Kritik des Sofa-Bellizismus

Seite 2: Apokalypse-Blindheit

Der banalisierende Umgang mit der Atomkriegsgefahr ist allerdings nicht alleine ein Privileg gedanken- oder gar verantwortungsloser Politiker und Journalisten. Der Defekt ist allgemeiner Natur und betrifft prospektive Täter wie Opfer gleichermaßen.

Niemand hat diese, von ihm so genannte "Apokalypse-Blindheit" – die Unfähigkeit, die Gefahr des menschgemachten Weltenendes in seiner ganzen Bedeutung zu erfassen – früher und präziser auf den Begriff gebracht als der Philosoph Günther Anders. Bereits vor 65 Jahren schrieb er:

Betrauern können wir einen geliebten Toten. Vorstellen können wir uns vielleicht zehn Tote. Maximal. Umbringen können wir mit den heutigen Mitteln Hunderttausende auf einen Streich. Vor dem Gedanken der Apokalypse schließlich streikt die Seele! Der Gedanke bleibt nur ein Wort.

Kurz: Herstellen können wir Menschen die Apokalypse – die Vernichtung allen Lebens auf diesem Planeten – mit Hilfe der Atombombe; Vorstellen können wir es uns nicht. Wir können uns nicht mehr vorstellen, was wir herstellen und anstellen können!

In diesem Sinne sind wir zugleich größer und kleiner als wir selbst: Als Vernichter haben wir durch die Bombe gottgleiche Allmacht erlangt, als Vorstellende sind wir unserer unbeschränkten negativen Allmacht in keinster Weise gewachsen. Unsere Vorstellungen bleiben hinter den Effekten, die unsere Handlungen zeitigen können, unendlich weit zurück.

So auch unsere Unfähigkeit zur Angst vor einem möglichen atomaren Inferno. Diese ist nicht etwa Ausdruck von Mut, sondern nichts Anderes als Fantasielosigkeit: die Unfähigkeit und der Unwille, uns den Worst Case vorzustellen und dies auf der Ebene der Gefühle zu realisieren – als Angst!

Die Gottheiten der Vernichtung

Und dies gilt, wie zuvor erwähnt, für Politiker und Militärs, Spitzenjournalisten und Bild-Zeitungs-Leser, Professoren wie Sonderschüler gleichermaßen. Es wäre naiv zu glauben, professionelle Abwiegler oder Droher, Frauen und Männer wie Annalena Baerbock, Ralf Fücks, Wladimir Putin, Marie-Agnes Strack-Zimmermann, Nikolaus Blome, Andrij Melnyk oder Joe Biden – sie mögen smart aussehen wie die deutsche Außenministerin oder grimmig dreinschauen wie der russische Präsident – wären in Sachen Apokalypse kompetenter als wir, die möglichen Opfer.

Günther Anders brachte es auf klassische Formulierungen:

"Die Götter der Pest", so heißt es in einem alten Sprichwort, "sind friedliche Männer und selbst nicht pestkrank." Ihnen gleichen die Gottheiten der heutigen Vernichtung: Nichts ist ihnen weniger anzusehen, als was sie auslösen könnten; und ihr Lächeln ist wohlwollend, nicht selten sogar ohne Falsch.

Aber es gibt nichts Entsetzlicheres als das ehrlich wohlwollende Lächeln, als die Naivität, die Gedankenlosigkeit und die als Moral getarnte Scharfmacherei der Gottheiten der Vernichtung.