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Luftangriffe in Syrien: USA dokumentieren ihren Willen, sich festzusetzen

F-15E Strike Eagle, eingesetzt bei der Operation Inherent Resolve (in Syrien und Irak -gegen IS). Foto: US-Verteidigungsministerium

Deir ez-Zor: Ziel waren verbündete Milizen der Regierung Assad. Es geht um die Kontrolle großer Ölfelder und um den Machtpoker bei der Neuordnung des Landes nach dem Fall des Kalifats

Der Krieg in Syrien dreht weiter hoch. Die USA untermauerten gestern ihre Präsenz und ihren Anspruch in Syrien mit einer deutlichen kriegerischen Aktion. Sie griffen Verbündete der syrischen Regierung aus der Luft an.

Die Angriffe der US-geführten Koalition [1] kosteten "100 Assad-Kämpfern", so die Bezeichnung der Tageschau [2], das Leben. Wen die Trump-Piloten bei ihren Angriffen genau trafen, ist noch offen. Dass damit die Spannungen zwischen den USA und Russland sowie zwischen den syrischen Kurden und der syrischen Regierung zunehmen, ist dagegen unstrittig.

Ein "Akt der Verteidigung"

Zur Verteidigung der Koalition und ihrer Partner führte die Koalition Angriffe gegen angreifende Streitkräfte durch, die sich aggressiv gegen Partner richteten, die in einer globalen Mission engagiert sind, der es um die Niederlage von Daesh geht. Die Koalition bliebt diesem Ziel der "defeat-Daesh mission" im Mittleren Euphrat-Tal treu und behauptet ihr nicht verhandelbares Recht zur Selbstverteidigung

US-Central Command [3]

Gleichwohl: Der Zwischenfall im Süden Syriens wird von den USA in einer Pressemitteilung des Central-Command [4] als "Akt der Verteidigung" bezeichnet.

Ihm zuvor gegangen war laut US-Darstellung, wie sie Reuters wiedergibt [5], ein Angriff der bislang namentlich nicht bekannten syrischen Milizen auf ein Hauptquartier der SDF. Wo dieses Hauptquartier ist und wie der Angriff auf dieses ausgefallen sein soll, ist unklar bzw. sehr vage [6]. In der Region Deir ez-Zor, wo die Auseinandersetzungen stattfanden, sind die SDF, die maßgeblich von YPG-Einheiten geführt werden, offiziell Partner der US-Koalition. Das ist ein bemerkenswerter Unterschied zu Afrin, wo die USA die kurdischen YPG-Milizen nicht gegen Angriffe ihres Nato-Verbündeten Türkei verteidigt hat.

Die USA pochen darauf, dass das Gebiet östlich des Euphrat, "ihre Zone" ist. "Als Berater, Helfer oder Begleiter agierende Mitglieder der Koalition wurden zusammen mit ihren SDF-Partnern acht Kilometer östlich einer verabredeten, ausgemachten De-Eskalationslinie am Euphrates angegriffen", heißt es in der Central-Command-Erklärung.

Aus dieser De-Eskalations- oder Schutzzone leitet sich nach Auffassung der US-Führung aus einem nationalen Interesse heraus das Recht ab, sich gegen andere zu verteidigen. Auch die Türkei macht ja bei ihrem Angriff auf Afrin ein "nationales Selbstverteidigungsrecht" geltend, aber sie ist immerhin Nachbarstaat. Die USA leiten ihre aggressive Selbstverteidigung tausende Kilometer vom Homeland entfernt von der Bedrohung durch den IS ab.

Zur Verteidigung der Koalition und ihrer Partner führte die Koalition Angriffe gegen angreifende Streitkräfte durch, die sich aggressiv gegen Partner richteten, die in einer globalen Mission engagiert sind, der es um die Niederlage von Daesh geht. Die Koalition bliebt diesem Ziel der "defeat-Daesh mission" im Mittleren Euphrat-Tal treu und behauptet ihr nicht verhandelbares Recht zur Selbstverteidigung

US-Central Command [7]

Was für den, der auf Völkerrecht und Gesetze schaut - die eindeutig die syrische Regierung als Souverän bestimmen, die in diesem Gebiet auf Selbstverteidigungsrechte pochen kann-, als irrsinnig, abwegig, kriminell und aggressiv erscheint, ist einfach kriegerische Machtpolitik.

Sie basiert laut informierten Quellen und Angaben, die in der genannten CC-Presseerklärung durchscheinen, auf einer Absprache mit Russland, deren Vertreter mit den Vertretern der USA angeblich und anscheinend eine solche Interessens-, Einfluss- oder Schutzzone vereinbart haben. Das Wort "anscheinend" wurde gewählt, weil mehrere Berichte von einer solchen Absprache ausgehen, obwohl keiner Beweise dafür vorgelegt hat oder gar den genauen Inhalt der geheimen Abmachungen wiedergeben kann.

Das Pfand der USA: Kontrolle über Öl- und Gasfelder in Deir-Ezzor

Aber auch ungeachtet einer russischen Bewilligung einer solchen Zone, für die es wie gesagt keine Beweise gibt, ist unbestreitbar, dass es in Deir ez-Zor und genauer in dem Teil des Südostens Syrien, wo die ergiebigen fossilen Ressourcen [8] liegen, Öl- und Gasfelder, im letzten Jahr schon zu Spannungen gekommen ist [9], die Russland, Syrien auf der einen Seite hatten und auf der anderen die USA und ihre Verbündeten, die SDF.

Offiziell geht es laut USA um den Kampf gegen den IS, der diese Gebiete in Deir ez-Zor samt Ölfeldern und Gasanlagen noch bis etwa August 2017 weitestgehend unter Kontrolle hatte. Als die SDF dann im September nacheinander die größten und wichtigsten Ölfelder [10] sowie die Erdgasanlage Conoco [11] erobert hatten - im Namen des Kampfes gegen den IS und strategisch noch wichtiger im Wettlauf mit der syrischen Armee und Russland - gaben die kurdischen Kämpfer die für die syrische Regierung wichtigen Energieversorgungsquellen nicht wieder zurück.

Das hängt natürlich mit dem Interesse der dahinterstehenden Supermacht USA zusammen, die mit der Kontrolle der Ölfelder Tabiyeh, al-Isba und al-Omar ein Druckmittel gegen Assad zur Hand haben, das sie anderweitig, sei es militärisch über die unterstützten oppositionellen Milizen oder diplomatisch über die Gespräche in Genf, nicht bekommen hatten. Solches Kapital gibt man nicht so leicht her.

Russland: Unsauberes Spiel

Russland hatte mehrfach angedeutet, dass die USA in dieser Kampfzone bei Deir ez-Zor ein unsauberes Spiel mit dem IS machen würden. Aus Moskau waren öfter Vorwürfe zu hören, die darauf hinausliefen, dass sich die USA bzw. auch ihre Verbündeten die SDF mit dem IS verabreden [12] würden.

Der Ort der aktuell gemeldeten Auseinandersetzungen befindet sich laut verschiedener [13] Quellen [14] in der Umgebung des Gasfeldes Conoco und des syrischen Ortes Khasham.

Naheliegend ist der Gedanke, dass die mit der syrischen Regierung verbündeten Milizen die Anlage in Conoco erobern wollte. Die Zahl von 500 Kämpfern und das mitgebrachte, zum Teil schwere Kriegsgerät, wie Reuters (aufgrund der Angaben eines US-Vertreters) meldet, [15] spräche dafür, dass die Milizen Ernsthaftes vorhatten.

Welche Milizen beteiligt waren, wird auch in der Meldung [16] der syrischen Nachrichtenagentur nicht genannt. Sie erzählt eine etwas andere Geschichte als die Pressemitteilung der US-Central Command. Bestätigt wird aber der Ort des Geschehens, Khasham. Und, als ob es sich um eine spöttische Replik auf die Central-Command-Mitteilung handeln würde, es wird darauf aufmerksam gemacht, dass die US-Luftangriffe Gruppen gegolten haben, die gegen den IS kämpfen.

Im Mittelpunkt: Die Haltung der YPG zu den USA

In früheren Berichten [17], datierend vom September 2017, zum Geschehen in der Kriegszone Deir ez-Zor werden syrische Volksmobilisierungsmilizen (National Defense Forces) sowie die Baath-Battalions genannt, dazu palästinensische (The Galilee Forces) und schiitische Milizen ("Lebanese Hezbollah and a number of other Iran-backed groups"). Ehsani2, ein Beobachter des Geschehens in Syrien seit vielen Jahren und mit guten Beziehungen zur syrischen Regierung, geht davon aus, dass es arabische Stämme [18] waren, die von der US-Koalition angegriffen wurden.

In Erinnerung dürfte manchem Leser sein, dass die US-Koalition im letzten Jahr bei al-Tanf, ebenfalls im Wüstengebiet im Süden Syriens, schiitische Milizen zwei Mal aus der Luft angegriffen hatten.

Bemerkenswert ist neben der unstimmigen Haltung der USA zur YPG (SDF) in Afrin und in Deir Ezzor, dass auch die syrische Regierung "leichte Ambivalenzen" zeigt. Zwar unterstützt die syrische Regierung die YPG in Afrin nicht wirklich kräftig oder offen, aber sie gestattet, dass der Nachschub an Kämpfern und Material zur Verteidigung gegen die mit der Türkei verbündeten Milizen ohne Hindernisse durch syrische Armeelinien hindurch nach Afrin kommen kann.

Die "proaktive" Duldung der YPG - die Bezeichnung liegt nahe, wenn man den Nachrichten glaubt, wonach die syrische Regierung sogar Flugabwehreinrichtungen, die sich gegen die türkischen Flugzeuge richten könnten, ausgebaut hat - steht ganz im Gegensatz zu den offenen Konflikten in Deir ez-Zor, wo mit Damaskus verbündete Milizen anscheinend Krieg gegen die YPG-Kämpfer führen, wie die aktuellen Meldungen nahelegen.

Wahrscheinlich würde sich das Verhältnis zwischen der Regierung in Damaskus und den Kurden der YPG/SDF entscheidend verändern, wenn die Ölfelder wieder an die syrische Regierung zurückgegeben würden. Dann blieben zwar noch einige harte Streitpunkte über das politische System und Autonomierechte der Kurden in einer, wie sie fordern, föderalen Demokratie, aber die Loyalitätsfrage "pro USA/contra syrische Regierung?" würde ein ganz anderes Gewicht bekommen.

Allerdings stehen dem die USA und ihre Interessen in Syrien entgegen. Von denen man nicht genau weiß, worauf sie längerfristig abzielen - außer, dass Syrien unter Baschar al-Assad möglichst "arm, schwach und zerteilt" sein soll, wie dies der US-Nahost-Spezialist Joshua Landis auf den Punkt bringt [19].

Das Risiko für die syrischen Kurden besteht darin, dass sie, wenn sie sich von den USA distanzieren und der Assad-Regierung in Damaskus annähern, weniger Unterstützung für ihre politischen Forderungen haben.

Manche Kommentatoren [20] sind der Meinung, dass die Auseinandersetzung bei Deir ez-Zor möglicherweise provoziert wurde, um zu testen, wie weit die USA gehen würden.


URL dieses Artikels:
https://www.heise.de/-3963643

Links in diesem Artikel:
[1] http://www.centcom.mil/MEDIA/PRESS-RELEASES/Press-Release-View/Article/1435188/unprovoked-attack-by-syrian-pro-regime-forces-prompts-coalition-defensive-strik/
[2] http://www.tagesschau.de/ausland/syrien-us-angriffe-101.html
[3] http://www.centcom.mil/MEDIA/PRESS-RELEASES/Press-Release-View/Article/1435188/unprovoked-attack-by-syrian-pro-regime-forces-prompts-coalition-defensive-strik/
[4] http://www.centcom.mil/MEDIA/PRESS-RELEASES/Press-Release-View/Article/1435188/unprovoked-attack-by-syrian-pro-regime-forces-prompts-coalition-defensive-strik/
[5] https://www.reuters.com/article/us-mideast-crisis-usa-syria/more-than-100-pro-assad-forces-killed-in-thwarted-attack-u-s-official-idUSKBN1FR3BB
[6] http://www.moonofalabama.org/2018/02/syria-us-may-have-arranged-self-defense-attack-on-syrian-government-forces.html
[7] http://www.centcom.mil/MEDIA/PRESS-RELEASES/Press-Release-View/Article/1435188/unprovoked-attack-by-syrian-pro-regime-forces-prompts-coalition-defensive-strik/
[8] https://southfront.org/wp-content/uploads/2017/10/19oct_Deir-Ezzor_Syria_War_Map.jpg?x76537
[9] https://www.newsdeeply.com/syria/articles/2017/09/26/mapping-the-battle-against-isis-in-deir-ezzor
[10] https://southfront.org/syrian-democratic-forces-capture-key-oil-fields-in-deir-ezzor-reports/
[11] http://www.aljazeera.com/news/2017/09/syria-sdf-conoco-gas-field-isil-170923145043971.html
[12] http://tass.com/world/983673
[13] https://southfront.org/breaking-us-led-coalition-conducts-strikes-against-syrian-army-in-deir-ezzor/
[14] https://www.difesaesicurezza.com/en/defence/syria-us-led-coalition-conduct-strikes-saa-deirezzor-to-protect-sdf/
[15] https://www.reuters.com/article/us-mideast-crisis-usa-syria/more-than-100-pro-assad-forces-killed-in-thwarted-attack-u-s-official-idUSKBN1FR3BB
[16] https://sana.sy/en/?p=126670
[17] https://www.newsdeeply.com/syria/articles/2017/09/26/mapping-the-battle-against-isis-in-deir-ezzor
[18] https://twitter.com/EHSANI22/status/961606764893483010
[19] https://twitter.com/F24Debate/status/961320227341570048
[20] https://twitter.com/hxhassan/status/961392211291197440