Krim: Reisen ins Non-Grata-Land
Das Auswärtige Amt rät vor Reisen auf die Krim ab, die Menschen auf der Krim fühlen sich vom Boykott diskriminiert
"Vor Reisen auf die Krim wird dringend abgeraten." So steht es amtlich auf der Homepage des Auswärtigen Amts unter der Rubrik "Ukraine". Oberbürgermeisterin Margret Mergen aus Baden-Baden empfindet dies gar als "Reisewarnung". Ein Grund für die Oberbürgermeisterin, in vorauseilendem Gehorsam vor der Bundesregierung und in Anerkennung des EU-Boykotts, nicht mehr zur Partnerstadt Jalta zu reisen.
Doch selbst das Außenministerium sieht das anders: Die Reise- und Sicherheitshinweise des Auswärtigen Amtes für die Ukraine enthielte für die Krim eben keine Reisewarnung, sagt dessen Pressestelle. Es gäbe infolge des Boykotts dort lediglich keinen konsularischen Schutz. Das dürfte Durchschnittsreisende in eine völlig friedliche und sichere Gegend aber nicht wirklich tangieren.
Bei so viel Konfusion wollen aber selbst Medien wie Spiegel-Online nicht außen vor bleiben: "Moskau hat die ukrainische Halbinsel Krim im Osten des Landes 2014 annektiert und unterstützt die dortigen Separatisten, die gegen ukrainische Soldaten kämpfen. Seit Beginn des Konflikts wurden rund 13.000 Menschen getötet", wussten die Spiegelleute zuletzt am 24. April des Jahres zu berichten. Wer will sein Leben als Tourist schon im Kriegsgebiet gefährden?
Leider wird hier der von Kiew beschossene Donbass im Osten der Ukraine mit der Krim im tiefen Süden durcheinander gebracht. Allerdings gab es auf der Krim sogar schon mal eine solche Zahl. Im Kriegsjahr 1942. Damals wurden 13.000 Sowjetarmisten bestialisch in den Steinbrüchen von Adschi-Muschkai von deutschen Besatzern ermordet. Teilweise mit Giftgas.
Abgesehen von solchen Verwechslungen der Himmelsrichtungen, der völligen Unkenntnis tatsächlicher historischer Gegebenheiten und der unterschiedlichen Versionen dieser "Annexion", von 2014, von anderen als Sezession bezeichnet, gab es auf der Krim im Verlauf der dort so gesehenen Wiedervereinigung mit Russland erfreulicherweise keine Toten.
Das ist peinlich für "investigative" Journalisten - aber ebenfalls Ausdruck dessen, was in Sachen Krim an Fake-News produziert wird. Ist Unkenntnis aber noch eine hinreichende Entschuldigung für schlichte politische und mediale Lügen zu den dortigen Verhältnissen, wie sie Stefan Korinth kürzlich entlarvte.
Wenn das medial von EU und NATO übernommene Narrativ einer annektierten Region richtig sein soll, welche den Boykott und Feindseligkeit tatsächlich rechtfertigte: Warum werden dann Menschen boykottiert, die letztlich doch nur ein Opfer dieser russischen Aggression und Annexion wären? Sie könnten eigentlich nichts dafür. Als Opfer empfinden sich die Krim-Bewohner aber durchaus: Jedoch als Opfer des Westens und nicht als eines des russischen Präsidenten Putin. "Warum hassen Sie uns?", wurde vor Ort die Lehrerin Helgard Lörcher, Vorstandsmitglied des Bundesverbands der West-Ost-Gesellschaft auch schon gefragt.
Die Widersprüche deutscher Krim-Politik
Violetta Tischina aus der Hauptstadt der Halbinsel, Simferopol, ist Vorsitzende des "Heidelberg- Hauses". Dieses entstand in besseren Zeiten der Städtepartnerschaft mit Heidelberg durch eine namhafte Spende eines dortigen Unternehmers.
Sie wundert sich über die Frage mit dem Hass nicht und gibt die Meinung vieler Menschen wieder: "Wir halten die EU-Sanktionen gegen uns für einseitig, vorurteilsbeladen und für einen Verstoß der Menschenrechte. Das Beleidigendste für uns ist die Nichtanerkennung des Referendums, mit dem wir der Russischen Föderation beitreten wollten."
Aber an dieser "Beleidigung" hält wie Außenminister Heiko Maas auch der Heidelberger Oberbürgermeister Eckart Würzner hartnäckig fest. 2012 besuchte die letzte Heidelberger Delegation aus dem Rathaus der Partnerstadt, bedauert sein Kollege Viktor Agejew (Interview 2). Kontakte reduzieren sich auf Weihnachtswünsche. Der kurpfälzische OB lehnt "offizielle" Kontakte ab, wenngleich auch er "freundschaftliche Beziehungen" andererseits für sehr "bewahrenswert" hält.
Diesen Widerspruch sollen vor Ort dann ehrenamtliche Heidelbergerinnen wie Magdalena Melter auflösen, deren Simferopol-Verein seitens der Stadt aber wenigstens Reisekostenzuschüsse erhält. Melter hat wenig Verständnis für die Situation: "Wir wollen endlich Frieden. Freundschaften sollten sich doch gerade in politisch schwieriger Zeit bewähren, statt aufs Spiel gesetzt zu werden".
Ähnlich verhält es sich in Ludwigsburg, wo eine offizielle Partnerschaft mit der Krim-Stadt Jevpatorija besteht. Auch hier sind nichtprivate Kontakte auf Eis gelegt. Denn der Stadtchef hält sich, wie sein Heidelberger Kollege, an eine ominöse "Weisung" des Auswärtigen Amts, deren Existenz in Berlin aber wiederum schlicht abgestritten wird: "Es gibt keine Weisung des Auswärtigen Amts", sagt dessen Pressestelle kurz und bündig.
Dies wiederum bestreiten die Oberbürgermeister. Sie halten sich weiterhin obrigkeitsstaatlich an "Weisungen", von denen also sogar die "anweisende" Stelle behauptet, dass sie nicht existieren. Auch deren Kollegin Mergen in Baden-Baden, die eine Weisung mal bestreitet, mal nicht, hält sich dennoch daran.
Darf man diese Weisungen also wenigstens einmal sehen? Sie erfolgte telefonisch, erklärt dazu die Ludwigsburger Pressesprecherin Meike Wätjen. Würzner schweigt auf diese Frage gänzlich und lässt nur auf Berlin verweisen. So dreht sich die kommunal-bundespolitische Konfusion im Kreis und so dümpeln die gewachsenen Beziehungen vor sich hin. Die Frage ans Auswärtige Amt, ob man solche "Missverständnisse" denn nicht einmal schriftlich aufklären wolle, sind bisher unbeantwortet.
Die Folgen sind aber umso bedauerlicher. Wegen der vermeintlichen "Reisewarnung" trauten sich viele Menschen in Baden-Baden nicht mehr auf die Krim, erzählt Uta Ell, ebenfalls ehrenamtlich für die Partnerschaft mit Jalta aktiv. Ihr Mann Gerhard ist dort sogar Ehrenbürger, denn die Eheleute haben sich jahrelang auch humanitär für Behinderte engagiert.
Aufgeben wollen beide Seiten aber nicht. Natalia Fomina ist Vorsitzende einer Organisation von Deutschstämmmigen im Stadtkreis Jalta. Sie reist umständlich via Italien zu Freunden nach Deutschland, weil auch ihr der direkte Flug verwehrt ist. Es sei aber "sehr schwierig und teuer, wegen der dummen Verbote die Reise über ein anderes EU- Land zu organisieren."
Schwierig ist es umgekehrt auch für deutsche Staatsbürger. Die West-Ost-Gesellschaft in Baden-Württemberg hatte morgens schon Polizei in Schutzwesten und mit Durchsuchungsbefehl vor der Haustür.
Auf Veranlassung der deutschen Botschaft in Moskau flatterte dem gemeinnützigen Verein, ebenfalls in Sachen Städtepartnerschaften engagiert, wegen einer Krim-Reise schon mal die Strafanzeige wegen Verstoßes gegen das "Außenwirtschaftsgesetz" ins Haus. Allein dieser Vorgang ist merkwürdig genug.
Denn nach Berliner Lesart sollte doch eigentlich nicht die Botschaft in Russland, sondern allenfalls die in Kiew für die "ukrainische Krim" zuständig sein. Zuvor hatte Gernot Erler, damals noch Russlandbeauftragte der Bundesregierung, bei "nichtkommerziellen Reisen" auf Anfrage allerdings keine Bedenken geäußert. Dennoch wurde die Staatsanwaltschaft bemüht, welche Monate später und erst nach Anfall hunderter Euro an Anwaltskosten die Ermittlungen "wegen Unschuld" einstellte
Nur "illegale" Reisen sind möglich
Der Boykott weist auch sonstige Absurditäten auf. Einerseits betonte das Außenministerium in Antwort auf eine Anfrage des linken Bundestagsabgeordneten Andrej Hunko immer wieder, dass völkerverständigende Kontakte mit der Krim"wünschenswert" seien. Andererseits betreiben Außenminister Maas und sein Amt eine dem völlig entgegen laufende andere Politik.
So werden aktuell Gelder für alle deutsch-russischen Projekte gestrichen, an denen auch nur einzelne Krim-Bewohner teilnehmen. So zynisch wie lapidar teilt das Auswärtige Amt in amtlichem Deutsch der Zivilgesellschaft mit:
Die Teilnahme von Vertretern der Krim an von der Bundesregierung finanziell geförderten deutsch-russischen Veranstaltungen wird jedoch aufgrund der Krim-Nichtanerkennungspolitik der Bundesregierung nicht geduldet; dies kann unter Umständen auch zur Rückforderung bereits gezahlter Zuwendungen führen.
Auswärtiges Amt
Genau das führt dazu, dass eben keine oder bestenfalls trickreiche Begegnungen möglich sind. Denn welcher Mensch von der Halbinsel nimmt unter den herrschenden Verhältnissen, bis hin zur aktuellen sprachgesetzlichen Verboten des Russischen noch an irgendwelchen "deutsch-ukrainischen" statt an "deutsch-russischen" Veranstaltungen" teil? Welcher deutsche Verein kann es sich leisten, ein finanzielles Risiko einzugehen?
Kein Reisender aus dem Schengenraum erhält umgekehrt von der Ukraine eine "Erlaubnis", die Grenze zur Krim zu überschreiten. Dies ist so einfach wie bequem nur über russische Städte möglich, was nach ukrainischer und Berliner Lesart aber wiederum eine "illegale Einreise" darstellt. Die offiziell legale Einreise ist also verbaut. Die Illegale wird kriminalisiert. Auch dies ist die Logik dieser verqueren deutschen Politik.
Und so können eben frühere Zwangsarbeiter keine Orte der schlimmen Erinnerungen mehr besuchen. Der Schüleraustausch für Deutsche liegt wegen erwähnter "Reisewarnungen" auf Eis. Jugendliche erhalten keine Visa nach Deutschland. Reisebüros sind Krim-Angebote strafbewehrt untersagt. Touristische Kreuzfahrtschiffe dürfen in Jalta nicht anlegen. Selbst die deutsche Kriegsgräberfürsorge organisiert bei Sewastopol keine Versöhnung über den Gräbern, wie Pawel Prokop vom Kompetenzcenter Jugendbegegnungen des Volksbunds weiß.
Wie sagte in Antwort an MdB Hunko das Auswärtige Amt jedoch so schön?
"Es ist aus Sicht der Bundesregierung richtig, zwischenmenschliche Kontakte zur Krim im Rahmen des Möglichen und rechtlich Zulässigen zu erleichtern".
Das "Mögliche" bezüglich des Non-Grata-Lands wird jedoch verboten und ist insofern rechtlich unzulässig. Wie darf man eine solche Außenpolitik im Unterschied zwischen Rhetorik und Praxis nennen, Herr Maas? Verlogen dürfte doch eigentlich die höflichste Formulierung sein.
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