Lula da Silva gegen Ukraine-Debatte: "Geopolitik darf G20 nicht dominieren"

Mit eigener Agenda: Lula, Modi. Bild: www.gov.br, Ricardo Stuckert

Präsident von Brasilien richtet kommenden Gipfel aus. Westliche Agenda wird weiter eingehegt. Doch was sind Lulas Ziele?

Der brasilianische Präsident Luiz Inácio Lula da Silva hat die Präsidentschaft der G-20 in Neu-Delhi vor wenigen Tagen mit dem einem beachtlichen Appell übernommen: Es gehe ihm darum, zu verhindern, dass geopolitische Fragen die Arbeit der Allianz blockieren.

Er betonte, dass er den Konflikt in der Ukraine nicht diskutieren werde, und versicherte, dass der russische Präsident Wladimir Putin am nächsten Gipfel des Bündnisses im November kommenden Jahres in Rio de Janeiro teilnehmen könne, ohne verhaftet zu werden – obwohl gegen ihn ein Haftbefehl des Internationalen Strafgerichtshofs wegen mutmaßlicher Kriegsverbrechen vorliegt.

"Wir dürfen nicht zulassen, dass geopolitische Fragen die Tagesordnung der G20-Diskussionen dominieren. Wir sind nicht an einer geteilten G20 interessiert. Wir brauchen Frieden und Zusammenarbeit anstelle von Konflikten", sagte Lula zum Abschluss des Gipfels.

Die Prioritäten der brasilianischen G-20-Agenda beträfen drei Felder, führte er weiter aus: den Kampf gegen Ungleichheit und Hunger, den Kampf gegen den Klimawandel und die Reform der internationalen Organisationen.

Der G-20 gehören Argentinien, Australien, Brasilien, Kanada, China, Frankreich, Deutschland, Indien, Indonesien, Italien, Japan, Südkorea, Mexiko, Russland, Saudi-Arabien, Südafrika, Türkei, Großbritannien, die Vereinigten Staaten und die Europäische Union an.

Am Rande des Gipfels traf der brasilianische Präsident mit der Präsidentin der Europäischen Kommission, Ursula von der Leyen, zusammen, der er erneut erklärte, dass die europäischen Umweltforderungen nach einem Freihandelsabkommen mit dem Gemeinsamen Markt des Südens (Mercosur) inakzeptabel seien.

Neben den drei genannten Prioritäten forderte er nachdrücklich, dass mehr Länder dem UN-Sicherheitsrat beitreten und die Entwicklungsländer mehr Mitspracherecht im Internationalen Währungsfonds und in der Weltbank erhalten.

Das Thema, das Lulas Agenda auf dem indischen Gipfel beherrschte, war der Aufruf zu Maßnahmen gegen den Klimawandel, mit der Warnung, dass die Welt vor einem "beispiellosen Klimanotstand" steht.

Die Abschlusserklärung in Neu-Delhi war jedoch alles andere als ehrgeizig: Sie behandelt das Thema in einer so grundlegenden Weise, dass sie sowohl für Länder, die aus der Nutzung fossiler Brennstoffe aussteigen, als auch für große Öl- und Kohleproduzenten wie Saudi-Arabien, die Vereinigten Arabischen Emirate und Russland akzeptabel war.

Lula: G20 soll sich auf Wirtschaft und Soziales konzentrieren

Am Rande des G-20-Gipfels in Indien gab US-Präsident Joe Biden bekannt, dass er sich mit dem chinesischen Premierminister Li Qiang getroffen hat. Er habe mit ihm über "Stabilität" inmitten der Spannungen zwischen den beiden größten Volkswirtschaften der Welt gesprochen.

"Ich möchte China nicht eindämmen, ich will nur sicherstellen, dass wir in den Beziehungen in einem vernünftigen Verhältnis zueinanderstehen und jeder weiß, worum es geht". sagte Biden, der nach dem Gipfel nach Vietnam reiste, wo er mit dem Generalsekretär der regierenden Kommunistischen Partei, Nguyen Phu Trong, ein Abkommen unterzeichnete, das die Beziehung der beiden Länder zu einer "strategischen Partnerschaft" aufwertet.

"Dieser neue Status wird eine Kraft für Wohlstand und Sicherheit in der Region, einer der wichtigsten Regionen der Welt, sein", kündigte Biden in Hanoi an.

Lula sprach das Thema einen Tag nach der Abschlusserklärung der Gruppe der 20 wichtigsten Wirtschaftsnationen an, in der es vermieden wurde, Russland für seinen Einmarsch in der Ukraine zu kritisieren, was den fehlenden Konsens der Gruppe in dieser Frage widerspiegelt.

Die Vereinigten Staaten und einige europäische Länder hatten auf eine Verurteilung Russlands gedrängt, konnten aber keinen Konsens erreichen, auch nicht über die Anwesenheit Russlands auf dem Gipfel.

In einem Fernsehinterview sagte Lula, dass der Krieg in der Ukraine nicht Teil der G20-Agenda sein sollte, die sich auf soziale und wirtschaftliche Fragen konzentrieren sollte.

Der anwesende russische Außenminister Sergej Kawrow betonte indes: "Es ist uns gelungen, den Versuch des Westens zu verhindern, die Tagesordnung des Gipfels zu 'ukrainisieren'".

Noch im vergangenen Jahr hatte der ukrainische Präsident Wolodymyr Selenskyj per Videokonferenz am G-20-Gipfel auf Bali teilgenommen.

Doch dieses Mal machte der indische Präsident Narendra Modi deutlich, dass er Selenskyj nicht zur Teilnahme am diesjährigen Treffen einladen würde, obwohl sich viele Themen wie Energie- und Ernährungssicherheit nicht vom Krieg in der Ukraine trennen lassen.

Indien stellte außerdem einen ehrgeizigen Plan mit den Vereinigten Staaten, der Europäischen Union und anderen Ländern vor, der den Bau eines Eisenbahn- und Schifffahrtskorridors vorsieht, der Indien mit dem Nahen Osten und Europa verbinden soll, um das Wirtschaftswachstum und die politische Zusammenarbeit zu stärken.

Symbolisch auch die folgende Episode: Die Staats- und Regierungschefs stellten sich am Raj-Ghat-Denkmal in Neu-Delhi für Fotos auf. Modi überreichte den Staatsoberhäuptern Schals aus Khadi, einem handgewebten Stoff, der von Gandhi während der indischen Unabhängigkeitsbewegung gegen die britische Herrschaft eingeführt wurde.

Einige Staats- und Regierungschefs, wie der britische Premierminister Rishi Sunak und der indonesische Präsident Joko Widodo, der im vergangenen Jahr Gastgeber des Gipfels war, liefen barfuß zu dem Denkmal, um ihren Respekt zu zeigen.

Andere, wie US-Präsident Joe Biden, trugen Hausschuhe, die den Besuchern normalerweise angeboten werden, um auf dem nassen, von Pfützen übersäten Boden zu laufen, der durch starken Regen verursacht wurde.

Später erinnerte Lula daran, dass vor dem G-20-Gipfel im nächsten Jahr in Rio ein Treffen der Brics-Staats- und Regierungschefs in Russland stattfinden wird. Diesem Forum gehören Brasilien, Russland, Indien, China und Südafrika an, und beim letzten Treffen waren auch Argentinien, Saudi-Arabien, Ägypten, die Vereinigten Arabischen Emirate, Äthiopien und der Iran vertreten.

"Alle nehmen am BRICS-Gipfel teil, also hoffe ich, dass sie auch zum G20-Gipfel in Brasilien kommen werden. In Brasilien werden sie eine Atmosphäre des Friedens spüren", sagte er.

Dieser Artikel erschien zuerst auf spanischer Sprache beim Centro Latinoamericano de Análisis Estratégico (CLAE), einem Projekt der Fundación para la Integración Latinoamericana (FILA)

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