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Libyen: EU beschließt Polizei auf Schiffen von Rettungsmissionen

Bild: Sea-Watch Org

Die Union treibt die Kontrolle der Land- und Seegrenzen weiter voran. In einer Polizeischule in der Sahel-Region will die Bundesregierung afrikanische Grenzschützer trainieren

Die zunehmenden Überfahrten von Migranten über das Mittelmeer standen gestern erneut auf der Tagesordnung des Rates für Auswärtige Angelegenheiten in Brüssel [1]. Die EU-Außenminister sollten über die Verlängerung des Mandates der EU-Militärmission EUNAVFOR MED abstimmen, die seit zwei Jahren zur Bekämpfung von Schleusern im Mittelmeer operiert.

Überraschenderweise hat der italienische Außenminister Angelino Alfano den Beschluss blockiert. Die Regierung in Rom protestiert damit gegen die Weigerung vieler EU-Mitgliedstaaten, Italien bei der Aufnahme und Versorgung der Migranten zu unterstützen.

Die Mission läuft noch bis zum 27. Juli. Der Beschluss zur Verlängerung hatte bereits die notwendigen EU-Gremien passiert: Bis zum 31. Dezember 2018 sollte EUNAVFOR MED mit 6 Millionen Euro ausgestattet werden, weitere Kosten würden von den beteiligten Staaten übernommen. Auch die Ausweitung des Mandates sollte beschlossen werden.

Dann könnten die gesammelten Aufklärungsdaten auch an libysche Behörden weitergegeben werden, damit diese die Boote mit Migranten frühzeitig abfangen und die Fluchthelfer verfolgen. Zuständig ist hierfür das libysche Militär.

Vorschlag für Aufklärungsflüge über libyschem Hoheitsgewässer

Möglicherweise wird der Beschluss zur Verlängerung von EUNAVFOR MED in den nächsten zwei Wochen nachgeholt. Die EU-Außenbeauftragte Federica Mogherini gab sich hierzu "zuversichtlich". Vermutlich wird dies mit weiteren Zugeständnissen an Italien einhergehen. Italien fordert mehr europäische Präsenz in Libyen.

Um die Zusammenarbeit auf dem Mittelmeer zu verbessern, sollen jetzt Angehörige der libyschen Küstenwache auf Schiffen von Frontex-Missionen mitfahren. Als Vorschlag kursiert außerdem, dass Soldaten von EUNAVFOR MED im Gegenzug auf libyschen Patrouillenschiffen stationiert werden.

Ein italienischer Admiral hatte bereits angeregt [2], militärische Aufklärungsflüge über libyschem Hoheitsgewässer durchzuführen und die gewonnenen Erkenntnisse an die zur Marine gehörende libysche Küstenwache zu übermitteln. Für derartige Missionen richtet das italienische Verteidigungsministerium derzeit in Tripolis ein militärisches Lagezentrum [3] ein, damit die dortige Küstenwache das Seegebiet vor Libyen überwachen kann.

Die Europäische Union unterstützt das Vorhaben mit einer Million Euro, die Gelder kommen aus dem Entwicklungshilfetopf. Laut dem Auswärtigen Amt verzögert sich die Fertigstellung des Lagezentrums bis 2018. Danach könnte Libyen jedoch zusammen mit Ägypten und Tunesien an europäische Überwachungssysteme angeschlossen werden.

Zusammen mit der Europäischen Kommission hat Italien ein "Projekt für das Management der See- und Landgrenzen Libyens" ausgearbeitet. Es basiert auf einem Kooperationsabkommen vom Februar und enthält bilaterale Ausbildungs- und Unterstützungsmaßnahmen für Militär- und Grenzschutzbehörden. Die Europäische Union fördert das Projekt als Soforthilfe mit 46 Millionen Euro.

Vorwürfe an Rettungsmissionen

Bereits vor zwei Wochen hat die Europäische Union einen Aktionsplan "zur Verringerung des Migrationsdrucks" präsentiert [4]. Zur "Migrationssteuerung" wird Italien mit weiteren 35 Millionen Euro unterstützt, die Grenzagentur Frontex verspricht 500 zusätzliche "Rückführungsexperten". Im Aktionsplan nimmt die Europäische Kommission Bezug auf einen "Verhaltenskodex" [5], den Italien für private Rettungsmissionen im Mittelmeer aufgesetzt hat.

Ein rechtsgerichteter italienischer Staatsanwalt wirft den Organisationen Beihilfe bei Schleusungen vor, etwa indem Boote mit Migranten durch Suchscheinwerfer "angelockt" würden. Mittlerweile werden die Retter mit den heftigen Vorwürfen auch aus dem politischen Raum, etwa vom deutschen Innenminister Thomas de Maizière (CDU), konfrontiert [6]. Belege allerdings gibt es für die Anschuldigungen nicht.

Mittlerweile haben die Europäische Kommission und die Grenzagentur Frontex den "Verhaltenskodex" auf EU-Ebene bestätigt [7]. Geplant ist jetzt die Aufnahme in Ratsschlussfolgerungen, um die darin enthaltenen Forderungen an die Organisationen auch justiziabel durchsetzen zu können.

Die NGO-Schiffe müssten aus Seenot Gerettete dann selbst in Häfen der Mittelmeeranrainer bringen und dort zeitraubende Befragungen der Behörden erdulden. Bislang wurden die meisten Migranten an Schiffe von EU-Missionen übergeben. Schließlich zwingt der "Verhaltenskodex" die Retter auch zur Offenlegung ihrer Finanzen und zur Einwilligung, dass Polizisten auf ihren Schiffen mitfahren.

UN-Sicherheitsrat könnte Schlauchboot-Resolution verabschieden

Der Rat für Auswärtige Angelegenheiten hat gestern auch Einreiseverbote für libysche Schleuser beschlossen. Sofern diese ihr Vermögen in der Europäischen Union anlegen, dürfte es von den Mitgliedstaaten eingefroren werden. Dabei müsste die Europäische Union eigentlich auch gegen die libysche Marine vorgehen. Frontex und das Auswärtige Amt haben in der Vergangenheit bestätigt [8], dass das Schleusergeschäft in Libyen von aktiven oder ehemaligen Angehörigen von Polizei und Militär angeführt wird.

Zu den weiteren Beschlüssen gehört die Ausfuhrkontrolle "bestimmter Erzeugnisse, die für die Schleusung und den Menschenhandel genutzt werden könnten". Genannt werden Schlauchboote und Außenbordmotoren. Soweit bekannt, werden die Schlauchboote jedoch vor allem aus China importiert und gelangen über Ägypten nach Libyen.

Die EU-Außenminister wollen deshalb prüfen, wie der Zugang der "Schleuser und Menschenhändler" zu diesen "Erzeugnissen" über die EU-Grenzen der EU hinaus eingeschränkt werden. Vermutlich geht es dabei um eine Resolution des Sicherheitsrats der Vereinten Nationen, der bereits das Mandat zur Verfolgung von libyschem Waffen- und Erdölschmuggel erteilt hat.

Neustart von Grenzschutzmission in Libyen

Schließlich einigten sich die EU-Außenminister gestern auch zur Verlängerung der Mission EUBAM Libyen, in der die Einheitsregierung in Tripolis durch Ausbildungsmaßnahmen bei der Überwachung und Kontrolle ihrer Außengrenzen unterstützt wird. EUBAM Libyen steht unter Leitung des Europäischen Auswärtigen Dienstes in Brüssel und richtet sich an militärische und zivile Behörden.

Die Mission wird seit ihrem Beginn von Italien dominiert, auch die Bundespolizei ist daran beteiligt. Wegen der politischen Instabilität war EUBAM Libyen zeitweilig heruntergefahren worden und existierte nur noch als kleiner Planungsstab im Nachbarland Tunesien. Der Neustart begann mit einer Bestandsaufnahme [9] sämtlicher libyscher Sicherheitsbehörden und ihrer Zuständigkeiten. Bald will EUBAM Libyen wieder ein Büro in Tripolis eröffnen.

Der Fokus der EUBAM-Mission liegt auf den Landgrenzen in der Sahara. Das Nachbarland Niger gilt als Haupttransitland für Migranten auf dem Weg in die Europäische Union. Der deutsche Innenminister de Maizière hatte vor einigen Wochen von der Europäischen Union gefordert, stärker an der libyschen Grenze zum Niger präsent sein, um Geflüchtete schon dort an der Weiterreise zu hindern.

Der Vorschlag fand jedoch keine Resonanz, unter anderem weil der libysche Präsidialrat hierzu grünes Licht geben müsste. Die Region war jedoch Schauplatz heftiger Kämpfe von zwei Milizen mit der libyschen Luftwaffe. Berichten [10] zufolge wurden dabei mindestens 141 Menschen erschossen und teilweise exekutiert. Der amtierende Verteidigungsminister wurde daraufhin vorläufig suspendiert, eine Untersuchungskommission soll die Vorfälle aufklären.

Deutschland und Frankreich unterstützen neue Grenzschutztruppe

Jetzt wollen die deutsche und die französische Regierung den Grenzschutz auf der nigrischen Seite verstärken [11]. Auf dem deutsch-französischen Ministerrat hatten Angela Merkel (CDU) und ihr Amtskollege Emmanuel Macron mehr Zusammenarbeit mit den sogenannten G5-Sahel-Staaten beschlossen. In dem G5-Format schließen sich seit 2014 die Länder Mali, Niger, Mauretanien, Burkina Faso und Tschad zusammen. Hauptsächlich geht es dabei um Belange von Sicherheit und Verteidigung.

Deutschland und Frankreich unterstützen bereits den Aufbau einer "gemeinsamen Einsatztruppe" ("Force Conjointe") in den G5-Staaten. Sie soll "Terrorismus und grenzüberschreitende Kriminalität, einschließlich Schleusung und Menschenhandel" bekämpfen. Dabei geht es ausdrücklich auch um die "Stabilisierung Libyens". Die Truppe steht nicht unter der Leitung der Afrikanischen Union und wird deshalb von einigen Nachbarstaaten als Alleingang kritisiert. Dessen ungeachtet stellt die Europäische Union 50 Millionen Euro an Finanzmitteln bereit.

Merkel und Macron gehen aber noch weiter. Beide Länder fordern jetzt, in der Sahel-Region eine Ausbildungsstätte der Europäischen Union für Grenzbeamte einzurichten. Ein solches "Sahel Security College" hatte bereits der Europäische Rates im Juni anvisiert [12]. Vermutlich geht es um die Ausbildung von Soldaten der "gemeinsamen Einsatztruppe". In den G5-Sahel-Staaten obliegen weite Teile des Grenzschutzes dem Militär.

Die europäische Migrationskontrolle würde auf diese Weise erneut militarisiert. Deutschland hätte daran einen gewichtigen Anteil, denn auch die Bundeswehr würde an der neuen Ausbildungsstätte Trainings abhalten.


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https://www.heise.de/-3774996

Links in diesem Artikel:
[1] http://www.consilium.europa.eu/de/press/press-releases/2017/07/17-libya/
[2] http://www.statewatch.org/news/2017/jul/eu-eeas-strategic-review-libya-9202-17.pdf
[3] https://www.cilip.de/2017/04/22/entwicklungshilfe-fuer-libyens-kuestenwache-anschluss-an-europaeische-ueberwachung/
[4] http://europa.eu/rapid/press-release_IP-17-1882_de.htm
[5] http://statewatch.org/news/2017/jul/italy-eu-sar-code-of-conduct.pdf
[6] http://www.spiegel.de/politik/ausland/fluechtlinge-im-mittelmeer-thomas-de-maiziere-kritisiert-schlepper-und-seenotretter-a-1158415.html
[7] http://www.ansamed.info/ansamed/en/news/sections/politics/2017/07/17/italys-migrant-ngo-code-of-conduct-okd-by-ec-frontex_27ae4c7a-1738-4ec6-9887-2caff8719f22.html
[8] https://www.cilip.de/2016/04/20/polizei-und-strafjustiz-terrorismusbekaempfung-grenzmanagement-eu-hilft-libyen-bei-reorganisation-des-sicherheitssektors/
[9] http://www.statewatch.org/news/2017/feb/eu-eeas-libya-assessment-5616-17.pdf
[10] https://www.hrw.org/news/2017/05/21/libya-mass-executions-alleged-military-base
[11] https://twitter.com/AmandineBach/status/885765035628408832
[12] http://data.consilium.europa.eu/doc/document/ST-10137-2017-INIT/de/pdf