Lachen wie die Laborratten
Vom Glück und der Wissenschaft des Vergnügens
Die heutigen Menschen sind trauriger als jemals zuvor. Obwohl es uns so gut wie noch nie geht, hat der moderne Mensch das Lachen vergessen. Zumindest vor einigen Jahrzehnten, in den oft noch kargen 50er Jahren des schwelenden Kalten Krieges, lachten die Menschen, so der deutsche Psychotherapeut Michael Titze auf dem Internationalen Kongreß über Humor, der Anfang Oktober in Basel tagte, durchschnittlich noch 18 Minuten am Tag. Heute schaffen wir gerade noch sechs Minuten - und sind auch zehn Mal mehr anfälliger für Depressionen. Was ist bloß los mit uns?
Schon immer haben die Menschen versucht, ihre Einzigartigkeit im Unterschied zu allem um sie herum herauszuheben. Das wurde offenbar immer wichtiger, je deutlicher man erkannte, daß der Mensch nichts anderes ist als ein Produkt der natürlichen Evolution, das sich keineswegs notwendig ergeben hat und auch kein Ende darstellt. So kurz es erst in der Geschichte des Lebens den Menschen gibt, so schnell könnte er auch wieder verschwinden, auch wenn er wahrscheinlich seine Spuren für lange Zeit auf der Erde hinterlassen wird.
Zumindest seinen nächsten Verwandten unter den Primaten ist er bereits ziemlich nahegerückt. Das wußte man allerdings schon allein vom Aussehen und Verhalten, aber seit der Möglichkeit, die DNA sequenzieren zu können, schrumpft der Abstand zunehmend, während die Kontinuität mit denen aller anderen Lebewesen noch deutlicher vor Augen tritt. Wie Wissenschaftler von GenoPlex vermuten, die aus medizinischen Gründen die Gene von Schimpansen untersuchen, könnte der Unterschied zwischen Mensch und Schimpanse in der kleinen Menge von einigen Hundert Genen aus der Gesamtzahl von Hunderttausend liegen, wobei etwa 50 Gene für die kognitiven Unterschiede verantwortlich sind. Erst vor fünf Millionen Jahren haben sich die Evolutionspfade von Schimpansen und Menschen getrennt, weswegen ihr Genom zu 98 oder 99 Prozent identisch ist. Das ist fast lächerlich, weswegen manche andersherum meinen, daß die Menschenrechte zumindest auch auf die uns nahestehenden Schimpansen, Gorillas und Orang-Utans erweitert werden sollten.
Doch auch über die kognitiven Unterschiede lernt man immer wieder Überraschendes. Gerade wollen Forscher entdeckt haben, daß Schimpansen ganz gut zählen können. Und vielleicht könnten sie auch besser die Sprache beherrschen, wenn sie denn wollten und sich nicht lieber mit Kraulen und anderen Dingen vergnügten. Zumindest in der philosophischen Anthropologie glaubte man noch vor kurzem, im Lachen und Weinen ein menschliches Existential zu finden, das uns von den Tieren unterscheidet - und wegen der damit verbundenen Exzentrizität auch Selbstbewußtein ermöglicht.
Daher ist, was Forscher von der Bowling Green State University in Ohio entdeckt zu haben glauben, doch ziemlich erstaunlich. Man nahm zwar schon etwas länger an, daß Schimpansen Geräusche von sich geben, die dem menschlichen Lachen ähnlich sind, aber eine freudige Stimmung und Lachen scheint kein anderes Säugetier zu zeigen. Falsch sagen Jaak Panksepp und Jeffrey Burgdorf, die sich ausgiebig mit dem Kitzeln von Laborratten beschäftigt haben - natürlich im wissenschaftlichen Interesse. Ratten lachen auch, wenn man sie kitzelt, nur hören wir das nicht, weil sie Pfeifgeräusche machen, die unsere Ohren nicht vernehmen. Man hatte diese Lautäußerungen zwar schon zuvor entdeckt, sie aber als Signale von Stress oder Aggression oder als Vorspiel zum Geschlechtsverkehr verstanden. Die Welt ist eben so, wie man sie sich denkt.
Wenn junge Ratten miteinander herumtollen, zirpen sie ziemlich stark, und sie tun dies stärker, wenn sie von Forschern gekitzelt wurden, als ältere - ähnlich wie bei uns also. Weil alles evolutionsgeschichtlich seinen Sinn haben muß, wenn es die Selektion überstehen soll, sei Lachen, so Panksepp, womöglich ein Zeichen, das den Unterschied zwischen spielerischen und ernsthaften Interaktionen signalisiere. Wo man lacht, wird es nicht gefährlich. Zumindest bei den Menschen muß das nicht immer stimmen. Ob Ratten auch Schadenfreude als eine der fieseren, aber offenbar sehr unterhaltsamen Varianten des Lachens äußern, haben die kitzelnden Forscher allerdings noch nicht herausgefunden.
Andere Wissenschaftler hingegen sind besorgt, weil wir in der modernen Welt uns anscheinend allzu oft von den emotionalen Äußerungen der anderen beschwindeln lassen und suchen jetzt einem neuronalen Netz beizubringen, wie sich etwa echtes Lachen von einem simulierten unterscheiden ließe. Wichtig werde dies besonders, da wir mit zunehmender Verbreitung von immer raffinierteren Telekommunikationsmitteln immer öfter nicht direkt in einem körperlichen Face-to-face-Kontakt mit anderen stünden und so die Gesten nicht mehr so deutlich erkennen können. Wenn wir dann alle einmal mit wearable computing und kleinen Videokameras herumlaufen, können wir unser technisches Aufmerksamkeitssystem zur Beobachtung unserer Mitmenschen aber immer mit uns führen, um uns über deren Ehrlichkeit zu informieren. Das mag zwar alles noch weitaus komplizierter machen. Aber vielleicht haben das ja Computer oder Roboter untereinander auch schon bald nötig, wenn sie etwas intelligenter und dadurch raffinierter werden.
Jedenfalls ist wieder ein Stück Einzigartigkeit des Menschen verschwunden. Wir wären überrascht, sagt Panksepp, wenn Ratten einen Sinn für Humor haben sollten, aber für "fun" haben sie ganz deutlich einen. Andere Forscher haben wiederum festgestellt, was jeder selbst eigentlich schon weiß: Sich selber zu kitzeln, ist nicht so witzig. Ins Lachen gerät man dabei kaum, weil unser Gehirn offenbar untrüglich Selbstaffektion von Fremdberührung unterscheidet. Hat da die Evolution vielleicht einen Riegel vorgeschoben, damit die nach Lust gierenden Lebewesen nicht in Onanie oder Selbststimulation wie jene Ratten im Labor enden, denen man die Möglichkeit eröffnet hatte, durch das Drücken einer Taste ihr Lustzentrum zu stimulieren und süße, schöne, einnebelnde Endorphine in ihrem Gehirn auszuschütten? Letztlich ist ja das, was im Gehirn als "kognitive Leistung" vor sich geht, eine Frage der Elektrik und der Chemie. Und weil man durch Kitzeln nicht alleine zum Lachen kommt, könnte Lachen überhaupt eine soziale und sozialisierende Eigenschaft sein.
Lachen macht nicht nur froh und führt zusammen, es stimuliert auch das Gehirn und fördert die Gesundheit. Auch Lächeln ist schon nicht schlecht, doch häufiges Lachen tut einfach gut und tunkt unsere Neuronen in eine angenehme Umgebung. Wer nicht lacht, ist vielleicht nicht nur einsam, sondern greift auch zu Drogen, was bekanntermaßen auch nicht nur eine Eigenschaft der Menschen ist.
Noch wollen wir nicht durch gezielte Stimulation von außen - und damit ohne Mitmenschen oder vielleicht auch zurückkitzelnde Laborratten oder - schimpansen - uns zum Lachen bringen, aber immerhin hat die Wissenschaft schon einmal den Gegenstand entdeckt und wird dann auch die notwendige Technik liefern. Noch sind wir in der Phänomenologie, aber eine Wissenschaft des Vergnügens wurde bereits von Forschern gegründet, die sich in der Gruppe ARISE zusammen gefunden haben. Vergnügen als Förderung von Gesundheit, so steht auf ihrer Website, ist ein Wissenschaftsbereich, der bislang schmählich vernachlässigt wurde, weil die Medizin immer nur auf die Krankheiten geschaut habe. Gesundheit wurde als Norm angesehen, und nur was von ihr abwich, konnte zum Gegenstand der Forschung werden. Was funktioniert, drückt uns halt nicht so.
ARISE hat jedoch festgestellt, daß Vergnügen körperliche und geistige Gesundheit fördert und die Folgen von Stress mindert. Mit Vergnügen lassen sich unangenehme Erfahrungen besser verschmerzen und die Ausschüttung von Stresshormonen wie Cortisol vermindern, wodurch die Immunreaktion verbessert würde und mehr Killerzellen erzeugt werden. Vergnügen verschafft man sich durch oder beantwortet man mit Lachen, aber auch indem man sich die kleinen Lüste zwischendurch vergönnt und ein Täßchen Tee oder Kaffee trinkt, eine Zigarette raucht oder eine Schokolade verschmaust. Das macht uns auch während der Arbeit ruhiger und entspannter: eben glücklicher. Glückliche Menschen leben länger, wobei eine vernünftige Dosis von Genußmitteln, wie schon der Name sagt, also von Wein, Kaffee, Schokolade oder Tabak, nur förderlich sei. Nach der Arbeit erhole man sich von dieser durch vergnügliche Tätigkeiten. Eine gute Mahlzeit und Geselligkeit sind auch ein gutes Mittel gegen den Stress.
Es gibt nicht nur ARISE, um uns wieder lustiger zu machen, sondern neben dem Flow-Spezialisten Mihaly Csikszentmihalyi auch einen britischen Professor, der weiß, was uns glücklich macht. Immerhin 15 Jahre lang hat Michael Argyle danach geforscht und den Oxford Happiness Inventory, eine Liste mit 29 Fragen, entwickelt. Bald werden wir auch in schriftlicher Form die Frage nach dem Glück beanwortet haben, wenn das Handbuch der hedonistischen Psychologie mit einem Aufsatz des Glückwissenschaftlers auf den Markt kommt.
Geld alleine macht nicht glücklich, aber das wissen wir zumindest schon nach der Bekanntschaft mit Dagobert Duck. Nur die ganz Armen sind eindeutig in schlechterer Stimmung. Ansonsten sind die zwanghaften kapitalistischen Analerotiker nicht besser dran als der durchschnittliche Wohlstandsbürger. Wer Shopping gehen kann und das nötige Kleingeld besitzt, um "nette" Dinge wie Ölbilder, Schmuck oder modische Kleidung zu kaufen, wird dadurch nicht notwendigerweise in seiner Stimmung gehoben. Nur wenn man das Glück hat, mehr beruflich bezahlt zu bekommen, als man erwartet hat, darf mit freudiger Überraschung rechnen, ansonsten machen eher die wertlosen Alltagsdinge glücklich: Fotografien, Souvenirs und alte Erinnerungsstücke. Aber die kosten ja auch Geld. Es stimme auch nicht, daß Freizeitbeschäftigungen uns prinzipieller glücklicher als Arbeit machen, denn Glück entsteht, wenn wir gefordert und also gebraucht werden. Und das findet eben eher in der Arbeit statt, die für viele freilich in der Informationsgesellschaft auszugehen scheint. Was in der Freizeit für die meisten hingegen lustfördernd ist, beruht darin, daß man hier seine Aktivitäten selbst bestimmen kann. Arbeit macht also nicht unbedingt frei, wohl aber glücklich.
Für Bill Clinton und ähnliche Zeitgenossen der Libertinage hat Argyle auch einen Rat. Besonders für Männer sei nämlich Heirat ein richtiger Glücksbringer, während es den Geschiedenen oder Singles noch schlechter als den Verwitweten ergehe. Als Verheirateter allerdings außereheliche Beziehungen einzugehen, bringt Schwierigkeiten mit sich und trübt die Stimmung. Das soll man besser lassen und im sicheren Hafen der Ehe bleiben. Gut fahren natürlich die Extrovertierten, die am besten mit anderen Menschen auskommen und auch eher in ihrer Freizeit angenehme Dinge treiben. Es gebe auch "sonnige Persönlichkeiten", die genetisch zum Glücklichsein prädisponiert seien. Aber die sind nur selten, was ja vielleicht ein Anlaß für die Genetiker sein könnte, einmal nach dem Glücksgen Ausschau zu halten und nicht nur immer nach denen zu suchen, die Krankheiten mit sich bringen. Denkt positiv!
Obgleich offensichtlich die Menschen früher bei Komödien mehr gelacht haben, seien die Menschen, die sich im Fernsehen Soap Operas ansehen, glücklicher als die Verweigerer der seichten Medienkultur. Vielleicht sind sie dies deswegen, meint Argyle, weil sie im beharrlichen Verfolgen der Serie eine große Zahl von imaginären Freundschaften mit den vertrauten Charakteren schließen. Das ist wohl besser, als einsam zu sein. Gleichwohl ist Fernsehen, noch immer der wichtigste Zeitvertreib des modernen Menschen nach dem Arbeiten und Schlafen, keineswegs eine elektronische Glückspille. Wer zuviel glotzt - und sich nicht nur Soap Operas hereinzieht -, werde dann weniger glücklich, als diejenigen, die öfter mal ausschalten. Beim Internet scheint dies nicht viel anders zu sein. Die Kirchgänger fahren da offenbar besser. Aber die müssen am Sonntag früh aufstehen.
Apokalyptisch gestimmt, prophezeihen einige Glücksforscher an der Zeitenwende, daß der moderne Menschen das Lachen verlernt habe - und geben dabei dem verschärften Kapitalismus und der Konsumgesellschaft die Schuld. Immer mehr vergleichen wir uns im kapitalistischen Dschungelkampf aller gegen alle mit anderen, meint der Psychologe Oliver James, der das Buch "Britain on the Couch" geschrieben hat. Dadurch werden wir aber zutiefst unzufrieden im Vergleich zu anderen, in die man ja nicht hineinblicken kann, obgleich es uns materiell besser als jemals zuvor geht. Bei einer Meinungsumfrage, die 1957 an der University of Chicago durchgeführt wurde, sagten noch 35 Prozent der Menschen, daß sie mit ihrem Leben "sehr zufrieden" seien, heute meinen dies nur noch 30 Prozent.
Aber es gibt hinsichtlich des Glücks nicht nur individuelle, sondern auch nationale Unterschiede. Neil Sherwood von der University of Reading, auch ein ARISE-Mitglied, hat Menschen aus verschiedenen Ländern miteinander verglichen. Am glücklichsten sind offenbar die Holländer, weil sie auch am geringsten von Schuld belastet werden. Bei den Briten ist das ausgeglichen, während die Deutschen die meisten Schwierigkeiten mit dem Glück haben und auch schwer unter Schuld leiden.