deutsche Verein kann es sich leisten, ein finanzielles Risiko einzugehen?

Pflege deutscher Kriegsgräber auf der Krim? Vom Auswärtigen Amt verboten. Bild: Jörg Tauss

Kein Reisender aus dem Schengenraum erhält umgekehrt von der Ukraine eine "Erlaubnis", die Grenze zur Krim zu überschreiten. Dies ist so einfach wie bequem nur über russische Städte möglich, was nach ukrainischer und Berliner Lesart aber wiederum eine "illegale Einreise" darstellt. Die offiziell legale Einreise ist also verbaut. Die Illegale wird kriminalisiert. Auch dies ist die Logik dieser verqueren deutschen Politik.

Und so können eben frühere Zwangsarbeiter keine Orte der schlimmen Erinnerungen mehr besuchen. Der Schüleraustausch für Deutsche liegt wegen erwähnter "Reisewarnungen" auf Eis. Jugendliche erhalten keine Visa nach Deutschland. Reisebüros sind Krim-Angebote strafbewehrt untersagt. Touristische Kreuzfahrtschiffe dürfen in Jalta nicht anlegen. Selbst die deutsche Kriegsgräberfürsorge organisiert bei Sewastopol keine Versöhnung über den Gräbern, wie Pawel Prokop vom Kompetenzcenter Jugendbegegnungen des Volksbunds weiß.

Wie sagte in Antwort an MdB Hunko das Auswärtige Amt jedoch so schön?

"Es ist aus Sicht der Bundesregierung richtig, zwischenmenschliche Kontakte zur Krim im Rahmen des Möglichen und rechtlich Zulässigen zu erleichtern".

Das "Mögliche" bezüglich des Non-Grata-Lands wird jedoch verboten und ist insofern rechtlich unzulässig. Wie darf man eine solche Außenpolitik im Unterschied zwischen Rhetorik und Praxis nennen, Herr Maas? Verlogen dürfte doch eigentlich die höflichste Formulierung sein.

Interview mit Violetta Tischina, Vorsitzende der Organisation "Haus der Freundschaft von Partnerstädten Simferopol-Heidelberg"

Vor fünf Jahren wurde die Krim wieder russisch. Was hat sich in dieser Zeit in Ihrer Stadt verändert?
Violetta Tischina: In den letzten fünf Jahren gibt es in Simferopol sehr große und umfangreiche positive Veränderungen, auf die wir Simferopoler stolz sind:
Es wurde ein neuer, schöner Flughafen gebaut, Straßen werden gebaut und repariert, der Bau von vielen mehrgeschossigen Häusern, die jahrzehntelang unvollendet standen, ist abgeschlossen. Es werden Kindergärten, Schulen gebaut sowie ein riesiges republikanisches Krankenhaus für 700 Betten.
Der Bau einer wunderschönen Moschee, der größten auf der Krim, nähert sich seinem Ende. Alle Stadtparks, Plätze sowie Kinderspielplätze wurden in Ordnung gebracht. Kliniken und Krankenhäuser haben neue moderne Einrichtungen erhalten - positive Veränderungen gibt es auf Schritt und Tritt, und es ist schwierig, alles aufzuzählen. Und all dies geschieht mit Hilfe und Finanzierung Russlands.
Von der Stadt Heidelberg zugeschlagen: Die Tür zum Heidelberghaus auf der Krim. Bild: Jörg Tauss
Wie wirkt sich der Boykott der EU gegenüber der Krim praktisch und konkret auf das Leben der Stadt und der Menschen aus? Bemerken Sie etwas davon?
Violetta TIschina: Wir halten die EU-Sanktionen gegen die Krim für einseitig, vorurteilsbeladen und einen Verstoß gegen die Menschenrechte. Das Unangenehmste und sogar Beleidigendste für die Bürger von Simferopol ist die Nichtanerkennung der Ergebnisse des Referendums von 2014, bei dem die überwiegende Mehrheit der Krim-Bürger ihren Wunsch geäußert hat, der Russischen Föderation beizutreten.
Infolge der Nichtanerkennung des Referendums durch die EU-Länder sind diese nach wie vor der Ansicht, dass die Krim ukrainisch ist, und deshalb können Krimbewohner kein Visum für einen Besuch der EU- Länder erhalten, was eine Verletzung deren Rechte darstellt. Darüber hinaus hat sich der Touristenstrom aus EU-Ländern verringert, was sich negativ auf die Wirtschaft der Krim auswirkt.
Ihre Städtepartnerschaft mit Deutschland kann wegen des Boykotts ja auch nur sehr reduziert, wenn überhaupt, stattfinden. Haben Sie persönlichen oder schriftlichen Kontakt zum Heidelberger Oberbürgermeister?
Violetta TIschina: Unsere Partnerstadt-Beziehungen können nur in sehr begrenztem Umfang gepflegt werden. Es kommen zwar zu uns Delegationen und einzelne Freunde aus Deutschland und Heidelberg über Moskau, jedoch sind die Besuche aus Simferopol in der Partnerstadt Heidelberg komplett zum Stillstand gekommen.
Und doch waren die Partnerstadt-Kontakte zwischen unseren Städten sehr umfangreich: Austausch zwischen Schulen, Krankenhäusern, Theatergruppen, Sportlern, Universitäten und gesellschaftlichen Organisationen sowie persönliche Besuche bei Freunden wurden seit der Unterzeichnung des Freundschafts- und Partnerschaftsabkommens in 1992 regelmäßig durchgeführt. Mit dem Bürgermeister von Heidelberg tauschen wir lediglich Weihnachts- und Silvestergrüße aus.
Wann hatten Sie den letzten Besuch von dort?
Violetta Tischina: Das letzte Mal besuchten unser Heidelberg-Zentrum in Simferopol Vertreter der deutschen gesellschaftlichen Organisation "Freundeskreis Heidelberg - Simferopol" im Mai und September 2018.
Haben Sie Kontakt zu den jeweiligen dortigen Partnerschaftsvereinen? Wie ist Ihre Erfahrung mit dem gegenwärtigen Stand der Beziehungen zu diesen Vereinen und wie beurteilen Sie diese Zusammenarbeit?
Violetta TIschina: Trotz der Schwierigkeiten bleiben wir in engem Kontakt mit den Bürgern von Heidelberg, insbesondere mit unserer Partnergesellschaft, dem deutschen "Freundeskreis Heidelberg-Simferopol". Fast jeden Tag kommunizieren wir per Skype mit unserer lieben Kollegin und Freundin, der Vorsitzenden der deutschen Gesellschaft Magdalena Melter, sie ist praktisch in alle unseren Aktivitäten involviert.
Wir, von unserer Seite, informieren sie über alle Ereignisse in der Stadt, über unsere Arbeit mit ehemaligen NS-Häftlingen, die die Strapazen der NS-Konzentrationslager erlitten haben, und sie erzählt uns über das Leben unserer geliebten Partnerstadt Heidelberg.
Herr Tauss, wir würden uns sehr freuen, wenn Sie uns in Simferopol besuchen könnten, dann hoffe ich, würden wir ausführlicher darüber reden.
Auf Wiedersehen und mit vielen lieben Grüßen,
Violetta Tischina

Interview mit Viktor Agejew, Oberbürgermeister der Stadt Simferopol (Hauptstadt der Krim)

Vor fünf Jahren wurde die Krim infolge der Wiedervereinigung wieder russisch. Was hat sich in dieser Zeit in der Stadt verändert?
Viktor Agejew: Das Wichtigste ist natürlich, dass heute auf der Krim Frieden herrscht, und alle Krimbewohner in Ruhe Pläne für die Zukunft machen können.
In den letzten fünf Jahren hat sich die Stadt grundlegend verändert: Probleme der Energieversorgung wurden gelöst, Schulen und Kindergärten, Krankenhäuser, Parks, Grünanlagen und Straßen werden gebaut. Natürlich erhalten wir dabei eine große Unterstützung von den republikanischen und föderalen Behörden, wir spüren auch die beispiellose Unterstützung von den Regionen Russlands, deren brüderliche Schulter.
Ich glaube, dass einer der wichtigen Indikatoren für positive Veränderungen für die Stadt die von Jahr zu Jahr wachsende Einwohnerzahl ist. Simferopol ist ja nicht nur ein administratives, sondern auch ein kulturelles, finanzielles, industrielles und Bildungszentrum der Halbinsel, so dass Menschen aus anderen Regionen zu uns kommen, um hier zu leben und zu arbeiten, zu bauen, Wirtschaft und Infrastruktur zu entwickeln.
Die gesamte Republik und ihre Hauptstadt entwickeln sich rasant. Es ist keine Übertreibung zu sagen, dass sowohl die Krim als auch ganz Russland stolz auf die Krimbrücke, die Tauris-Autobahn und das neue Terminal vom Flughafen Simferopol sind.
Wie wirkt sich der Boykott der EU gegenüber der Krim praktisch und konkret auf das Leben in Ihrer Stadt und der Menschen aus? Bemerken Sie etwas davon?
Viktor Agejew: Die ausländischen Sanktionen gegen Russland und gezielten Beschränkungen gegen die Krim haben das Programm der sozialen und wirtschaftlichen Entwicklung unserer Region und der Stadt geringfügig beeinflusst, aber, was das Wichtigste ist, sie haben die guten Beziehungen zwischen den Bewohnern unserer Städte - Simferopol und Heidelberg - nicht beeinträchtigt, die durch fast 30 Jahre Freundschaft verbunden sind. Es ist wichtig, dass wir unsere Kommunikation über den Rahmen des offiziellen Kooperationsabkommens hinaus längst auf die Ebene der "Volksdiplomatie" bringen konnten.
Ihre Städtepartnerschaft mit Heidelberg in Deutschland kann wegen des Boykotts ja auch nur sehr reduziert, wenn überhaupt, stattfinden. Haben Sie persönlichen oder schriftlichen Kontakt zum Oberbürgermeister oder zu sonstigen Personen der Verwaltung dort?
Viktor Agejew: Wenn immer möglich, zum Beispiel bei der Annahme oder Übermittlung von Glückwünschen zum Jahrestag der Unterzeichnung des Kooperationsabkommens zwischen Simferopol und Heidelberg, übermittle ich, im Namen aller Simferopol-Bewohner, den Bewohnern von Heidelberg und persönlich dem Heidelberger Bürgermeister Dr. Eckart Würzner meine aufrichtigen Wohlstands- und Glückwünsche.
Darüber hinaus freuen wir uns, Gäste aus unserer Partnerstadt jederzeit begrüßen zu können. So besuchten im vergangenen Sommer das Ehepaar aus Heidelberg Ulrich Poblotzki und Yvonne Bauer-Poblotzki sowie der Geschichtslehrer, Journalist und Mitglied des "Freundeskreises Heidelberg-Simferopol" Detlef Zeiler die Krim mit einer Touristen- und Forschungsreise. Sie kamen gerne nach Simferopol, um uns zu treffen, und nahmen dann an Veranstaltungen anlässlich des Stadtfestes teil.
Trotz der Sanktionen funktionieren die Kooperationsprogramme mit Heidelberg weiter. Im Rahmen der Unterstützung des akademischen Nachwuchses und des internationalen Austausches findet in Heidelberg jährlich die Internationale Wissenschafliche Sommerschule - eines der wichtigsten Projekte im Rahmen der Zusammenarbeit Heidelbergs mit seinen Partnerstädten - statt. Die Oberschüler von Simferopol haben seit 1995 und bis heute die Möglichkeit, ihre Kenntnisse in Naturwissenschaften und Fremdsprachen in diesem Ferienlager zu vertiefen und Freunde aus verschiedenen Ländern zu finden. Leider ist seit 2014 der Austausch von Schülern sowie die Teilnahme unserer Schüler an internationalen Projekten schwieriger geworden. Aber auch trotz der entstandenen komplizierten Situation versucht die Stadtverwaltung, gemeinsam mit Eltern von Schülern, die sich besonders im Lernen bewährt haben, einen Ausweg zu finden und findet diesen. So besuchten beispielsweise 2017 und 2018 zwei Schülerinnen des Simferopoler Gymnasiums Nr. 9 die Heidelberger Sommerschule.
Wann hatten Sie den letzten "offiziellen" Besuch aus Heidelberg?
Viktor Agejew: Das letzte Mal besuchte eine offizielle Delegation aus Heidelberg die Krimer Hauptstadt im Jahre 2012 anlässlich der Feierlichkeiten zum 20-jährigen Jubiläum der Aufnahme von Partnerschaftsbeziehungen zwischen unseren Städten.
Haben Sie Kontakt zu den jeweiligen dortigen Partnerschaftsvereinen, z. B. dem Heidelberg- Haus? Wie ist Ihre Erfahrung mit dem gegenwärtigen Stand der Beziehungen zu diesen Vereinen und wie beurteilen Sie diese Zusammenarbeit?
Viktor Agejew: Auf dem Territorium von Simferopol führt eine aktive Tätigkeit unsere lokale öffentliche Organisation "Haus der Freundschaft der Partnerstädte "Simferopol-Heidelberg" (das Heidelberg-Zentrum), die seit vielen Jahren von der ständigen Vorsitzenden der Gesellschaft "Freundeskreis: Simferopol-Heidelberg", unserer Freundin und Gleichgesinnten aus der Partnerstadt, Magdalena Melter, unterstützt wird.
Ich möchte erwähnen, dass das Heidelberg-Zentrum im Laufe der Jahre der Freundschaft nicht nur zu einem Zentrum der deutschen Sprache und Kultur in der Hauptstadt der Krim wurde, sondern auch zu einem Ort großer sozialer Arbeit mit Behinderten, ehemaligen Opfern des Nationalsozialismus, Diabetikern und einsamen älteren Menschen. Im Zentrum wird rechtliche und medizinische Hilfe geleistet. Auch die jüngere Generation wird im "Haus der Freundschaft" nicht vergessen: Kinder lernen Deutsch und junge Menschen werden in die Aktivitäten des Zentrums einbezogen. Simferopol seinerseits begrüßt alle Initiativen, die sowohl von Magdalena Melter als auch von der Vorsitzenden des Hauses der Freundschaft der Partnerstädte, Violetta Tischina, ausgehen.
Wie sollte sich die Partnerschaft in der Zukunft wieder entwickeln?
Viktor Agejew: Die Simferopoler schätzen die kontinuierlichen Kontakte mit Heidelberg über den "Freundeskreis" unserer Städte und das "Haus der Freundschaft der Partnerstädte Simferopol-Heidelberg" sehr. Ich bin sicher, dass die entstandenen Beschränkungen kein Hindernis für eine enge Zusammenarbeit zwischen unseren Städten sondern im Gegenteil ein Anreiz sein werden, langfristige Freundschaft und gegenseitigen Respekt zu stärken.

Alle Interviews wurden schriftlich geführt. Die Antworten auf jeweils identische Fragen wurden von meinem sehr zuverlässigen Dolmetscher vor Ort gegen Honorar ins Deutsche übersetzt. Da mehrere Befragte Hinweise auf "illegale Aktivitäten" bezüglich des Reiseverkehrs enthielten, habe ich mich auf zwei davon konzentriert.


URL dieses Artikels:
https://www.heise.de/-4410167

Links in diesem Artikel:
[1] https://www.auswaertiges-amt.de/de/aussenpolitik/laender/ukraine-node/ukrainesicherheit/201946
[2] https://de.wikipedia.org/wiki/Belagerung_der_Steinbr%C3%BCche_von_Adschi-Muschkai
[3] https://www.rubikon.news/artikel/annektiert-und-gut-drauf
[4] http://dipbt.bundestag.de/dip21/btd/18/134/1813469.pdf
[5] https://www.ukrinform.de/rubric-polytics/2688933-rada-verabschiedet-gesetz-uber-ukrainische-sprache.html