Le Pen stellt Chefstrategen der "Dediabolisierung" ins Aus
Florian Philippot verliert den Machtkampf im Front National und tritt aus der Partei aus. Hintergrund ist ein Richtungsstreit
Die Nummer 2 des Front National (FN), Florian Philippot, verlässt nach einem Machtkampf die Partei. Der FN-Vorzeige-Absolvent von Eliteschulen ("Enarc") war seit Ende 2011 Chef-Stratege der Partei, verantwortlich für die Präsentation der Partei im Wahlkampf zu den Präsidentschaftswahlen 2012 und 2017.
Er gilt als maßgeblich verantwortlich für die "Dediabolisierung" der Partei: für die Gestaltung eines neuen Images des Front National, dem nun seltener das früher wie selbstverständlich dazu gehörige Beiwort "rechtsextrem" angeheftet wird. Hinter den jahrelangen Bemühungen um die Erschließung neuer und größerer Wählerschichten stand nicht nur der Auftrag eines neuen Lacks, sondern auch eine Öffnung, mit der sich die Partei als modern und zeitgemäß präsentieren konnte, die den Muff der Reaktionäre in den Hinterstuben, wo man dem Faschismus frönt, hinter sich gelassen hat.
Öffentlicher Ausweis dieser Entwicklung war das Hinausdrängen des alten Parteiführers und -gründers Jean-Marie Le Pen, der weiterhin unmissverständlich rechtsextreme Ansichten an die Öffentlichkeit trug; auch die offen gezeigte Toleranz gegenüber Homosexuellen gilt als Vorzeige-Signal für die Veränderung der Partei. Mittlerweile sind TV-Einladungen und Interviews mit Vertretern des FN normal. Die Partei hat, wie die jüngsten Präsidentschaftswahlen zeigten, den Eintritt in den Club der anerkannten Parteien geschafft, wovon sie jahrelang ausgeschlossen war.
Machtkampf nach der Wahlniederlage Marine Le Pens
Aber Le Pen verlor gegen Macron. Seither tobt hinter den Kulissen ein Lager- und Richtungsstreit, der sich zwar schon zuvor gezeigt hatte, aber bis zur Stichwahl Anfang Mai, so gut es ging, aus der Öffentlichkeit herausgehalten wurde.
Einstweiliger Höhepunkt ist der Machtkampf zwischen Marine Le Pen und ihrem Stellvertreter Florian Philippot. Dieser hatte - vor der Parlamentswahl im Mai - eine eigene Vereinigung innerhalb des FN namens "Les Patriotes" gegründet, die sich mit Debatten und Ideen beim Umbau des FN engagieren sollte, die Le Pen nach der Stichwahl-Niederlage angekündigt hatte. Als Präsident dieser Gruppe fungiert Florian Philippot.
Die Gründung einer eigenen Gruppe stieß innerhalb der Partei erwartungsgemäß auf Widerstand und verschärfte Bruchlinien. Bei der Gegnerschaft zu Philippot vermischen sich politische und persönliche Motive. Philippot ist homosexuell und er ist kein Katholik, das allein bringt ihn schon auf Distanz zu einigen in der Partei, die mit Ansichten von Vater Le Pen verbunden sind.
Jean-Marie Le Pen machte kein Hehl aus seiner Abneigung gegen "die Philippots" (auch Florians Bruder Damien ist in der Partei, seit Juli ist er parlamentarischer Assistent von Marine Le Pen). Er zog öffentlich gegen den Einfluss der Philippots, womit auch deren Anhänger gemeint waren, vom Leder, er bezichtigte sie, dass sie die Identität der Partei verwässert haben und sie dem Mainstream zugeführt hätten. Mehrmals war auch die Homosexualität Philippots Ziel seiner Angriffe.
Seine Nichte Marion Maréchal-Le Pen liegt seit längerem im Streit mit Florian Philippot - wegen der Haltung zu bezahlten Abtreibungen. Maréchal-Le Pen ist dagegen, Philippot nicht. Schon hier ging der Streit nicht nur um die Ansichten zur Sache selbst, sondern auch darum, welches Lager in der Partei die Mehrheit hat und wie die Mehrheit behauptet wird.
Die Lager und der Euro
Die Lager könnte man grob einteilen in ein traditionelles und eines, das der Partei neue Wählerschichten zuführen will, von denen sich diejenigen abgrenzen wollen, die auf eine stärke Identitätspolitik setzen und auf einen Kurs, der sich deutlich gegen links abgrenzt. Doch gibt es noch einen anderen Unterschied.
Die Linie "sociale-souverainiste", die Florian Philippot und seinen Anhängern zugeschrieben wird, hat als Hauptforderung den Austritt aus der EU, zwangsläufig ist er damit auch strikt gegen den Euro. Auf der anderen Seite ist man zwar auch EU-kritisch, will aber wirtschaftspolitisch nicht an der unbedingten Forderung nach einem Frexit oder einem Abschied vom Euro festhalten. Die rigide Anti-Euro-Haltung hätte Le Pen die Mehrheit bei den französischen Wählern gekostet, argumentieren sie.
Der mit Philippot in der Grundausrichtung rivalisierende Flügel wird als "wirtschaftsliberal" bezeichnet; dort hat man die Interessen der französischen Unternehmer und Arbeitgeber mehr im Auge. Der Konflikt wird anschaulich im Verhalten Philippots bei den kürzlichen Protesten gegen das neue Arbeitsgesetz, die von der den Linken nahestehenden Gewerkschaft CGT lanciert wurde. Philippot nahm an dem Protest teil und brach damit mit dem Usus der Partei, sich aus Gewerkschaftsdemonstrationen herauszuhalten.
Philippots Strategie läuft darauf hinaus, mehr Wähler der Linken zum FN zu locken. Er glaubt, dass damit eine Mehrheit zu erzielen wäre. Großen Teilen der Partei widerstrebt dies. Wie die Mehrheitsverhältnisse dazu in der Partei aussehen, ist nicht völlig klar. Offensichtlich ist aber, dass der Druck auf Marine Le Pen sehr groß war, Philippot zu opfern. Man kann annehmen, dass es, was politische Linie angeht, keine große Kluft zwischen den beiden gibt.
Darauf deutet auch, dass die Parteiführerin Philippot auf seinem Parteiposten als Stellvertreter beließ, sie entzog ihm die Funktion als Verantwortlicher für die Strategie. Philippot reagierte darauf mit dem Parteiaustritt.
Er begründet ihn damit, dass er kein "Vizepräsident für nichts" sein will. Er wolle sich nicht lächerlich machen und finde auch keinen Geschmack daran, nichts zu tun. Die Führung der Gruppe "Les Patriotes" wollte er nicht aufgeben. Möglicherweise bahnt sich hier die Gründung einer neuen Partei an.