Kryptowerte auf Erholungskurs

Stephan Schleim

Bild: André François McKenzie/Unsplash

In USA droht stärkere Regulierung von Kryptowerten; deren Anzahl stieg erstmals über 10.000

Kryptowerte wurden hier auf Telepolis in den letzten Wochen intensiv diskutiert. Wirtschaftswissenschaftler Christian Kreiß sah vor allem den Bitcoin (BTC) wegen seines steigenden Stromverbrauchs zum Scheitern verurteilt. Diplom-Informatiker Ingo Rübe hielt jedoch Kreißens Grundannahmen für falsch. Indessen kletterte der bekannte Kryptowert ebenso wie sein kleiner Bruder Ethereum (ETH) stark nach oben.

Erinnern wir uns: Anfang des Jahres stieg BTC in mehreren Wellen auf immer neue Allzeithochs: rund 58.000 US-Dollar am 21. Februar, dann knapp 62.000 am 13. und 14. März und schließlich fast 65.000 US-Dollar (ca. 53.600 Euro) am 14. April. Doch dann verlor der Kryptowert über die Hälfte bis zum 19. Mai und fiel am 22. Juni sogar knapp unter 29.000 US-Dollar. Der Bereich zwischen 27.000 bis 30.000 galt als psychologisch wichtige Unterstützungszone - und hielt. Denn seit Ende Juli stieg der Kurs wieder um fast 60 Prozent.

In mehreren Wellen stieg der Bitcoin Anfang des Jahres auf sein Allzeithoch vom 14. April. Danach kam es zum Kursverfall. Seit 5. August bleibt der Kurs über dem 100-Tage-Durchschnitt (orange), was Analysten als positives Zeichen werten. Quelle: Mit freundlicher Genehmigung von Tradingview

Die Kurseinbrüche im Frühjahr wurden mit verstärkter Kritik am Stromverbrauch des Bitcoin-Netzwerks sowie mit stärkerer Regulierung in China in Zusammenhang gebracht (War's das mit den Kryptowährungen?). Dort waren aufgrund der niedrigen Strompreise große Serverfarmen angesiedelt, die die neuen BTC schürfen und Transaktionen bestätigen. Ein Teil der Unternehmen weicht nun beispielsweise nach Kasachstan aus.

Politisches Geschacher

Dieser Kursanstieg wird allerdings von verstärkten Forderungen in den USA nach der Regulierung von Kryptowerten überschattet. So sprach sich der Chef der US-Börsenaufsicht SEC, Gary Gensler, in seiner Rede vom 3. August auf dem Aspen Security Forum dafür aus, bestehende Regeln auf den Kryptomarkt auszuweiten. Das rechtfertigte er unter anderem mit dem Schutz von Konsumenten, der nationalen Sicherheit und dem Zurückdrängen illegaler Aktivitäten.

Gebannt schaute man in den letzten Tagen aber vor allem auf den US-Senat: Dort wurde Präsident Bidens billionenschweres Infrastrukturprogramm für die nächsten zehn Jahre verhandelt. In den Gesetzesentwurf nahm man auch eine Regel auf, die Händler von Kryptowerten unter stärkere Aufsicht der US-Steuerbehörde IRS stellen würde.

Die Kryptogemeinde fürchtete, die Definition von "Händler" (engl. broker) sei so weit gefasst, dass davon sogar die Schürfer der digitalen Werte betroffen wären. Deshalb wirkten Lobbyisten darauf ein, den Begriff einzugrenzen. Dafür fehlte aber die nötige Mehrheit im Senat, wohl mit nur einer Stimme.

Coindesk berichtete, der republikanische Senator Richard Shelby hätte der Änderung widersprochen, nachdem der Demokrat Bernie Sanders dessen Wünsche für den Militärhaushalt blockiert hätte. Willkommen in der Welt politischer Kuhhandel.

Die wichtigsten Kryptowährungen (12 Bilder)

Bitcoin. Start: 2009. Marktanteil: 57,9 Prozent. Marktkapitalisierung: 197,855 Mrd. USD. Mining: SHA-256. Stand: Oktober 2020. Quelle: Wikipedia

Der Gesetzesentwurf ging darum am gestrigen 10. August ohne die Änderung an das US-Repräsentantenhaus. Dort wird er im Herbst verhandelt. Schließlich wird die Steuerbehörde aus der endgültigen Fassung ihre neuen Regeln ableiten müssen. Auch wenn der BTC-Kurs gestern leicht nachgab, drohen hier jedenfalls kurzfristig keine Probleme für die amerikanische Kryptogemeinde.

Neues vom Arbeitsmarkt

Der starke Kursanstieg der letzten Tage könnte andere Ursachen haben: Der jüngste US-Arbeitsmarktbericht wies nämlich für den Juli fast eine Million neuer Arbeitsplätze aus, deutlich mehr als erwartet. Die Arbeitslosenquote sank auf 5,4 Prozent und damit einen neuen Tiefstwert seit Beginn der Pandemie.

Mit den guten Wirtschaftsdaten rückt nun eine Einschränkung der expansiven Finanzpolitik durch die US-Notenbank in greifbare Nähe. Das stärkt wiederum den US-Dollar und die Zinsen auf US-Staatsanleihen. Und damit werden Edelmetalle für Anleger unattraktiver. Tatsächlich wurden seit Veröffentlichung der Arbeitsmarktdaten Gold und Silber abverkauft und fielen deren Kurse von Rund 1.800 auf 1.730 beziehungsweise 25 auf 23 US-Dollar pro Feinunze. Das freigewordene Kapital könnten Anleger in Kryptowerte investiert haben.

Noch stärker als BTC entwickelte sich in den letzten Wochen sein kleiner Bruder Ethereum (ETH). Dieser verlor ebenfalls im Frühjahr stark an Wert, bis zu 60 Prozent von seinem Allzeithoch von knapp 4.400 US-Dollar am 12. Mai. Jüngst verdoppelte er sich aber beinahe wieder von rund 1.700 im Tief auf zurzeit rund 3.200 US-Dollar (etwa 2.600 Euro). Neben den genannten Faktoren steht hier ein wichtiges Software-Update mit neuen Funktionen an, das jedoch schon mehrmals verschoben wurde.

Beschreibung: Ethereum zeigt ein ähnliches Muster wie der Bitcoin. Das Allzeithoch wurde jedoch erst am 12. Mai und damit fast einen Monat nach dem großen Bruder erreicht. Der Anstieg seit dem 21. Juli ist noch steiler als beim Bitcoin und der 100-Tage-Durchschnitt (orange) seit dem 4. August überwunden. Quelle: Mit freundlicher Genehmigung von Tradingview

Offene Fragen

Am Sinn und Zweck von Kryptowerten scheiden sich die Geister. Einige sehen darin einen Wertspeicher, eine Art digitales Gold. Tatsächlich ist die maximale Anzahl von Bitcoins mathematisch begrenzt, wobei inzwischen schon rund 19 von 21 Millionen erzeugt wurden.

Ein Vorteil von BTC gegenüber (physischem) Gold ist, dass man ihn flexibler an- und verkaufen kann. Allerdings lassen sich auch Edelmetalle in Wertpapierform handeln, beispielsweise als sogenannte Exchange Traded Commodities (ETC). Ein Nachteil von BTC ist, dass der Handel ein funktionierendes Blockchain-Netzwerk voraussetzt, das sehr rechenintensiv ist; dazu gleich mehr. Goldmünzen oder Barren, einmal geschmolzen oder geprägt, kann man wie beliebige andere Gegenstände hin- und her bewegen.

Für Zahlungen eignen sich, anders als oft suggeriert, BTC und ETH eher nicht, vor allem bei kleinen Beträgen. Die Transaktionskosten betragen nämlich (laut Coindesk) zurzeit rund 2 Euro für BTC und sogar rund 13 Euro für ETH. Zudem kann es bis zur Bestätigung viele Minuten dauern, da die Anzahl an Transaktionen stark begrenzt ist. Zu Stoßzeiten steigen dann die Kosten, wobei die Meistbietenden bevorzugt behandelt werden.

Insofern scheinen die Ankündigungen bestimmter Firmen, BTC-Zahlungen zu akzeptieren, eher als Marketingaktionen. Wir erinnern uns daran, dass "Techno King" Elon Musk die Möglichkeit für seinen Konzern Tesla ankündigte, dann später aber zurückruderte; angeblich besann er sich auf die schlechte Umweltbilanz des Bitcoin. Der BTC-Kurs wurde durch solche Meldungen jeweils nach oben oder unten getrieben.

Zurzeit wird wild spekuliert, wie sich Amazon zu Kryptowerten verhält. Die Meldung einer Londoner Zeitung, der Internetriese würde - laut einem "Insider" - bald Bitcoin akzeptieren, trieb den Kurs fast 15% in die Höhe. Allerdings dementierte Amazon die Meldung.

Inzwischen meldete Elon Musk sich wieder zu Wort, man würde BTC wohl wieder annehmen, sobald die Umweltbilanz stimmt. Gestern verkündete dann der angeschlagene Kinobetreiber AMC Entertainment, man könne dort noch vor Jahresende mit dem Kryptowert bezahlen.

Doch was soll der Vorteil sein, wenn man per Bank- beziehungsweise Kreditkarte oder online für ein paar Cent und wesentlich schneller und energiesparender einkaufen kann?