Linken-Abgeordnete bezeichnet Panzerlieferung als "historische Fehlentscheidung"

Die Bundestagsabgeordnete Sevim Dağdelen von Die Linke im Interview mit Democracy Now, zugeschaltet aus Havanna/Kuba, wo sie Teil einer Delegation von Progressive International ist. Bild: Democracy Now

Sevim Dağdelen sieht Bundesregierung durch US-Führung und kriegstreibende Atmosphäre in Stellvertreterkrieg gedrängt. Kampfpanzer bedeuten eine politische, nicht militärische Wende. Warum die Entscheidung ihrer Ansicht nach fatal ist.

Das Interview mit Sevim Dağdelen, Mitglied von Die Linke, kurdisch-deutsche Bundestagsabgeordnete und Mitglied der Parlamentarischen Versammlung der Nato., wird von Amy Goodman und Juan Gonzales geführt. Telepolis veröffentlicht es in Kooperation mit dem US-Programm Democracy Now.

Was bedeutet die Entscheidung der Bundesregierung, Leopard-Panzer an die Ukraine zu schicken, und anderen Ländern wie Polen und skandinavischen Ländern, die diese Panzer von Deutschland haben, zu erlauben, sie ebenfalls in die Ukraine zu schicken?

Sevim Dağdelen: Die Entscheidung, Kampfpanzer aus Deutschland in die Ukraine zu schicken, und die Erlaubnis zu erteilen, dass Polen und andere Länder deutsche Leopard-2-Panzer in die Ukraine senden können, ist eine historische Fehlentscheidung. Sie ist nur zustande gekommen aufgrund des starken Drucks der US-Regierung unter Biden.

Vor einigen Monaten sagte Bundeskanzler Scholz im deutschen Parlament, im Auswärtigen Ausschuss, dass Panzer eine rote Linie darstellen. Es sei eine Eskalationslinie, Kampfpanzer aus Deutschland in die Ukraine zu schicken. Damit würde eine rote Linie überschritten.

Aber der Druck der Biden-Administration, Deutschland an die Frontlinie des Kriegs zu bringen, war zu stark. Ebenso der Druck der Koalitionspartner in Berlin, der Grünen und der Liberalen – sie sind eigentlich die Neokonservativen in der Regierung. Sie sagten, dass sie sogar die Koalition zerbrechen lassen würden, wenn die Leopard-2-Kampfpanzer nicht von Bundeskanzler Scholz in die Ukraine geschickt würden.

Wir sind jetzt in einer sehr schlechten Situation. Es ist aus meiner Sicht eine historisch falsche Entscheidung, die gegen die Mehrheitsmeinung der deutschen Bevölkerung gefällt wurde. Nach neuen Umfragen ist die Mehrheit der Deutschen gegen die Entsendung von Kampfpanzern in die Ukraine. Die meisten sind für mehr Diplomatie, für einen Verhandlungsfrieden in der Ukraine.

Und dann ist da noch der 31. Januar, der 80. Jahrestag der Schlacht von Stalingrad. Jede Familie in Russland hat in dieser Schlacht von Stalingrad Angehörige verloren. Man muss kein Prophet sein, um zu wissen, dass die Verschickung deutscher Panzer gegen Russland in diesen Stellvertreterkrieg der Vereinigten Staaten eine noch stärkere Mobilisierung der russischen Gesellschaft zur Folge haben wird.

Es bedeutet, dass man in Russland in Bezug auf den Krieg das Gegenteil von dem bewirkt, was man eigentlich will. Deshalb ist es historisch so falsch, Kampfpanzer zu schicken.

In den Vereinigten Staaten sind die Massenmedien noch kriegsbefürwortender als die Regierung und drängen die Biden-Administration ständig dazu, mehr militärische Unterstützung für die Ukraine zu leisten. Wie ist die Situation in Deutschland in Bezug auf den Einfluss der Medien auf die Regierung? Wie stellen die Medien die Notwendigkeit von mehr Rüstungsgütern für die Ukraine dar?

Sevim Dağdelen: Wir haben eine wirklich extrem kriegstreibende Atmosphäre in Deutschland, verursacht durch die Mainstreammedien. Ich war im März, April letzten Jahres in den Vereinigten Staaten, in Washington D.C. Die Vertreter des Außenministeriums, des Pentagons und des Nationalen Sicherheitsrates sagten, dass die deutschen Medien gute Arbeit geleistet hätten, um die neue deutsche Regierung zur Zeitenwende, hundert Milliarden Euro für die Militarisierung und Lieferungen von Waffen und Rüstungsgütern in die Ukraine zu drängen. Es muss etwas falsch laufen, wenn Vertreter eines anderen Landes wie der Vereinigten Staaten sagen, dass die deutsche Presse gut funktioniert.

Das Problem ist, dass die deutsche Mainstreampresse sehr stark in den Atlantic Council, transatlantische Think Tanks und so weiter eingebunden ist. Viele Redakteure, vor allem die leitenden Redakteure und Chefredakteure, sind darin organisiert. Wir folgen der Interessenpolitik der Vereinigten Staaten.

Es sind die Interessen einer Elite, nicht der US-Bevölkerung, von Neocons, die offensichtlich den Standpunkt vertreten, dass Europa für die Vereinigten Staaten das sein sollte, was Lateinamerika in den 70er Jahren gewesen ist. Ein Kontinent, auf dem man tun kann, was man will.

Offensichtlich ist es ein gutes Geschäft für die Fracking-Industrie und den militärisch-industriellen Komplex in den USA, dass ein Krieg in Europa geführt wird. Denn Panzer aus Deutschland zu schicken, ist durchaus im Interesse der US-Militärindustrie. Die Annahme dieser Industrie ist, dass, wenn die Leopard-2-Panzer – das modernste Panzer-Waffensystem in Europa, das wir haben – verloren gehen, man eigene Panzer liefern kann.

Kanzler Scholz ist mit seiner Forderung an die Vereinigten Staaten gescheitert, ebenfalls Kampfpanzer in die Ukraine zu schicken. Laut Washington Post würde es mehrere Jahre dauern, bis die USA Panzer bereitstellen könnten. Also drängt man uns, die Deutschen, in dieses Feuer, in die Frontlinie des Kriegs, während man die eigenen Interessen und die Lieferung von US-Militär-Produkten im Blick hat. Zugleich wird eine Situation geschaffen, in der Deutschland und Russland keinerlei Beziehungen mehr aufbauen können.

Schaut man sich Bücher von Brzezinski und so weiter in den USA an, war es immer das Ziel der amerikanischen Eliten, die Beziehungen zwischen Deutschland und Russland zu zerstören. Das ist meine Sorge. Die grüne Außenministerin in Deutschland, Annalena Baerbock, sagte nun öffentlich, dass wir einen Krieg gegen Russland führen.

Es beunruhigt mich auch sehr, dass viele so genannte Progressive in den Vereinigten Staaten diese Linie der Biden-Administration unterstützen, um Deutschland mehr und mehr in diesen Stellvertreterkrieg zu drängen und dabei das Risiko einzugehen, dass es zu einer Ausweitung in Richtung auf einen Dritten Weltkrieg kommen kann.

Ein Dritter Weltkrieg auf einem Kontinent wie Europa wird die Menschen in den Vereinigten Staaten, 8.000 Kilometer von Europa entfernt, nicht betreffen. Er wird uns in Europa treffen.