Landgrabbing: Boden als Spekulationsobjekt
Landwirtschaftliche Böden sind heiß umkämpft: Vor allem finanzkräftige Investoren sehen in ihnen eine stabile Geldanlage. Während die Preise steigen, gehen Bauern leer aus. Eine Ursache sind fehlgeleitete Agrarsubventionen
Auf dem Hof der Familie Dreyer in Nordniedersachsen werden die Kühe Tag und Nacht per Roboter gemolken. Eine Kuh gibt 35 Liter Milch am Tag. Vor zwei Jahren investierte die Familie eine Millionen Euro in einen geräumigen, luftigen Laufstall. Die Herde wurde von 200 auf 600 Tiere aufgestockt. Ohne den Stallneubau könnten er und sein Bruder den Betrieb nicht weiterführen, erklärte Hark Dreyer kürzlich einem Fernsehteam des Bayerischen Rundfunks.
Die Familie hofft, ihren Milchviehbetrieb so noch einige Generationen weiterführen zu können. Um die ganze Familie ernähren zu können, musste der Betrieb wachsen. Damit folgt er den Zwängen der Preispolitik des Weltmarktes, gemäß dem Grundsatz: "Wachse oder weiche!"
Mehr Kühe geben einerseits mehr Milch. Doch wären die Milchpreise höher, bräuchten wir nicht so viele Kühe, erklärt die Mutter des Betriebsleiters, die auf dem Hof mithilft. Eine höhere Anzahl an Tieren und größere Milchmengen soll die Dauerniedrigpreise kompensieren.
Um alle Tiere adäquat mit Futter wie Gras und Mais versorgen und die wachsenden Gülle-Mengen auf einer größeren Fläche ausbringen zu können, ist auch mehr Land nötig. Für den Anbau von Futterpflanzen hat die Familie in den 1970er-Jahren eine Fläche von einem Nachbarlandwirt gepachtet. Vor zwei Jahren nun wurde diese Fläche an einen Investor verkauft.
Als die Niedersächsische Landgesellschaft versuchte, das 2019 angemeldete Vorkaufsrecht der Familie Dreyer auf den Ackerflächen umzusetzen, hagelte es Kritik von mehreren Seiten. Schließlich hatten einige Bauern ihr Land bereits an die Holding verkauft. Doch Familie Dreyer kann es sich nicht leisten, weitere Flächen zu verlieren. Jeder Hektar ist existenziell.
Unterdessen inserieren Investoren wie die Wachholzer Land- und Forstwirtschaft GmbH zwecks Landkauf immer häufiger bei Ebay-Kleinanzeigen. Manchmal schreiben sie die Landeigentümer auch direkt an. Die Gesellschaft, in deren Besitz mindestens 900 Hektar Land sind, sucht ständig neues Pachtland. Dies geschieht meist immer nach demselben Muster: Eine Holding in der Region kauft Ackerland von regionalen Landwirten und verpachtet es an diese zurück. H
inter der Wachholzer Land- und Forstwirtschaft GmbH, die seit 2019 eine eigene Adresse in Niedersachsen hat, steckt die B.H. Holding mit Benjamin Heinig als Alleingesellschafter. Dieser wiederum ist der Sohn von Stefan Heinig, der den Bekleidungshandel Kik gründete und Eigentümer von Tedi ist. Das Vermögen der Familie wird auf rund 600 Millionen Euro geschätzt. Nach Aussagen ortsansässiger Bauern kaufte die Holding im Landkreis Cuxhaven seit 2012 ständig Flächen auf, mittlerweile sollen es rund 1.500 Hektar sein.
Viele Milchbauern in der Region fanden anfangs das Modell des Landverkaufens und Zurückpachtens gar nicht so schlecht, erinnert sich Klaus Dahmen, der als landwirtschaftlicher Berater arbeitet. Denn für den einen oder anderen bot dies die Chance zu überleben. Inzwischen aber kennt der Landwirtschaftsberater zehn Betriebe, die allein innerhalb von 2,5 Jahren aufgaben.
Zum Beispiel Milchviehbauer Borgfeldt: Für ihn waren die Pachtpreise, die sich im Laufe der Zeit verdreifacht hatten, unerschwinglich geworden. Um Umwelt- und Tierschutzauflagen einzuhalten, hätte er sich weiter verschulden müssen, das war für ihn keine Option. Also schaffte er seine Kühe ab - und verpachtete die eigenen Flächen an andere Bauern.
Der Landwirtschaft gehen immer mehr Flächen verloren
Ob Immobilienunternehmer, Banker Versicherungskonzerne oder Lebensmittel-Discounter - in Zeiten von Inflation und Null-Zins-Politik wollen alle ihr Vermögen wertstabil anlegen. Am besten soll es sich dabei noch vermehren. Die Konkurrenz um Land hat in den letzten zehn bis 20 Jahren massiv zugenommen, weiß Andreas Tietz vom Thünen-Institut, der seit Jahren Besitzstrukturen recherchiert.
Praktisch jeder Investor ohne landwirtschaftlichen Hintergrund kann mit dem nötigen Kapital riesige landwirtschaftliche Flächen aufkaufen. Auf diese Weise verdrängen die meistbietenden Käufer Bauern von ihrem Ackerland, das sie oft jahrzehntelang nutzten. So werden Böden, die dringend für die Produktion von Getreide oder Milch gebraucht werden, zu einem immer knapperen Gut. Schätzungen des Bundeslandwirtschaftsministeriums zu Folge befinden sich fast 60 Prozent der deutschen Agrarflächen in der Hand von Nichtlandwirten.
Das große Interesse an Böden spiegelt sich auch in steigenden Pacht- und Kaufpreisen wider, wie die Zahlen des Statistischen Bundesamtes zeigen. Demnach steigen die Bodenpreise seit 2007 dynamisch an: Mit fast 26.500 Euro je Hektar haben sie sich nahezu verdreifacht. In einigen Regionen kostet der Hektar mittlerweile mehr als 100.000 Euro.
Aber auch die jährliche Pacht für Ackerland ist laut Destatis im bundesweiten Durchschnitt in den letzten zehn Jahren um 60 Prozent auf 375 Euro pro Hektar gestiegen. Zwar werden Landwirte beim Vorkaufsrecht bevorzugt behandelt.
Dafür muss der Landwirt seinen Bedarf an Fläche allerdings aktiv anmelden, in einen laufenden Kaufvertrag einsteigen und dieselbe Summe zahlen, die der finanzkräftige Käufer zahlt. Landwirte ohne Eigenkapital haben es da schwer: Wegen steigender Preise können sie nicht mehr mithalten, weshalb finanzstarke Interessenten Konkurrenzen durch Bauern kaum zu fürchten haben.
Aldi-Erben kaufen Böden auf
Seit dem Jahr 2000 hat sich die Anzahl der Landwirtschaftsbetriebe bundesweit halbiert. Wer auf dem Markt bestehen kann, kauft oder pachtet immer mehr Flächen. Derjenige, der aktiv auf der Fläche arbeitet, hat unterm Strich weniger Geld übrig, als der Verpächter der Fläche. Wie soll ein solches System dauerhaft funktionieren?
Zwar soll ein Grundstückverkehrsgesetz den landwirtschaftlichen Bodenmarkt vor Spekulanten schützen. Doch über so genannte Share Deals kann das Gesetz umgangen werden. Indem der Investor ein Agrarunternehmen kauft, geht das zugehörige Land indirekt in seinen Besitz über. Kauft er weniger als 90 Prozent des Betriebes, zahlt er weder Grunderwerbssteuer, noch muss er den Deal den Behörden melden. Auf diese Weise können kapitalstarke Unternehmen so viele Agrarbetriebe schlucken wie sie wollen.
Auch die private Stiftung des Aldi-Erben Theo Albrecht Junior mischt im Bodengeschäft kräftig mit. So sollen im November 2019 knapp 6.000 Hektar Eigentums- und Pachtfläche des damaligen ADIB-Tochterunternehmens Geithainer Landwirtschafts GmbH durch den ehemaligen Präsidenten des Thüringer Bauernverbandes, Klaus Kliem, für 40 Millionen Euro an einen außerlandwirtschaftlichen Investor, der zur Aldi-nahen Stiftung Lucas gehört, verkauft worden sein.
Kliem, der einen Anteil von 52 Prozent hielt, war einer von 60 Gesellschaftern der ADIB. Für diesen skandalösn Verkauf verlieh ihm die Arbeitsgemeinschaft bäuerliche Landwirtschaft (AbL) den Negativpreis "Heuschrecke des Jahres".
Ob Grunderwerbsteuern gezahlt wurden, war dem Thüringer Landwirtschaftsministerium zum Zeitpunkt des Interviews mit der ARD nicht bekannt, denn für den Kauf, der im Rahmen eines so genannten Share Deals erfolgte, brauchte es keine behördliche Genehmigung.
Laut dem Grundstückverkehrsgesetz, das bis ins Jahr 1918 zurückgeht, muss der Verkauf eines Ackers an eine reale Person bisher behördlich genehmigt werden. Doch bei Anteilskäufen von Immobilien verzichtete der Staat bisher auf Steuern. Von dieser Regelung profitierten vor allem die Großen. Für kleine landwirtschaftliche Unternehmen und Junglandwirte war sie ein Wettbewerbsnachteil.
Über eine Neuregelung der Grunderwerbssteuer bei Share Deals soll die Bodenspekulation zwar gebremst werden. Doch Experten bezweifeln, ob es bei den Share Deals eine verfassungsrechtlich wasserdichte Lösung geben kann. Denn sowohl das Grundgesetz als auch das EU-Recht setze enge rechtliche Grenzen, wie es heißt.
Regulierungslücken müssen geschlossen werden
Während agrarferne Investoren eine gesetzliche Lücke nutzen, um steuerfrei riesige Äcker zu kaufen, sehen sich einfache Landwirte durch steigende Bodenpreise in ihrer Existenz bedroht. Kapitalstarke Käufer haben naturgemäß kein Interesse daran, dass diese Lücken geschlossen werden, weiß Jobst Jungehülsing. Zwar liegen Vorschläge über Änderungen im Bodenrecht auf dem Tisch, doch bei den meisten sei man in den letzten vier Jahren nicht wesentlich weitergekommen, erklärt der Referatsleiter für Bodenmarkt im Bundeslandwirtschaftsministerium.
Vor allem in Ostdeutschland sind künftig große Übernahmen zu erwarten. So sind in Brandenburg oder Thüringen große Agrargesellschaften mit riesigen Landflächen zu verkaufen - häufig zu groß und zu teuer für einzelne Landwirte. Auf diese Weise kommen millionen- oder gar milliardenschwere Investoren ins Spiel, die angesichts niedriger Zinsen nicht mehr wissen, wohin mit ihrem Geld.
Glaubt man der Kommission Bodenschutz beim Bundesumweltamt (KBU), so hat die Bodenfruchtbarkeit im Gegensatz zu früher längst keinen Einfluss mehr auf die Preisbildung. Eine viel größere Rolle spielt der Flächenbedarf für die Tierhaltung und die Nutzung als Bauland. Um den landwirtschaftlichen Bodenmarkt prioritär für praktizierende ortsansässige Landwirte zu sichern, müssten vor allem die Lücken im Grundstücksverkehrsrecht geschlossen werden.
Der Fokus müsse auf den Schutz öffentlicher Güter ausgerichtet werden, fordert die KBU in einem Positionspapier von 2019.
Doch hier liegt die Verantwortung bei den einzelnen Bundesländern. Während es Baden-Württemberg gelang, innerhalb eines Jahres wichtige Regulierungslücken zu schließen, ist Sachsen-Anhalt bereits zweimal an einem solchen Gesetz gescheitert. Auch in Brandenburg wird schon länger an einem neuen Bodenmarktrecht gearbeitet - bisher ohne nennenswerte Ergebnisse.
In Thüringen wurde inzwischen ein neues Agrarstrukturgesetz auf den Weg gebracht, mit dem Ziel, die landwirtschaftliche Fläche für heimische Landwirtinnen und Landwirte langfristig zu sichern. Denn hier untersagt das geltende Grundstücksverkehrsgesetz ein grobes Missverhältnis zwischen dem Gegenwert und dem Wert des Grundstückes.
Nötig ist eine tiefgreifende Agrarreform
55 Millionen Euro umfassen die vorrangig flächenbezogenen EU-Subventionen der GAP. Je mehr Hektar Land ein Betrieb besitzt, desto mehr Geld bekommt er aus dem Subventionstopf. Dabei sollen Subventionen vor allem die Verbesserung von natürlichen Bodenfunktionen beziehungweise Ökosystemleistungen im Fokus haben.
Doch bisher sollen gerade mal zehn Prozent der Gelder auf alle Betriebe verteilt werden. Somit werden die Maßnahmen zur Verringerung der Nährstoffüberschüsse im Boden und zur Erhaltung der Artenvielfalt nach wie vor nur geringfügig gefördert. Das meiste Geld fließt bisher weiter an die größten Agrarbetriebe, kritisiert Maria Noichl, EU-Abgeordnete der SPD.
Was fehlt, ist eine verpflichtende Obergrenze. Verhinderer einer sinnvollen Subventionierung seien vor allem Länder mit großen Agrarstrukturen, wie zum Beispiel Deutschland oder Tschechien, resümiert der EU-Abgeordnete Martin Häusling in einem Interview. Auch die Zukunftskommission Landwirtschaft empfiehlt massiven Umbau des Agrar- und Ernährungssektors.
Das Bodenrecht muss sich stärker am Gemeinwohl orientieren. Bei der anstehenden Grundsteuerreform sollten aktuelle Boden- und Immobilienwerte stärker berücksichtigt und Erträge aus Bodenwertsteigerungen besteuert werden. Vor allem aber müssen, statt die Besitzer der größten Flächen zu belohnen, diejenigen honoriert werden, die effiziente Umweltleistungen und eine bessere Beschäftigungspolitik bieten und am nachhaltigsten wirtschaften.
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