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Libyen: Trump will EU militärisch nicht stärker unterstützen

Der libysche General Hafter an Deck des russischen Flugzeugträgers. Screenshot Video, YouTube

Italien versuchte einen Vorstoß. EU-Minister machen sich Sorgen über die Küstenwache

Von den USA sei nichts zu erwarten, sagte [1] Trump vor gut einer Woche dem italienischen Premierminister Gentiloni. "Ich sehe keine Rolle für uns in Libyen. Ich bin der Überzeugung, dass die USA momentan genug Rollen hat. Wir sind überall dabei."

Gentiloni hatte bei seinem Besuch in Washington um mehr Unterstützung gebeten. Italien hat die Initiative ergriffen, um irgendwie eine Ordnung im "gescheiterten Staat" Libyen aufzubauen. Das Land ist auch erste Station für die vielen Flüchtlinge, die übers Mittelmeer in die EU wollen. Dieses Jahr sind es bereits mehr als im selben Zeitraum 2016. Ein stabiles und vereinigtes Libyen sei nötig, die Vereinigten Staaten sollten ihre Einmischung in Libyen verstärken, bat der italienische Ministerpräsident.

Ordnung von außen?

Die Ablehnung Trumps wird von manchen Beobachtern [2] als möglicher game changer im libyschen Bürgerkrieg bewertet. Damit falle nun anderen eine größere Rolle zu, Frankreich, Italien, den Vereinigten Arabischen Emiraten und vor allem Russland. Ob eine Teilung Libyens in drei Regionen unausweichlich sei, fragt [3] sich der Times of Oman-Kolumnist Richard J. C. Galustian. Vieles hänge davon ab, so sein Fazit, welche Rolle man Russland gebe.

Russland selbst hat Aktivitäten aufgenommen. Bekannt wurde, dass General Haftar im letzten Jahr in Moskau war und im Januar dem russischen Flugzeugträger Admiral Kusnezow vor der Küste Libyens einen Besuch mit allen Ehren [4] abstattete, wo er mit dem russischen Verteidigungsminister Schogui eine Videokonferenz abhielt. Vizeaußenminister Bogdanow reiste diese Tage nach Libyen zu Ministerpräsident Serraj [5] und eine Delegation aus Mistrata [6], ein bemerkenswerter Mix mit ausgemachten Islamisten, war letzte Woche in Moskau.

Um Russland zu unterstützen, müssten aber eine Menge in Libyen verwickelte Parteien über ihren Schatten springen: die Nato, die EU, insbesondere Italien, Frankreich und Deutschland, die UN, die Vereinigten Arabischen Emirate, Katar, die Türkei und - nicht zu vergessen ein beträchtlicher Teil der libyschen politischen Führer, Warlords, Milizen und Stämme.

Kurs gegen Islamisten

Denn der Mann, auf den Russland allem Anschein als wichtige Ordnungsfigur im libyschen Schlamassel setzt, heißt General Haftar und dieser hält einen konsequenten Kurs gegen Islamisten, mit denen alle anderen Parteien in irgendeiner Art verbunden sind. Man muss das nicht unbedingt sofort als fatalen politischen Fehler abtun, schließlich gehört das Sich-Arrangieren mit wichtigen Machtfaktoren zum politischen Geschäft.

Aber es spricht alles, was in den letzten Jahren geschah, dafür, dass die Arrangements mit Islamisten, Muslimbrüder und Milizenführer, die Anarchie im Land nur verstärkt haben. Diese haben nichts zuwege gebracht, was zu einer stabileren Ordnung in Libyen geführt hätte, sondern den Bürgerkrieg angeheizt und eine Situation geschaffen, die den Dschihad in Form des IS eingeladen und das al-Qaida-Netzwerk in Nordafrika weiter verstärkt hat.

Erinnert werden muss auch auf den ersten großen Fehler, der dies alles ermöglichte: der Missbrauch einer UN-Resolution, die Intervention der westlichen Gemeinschaft zugunsten der Islamisten - in den Worten Henry Kissingers:

Der Sturz des mörderischen Diktators Gaddafi hatte die konkrete Wirkung, jeden Anschein zu beseitigen, dass es auf nationaler Ebene noch eine Staatsgewalt gebe oder das Land überhaupt noch regierbar sei. Stämme und Regionen bewaffneten sich, um ihre Selbstverwaltung zu sichern oder durch autonome Milizen ihre Vorherrschaft zu erringen.

Henry Kissinger, Weltordnung

Diese Lagebeschreibung sollte man im Auge behalten, wenn es um Appelle für eine stärkere Intervention in Syrien geht, und sie liefert den geeigneten Hintergrund zur Einordung der neuesten Vorwürfe der EU an die libysche Regierung.

Küstenwache: EU wirft libyscher Regierung Planlosigkeit vor

Der lautet nämlich, skurril genug, dass die libysche Regierung "keinen Plan" [7] habe. Die EU-Verteidigungsminister trafen sich dieser Tage auf Malta, um ein dringendes Problem zu besprechen: die verstärkte Anreise von Migranten über Libyen nach Italien, die mörderische Mittelmeer-Route.

Zu ihr gehören auch die mörderischen Zwischenstationen davor, die Horrornachrichten von Sklavenmärkten in Libyen, von Morden, Vergewaltigungen, Prügeln, Zwangsarbeit, unbeschreiblich verschmutzten, degradierenden und krankmachenden Migranten-Haftlagern [8], wo den illegalen Einwanderern nicht selten über Folter weiteres Geld abgepresst wird, das dann Angehörige schicken sollen.

Dass nun mit Abdelgader Tuhami ein Mann zum Chef der Behörde zur Bekämpfung der illegalen Immigration gemacht wurde, der eine gewalttätige Vorgeschichte [9] hat, ist nur ein Detail, aber bezeichnend dafür, dass staatliche Institutionen in Libyen an zentraler Stelle mit dubiosen Personen besetzt sind oder es nach wie vor werden.

Genau das ist das Problem, mit dem die EU zu tun hat. Wie verlässlich sind die Partner, mit denen man Abkommen trifft? Italien will die Grenzen im Süden Libyens durch Abkommen mit unterschiedlichen Stämmen und Gruppierungen verbessern und Italien drängt [10] darauf, die Küstenwache in Libyen zu verstärken.

Das Land hat angeblich bereits zehn neue Boote zur Verfügung gestellt. Dann kam eine "Wunschliste" von der Regierung Serraj, die von der UN und der EU unterstützt wird: Man wolle weitere 130 Boote und dazu auch Waffen, berichtet [11] der Independent (genauere Details der "Einkaufsliste" hier [12]).

Bei der deutschen Verteidigungsministerin und anderen regen sich aber Zweifel über die Verlässlichkeit der Küstenwache (derzeit werden 90 ausgebildet, insgesamt sollen über 500 ausgebildet werden) [13]. Man gibt inzwischen öffentlich zu, dass die Küstenwache eng mit Milizen verbunden ist. So ist die Befürchtung groß, dass das Investment bei den Falschen landen könnte, bei den Schleusern, bei den Milizen, vielleicht sogar bei islamistischen Milizen, der IS war im Küstenort Sabratha präsent. Auch die Dschihadisten interessieren sich für das Schlepper-Schmuggel-Schleuser-Fluchthelfer-Geschäft.

Die Nato will ein Verteidigungsministerium in Libyen als Ansprechpartner

Die andere Möglichkeit wäre, dass die EU selbst den Küstenschutz mit ihren Schiffen der Operation Sophia besorgt. Um dies effektiv betreiben zu können, müssten die Schiffe allerdings in die Hoheitsgewässer Libyens fahren dürfen. Dazu braucht es aber eine Erlaubnis, die letztendlich über die UN vermittelt werden muss, wo also auch Russland ein Wort mitzureden hätte.

Damit ist auch zu erklären, warum Mogherini und andere EU-Vertreter erstmal auf Abstand zu dieser Möglichkeit gehen. Die Libyer sollten den Küstenschutz selbst übernehmen. Auf der Konferenz der EU-Verteidigungsminister in Malta zugegen war übrigens auch der Nato-Generalsekretär Jens Stoltenberg, der "Hilfe versprach". Laut Reuters setzt er sich für den Aufbau eines Verteidigungsministeriums [14] in Libyen ein, damit man ein Fundament für die Sicherheit habe und auch einen Ansprechpartner.

General Haftar wäre für eine bedeutende Fraktion des libyschen Machtpole, nämlich für die Regierung in Tobruk, im Westen des Landes, der Kandidat für die Leitung des Ministeriums. Bislang sträubt sich Italien gegen Haftar, man möchte nicht, dass eine Person zu stark werde. Italien hat gute Beziehungen zu islamistischen Gruppen im Umfeld der Muslimbrüder in Libyen. Man wird sehen, wo die strategischen Interessen der auswärtigen Mächte diesmal zusammenlaufen.


URL dieses Artikels:
https://www.heise.de/-3699811

Links in diesem Artikel:
[1] https://www.nytimes.com/2017/04/20/us/politics/trump-italy-prime-minister-paolo-gentiloni.html?_r=0
[2] http://timesofoman.com/article/107852/Opinion/Columnist/Another-unforeseen-twist-in-Libya-saga-as-Donald-Trump-declares-America-has-no-role-to-play-in-solvi
[3] http://timesofoman.com/article/107852/Opinion/Columnist/Another-unforeseen-twist-in-Libya-saga-as-Donald-Trump-declares-America-has-no-role-to-play-in-solvi
[4] https://www.youtube.com/watch?v=hMw6LUzZAXE
[5] https://www.libyaherald.com/2017/04/26/serraj-tells-russians-he-wants-greater-economic-cooperation/
[6] https://www.libyaherald.com/2017/04/19/misratan-representatives-visit-moscow-next-stop-grozny/
[7] https://www.usnews.com/news/world/articles/2017-04-27/libya-lacks-plan-to-prevent-more-migrants-crossing-to-europe-eu-officials
[8] https://twitter.com/wheelertweets/status/856702016378286080
[9] http://www.dailymail.co.uk/news/article-4085504/Key-suspect-1984-murder-PC-Yvonne-Fletcher-charge-tackling-illegal-immigration-Libya-country-s-backed-government.html
[10] https://www.washingtonpost.com/world/europe/a-european-deal-with-libya-could-leave-migrants-facing-beatings-rapes-and-slavery/2017/04/24/5762802e-1a17-11e7-8598-9a99da559f9e_story.html?utm_term=.3e4dbda7eacb
[11] https://www.independent.co.uk/news/world/europe/refugee-crisis-migrants-libya-government-ships-coastguard-request-eu-list-mediterranean-machine-guns-a7704171.html
[12] http://www.tagesschau.de/ausland/libyen-313.html
[13] https://www.usnews.com/news/world/articles/2017-04-27/libya-lacks-plan-to-prevent-more-migrants-crossing-to-europe-eu-officials
[14] https://www.usnews.com/news/world/articles/2017-04-27/libya-lacks-plan-to-prevent-more-migrants-crossing-to-europe-eu-officials