Lässt der Westen die Ukraine fallen?

Außenministerin Annalena Baerbock. Bild: transform-network.net, Federico Baccini, CC BY-NC-SA 4.0

USA und Verbündete strebten anfangs einen Sieg Kiews gegen die russischen Invasoren an. Davon ist zuletzt nur noch wenig zu hören. Das belegen vor allem Aussagen von Außenministerin Baerbock.

Angesichts ausbleibender militärischer Erfolge der Ukraine, zunehmende Konflikte innerhalb der EU und wachsenden Widerstands in Ländern des Globalen Südens ändert das westliche Bündnis seine Haltung zum Krieg in der Ukraine – und kaum jemand merkt es.

Am gestrigen Montag musste man nur der deutschen Außenministerin Annalena Baerbock (Grüne) zuhören. Die Koalition zur Unterstützung Kiews sei im vergangenen Jahr "stärker denn je" zusammengewachsen, sagte sie anlässlich des Treffens der G7-Außenminister am Montag in Karuizawa, nordöstlich von Tokio. "Mit unserer Hilfe hat die Ukraine in den letzten Monaten Russlands Energiekrieg und Winteroffensive standgehalten", so Baerbock weiter.

Niemand wisse, wann Russland bereit für Friedensgespräche sei, so die Ministerin weiter, "aber wir als G7 tun alles dafür, dass die Ukraine dann so stark dasteht, dass sie frei über ihre Zukunft entscheiden kann". Ziel sei ein "dauerhafter und gerechter Frieden", keine "Friedhofsruhe, die den Angreifer für seine Gräueltaten belohnt".

Das sind bemerkenswerte Aussagen. Und sie werden medial und politisch unterschätzt. Denn Baerbock sprach in Japan nicht mehr von einem Sieg der Ukraine oder einem Sieg über Russland, wie sie es seit Kriegsbeginn am 24. Februar 2022 immer wieder getan hatte.

Ein Beispiel? Als Baerbock am 1. Juni 2022 in der ZDF-Talkshow Lanz zu Gast war, hatte sie sich noch klar für einen Sieg der Ukraine über Russland ausgesprochen. Sie war auf die Formulierung von Bundeskanzler Olaf Scholz (SPD) angesprochen worden, der gesagt hatte, Russland dürfe den Krieg nicht gewinnen. Baerbock:

Ich sage, das stimmt, was der Kanzler sagt. Natürlich darf Russland diesen Krieg nicht gewinnen, sondern muss ihn strategisch verlieren. Sie wollen den Frieden in der Ukraine zerstören. Deswegen darf die Ukraine auf keinen Fall verlieren – das heißt: Die Ukraine muss gewinnen.:Annalena Baerbock

Nun wartet die Grünen-Politikerin also auf Friedensverhandlungen Moskaus. Doch die Putin-Führung lässt sich Zeit. Das völlig zerstörte, aber symbolisch wichtige Bachmut in der Ostukraine fällt Quadratmeter für Quadratmeter an Söldner der Wagner-Truppe. Wirtschaftlich schlägt sich das sanktionierte Russland – aktuell zumindest – besser als das sanktionierende Deutschland. Und die aufstrebende Weltmacht China positioniert sich gegen die westliche Ukraine-Politik. Ebenso Schwellenländer wie Brasilien, Indien, Indonesien, Südafrika und andere.

Die Widerstandskraft der russischen Wirtschaft gegen die westlichen Sanktionen sei "weiter erheblich", sagte Wolfgang Richter im Interview mit dem Inforadio des Rundfunks Berlin-Brandenburg. Richter war bei der UNO, OSZE und ist jetzt Analyst für die regierungsnahe Stiftung Wissenschaft und Politik (SWP). Dass die Russland-Sanktionen bislang keinen Erfolg haben, liege auch darin begründet, dass der Globale Süden bei Sanktionen nicht mitmache, meint er.

"Im Globalen Süden hat man den Eindruck, das ist ein Krieg zwischen den früheren Kolonialmächten", zitiert der Sender Richter. Bei einer möglichen neuen Spaltung der Erde wollten sich Länder wie Brasilien, Indien, Indonesien oder Südafrika nicht auf die eine oder andere Seite schlagen. Sie hätten deutlich gemacht, dass sie eigene Interessen verfolgen. Zur militärischen Lage sagte der SWP-Mann:

Was die militärische Seite betrifft, so verfügt Russland über sehr große Materialreserven, die in Depots lagerten (und) nicht im besten Zustand sind, aber über die Monate zum Teil natürlich reaktiviert worden sind. Und das sind schon noch erhebliche Massen, die man in den Krieg hineinführen kann. Das heißt, die Sanktionen werden sich kurzfristig auf die Kriegsführung nicht auswirken.

Wolfgang Richter

Das Scheitern der ursprünglichen Baerbock’schen Linie, die maßgeblich mit der Nato-Ukraine-Doktrin übereinstimmt, ist kaum mehr zu übersehen. Der Schaden für diejenigen, die einen Sieg über Moskau ebenso anstrebten wie den Ruin Russlands, ist da. Die neuen Töne am Rande des G-7-Treffens waren offenbar bereits Teil des Versuchs, den Schaden zu begrenzen. Zumal Außenministerin Baerbock gegenüber China schon eine neue Front aufbaut.

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