"Mad Max Furiosa": Der Untergang als manieristisches Spektakel
In der orientalischen Despotie: George Millers Film ist vor allem ein barocker Exzess.
But at my back from time to time I hear/
T.S.Eliot "The Waste Land"
The sound of horns and motors
There was, is and always will be war.
Demetrius in "Mad Max Furiosa"
Irgendwann, schon im ersten Drittel dieses Films, gibt es da diesen einen Bildmoment. Man sieht einen Totenschädel in Großaufnahme. Nach ein paar Sekunden krabbelt aus einer Augenhöhle eine Eidechse hervor und lugt neugierig in die Landschaft.
Noch ein paar Sekunden später fährt plötzlich ein Autorad mit Wucht über diesen Schädel hinweg und zerschmettert ihn mitsamt Eidechse in tausend Stücke.
Dieses Bild enthält eigentlich den ganzen Film und mit ihm die Essenz des George-Millerschen Filmemachens: Die Groteske, den Manierismus, die Symbolik, der durch Zynismus grundierte, pointierte Witz.
Odyssee ins Wasteland
Im Garten Eden geht es los. Die Welt ist zerstört und zerstörerisch, aber irgendwo gibt es einen Unort, eine Zuflucht, eine Utopie. Mitten in der Wüste liegt eine grüne Welt, ein Paradies ohne Namen, das im Film nur existiert, um verloren zu werden.
Wir begegnen zwei kessen Schwestern, Furiosa und Valkyrie. Furiosa pflückt einen Apfel, und wie einst bei Eva nimmt von da an das Unglück seinen Lauf. "Be invisible" sagt Furiosa noch zu Valkyrie, bevor sie selbst von einer Motorrad-Bande entführt wird. Die beiden Schwestern werden sich in diesem Film nie mehr wiedersehen.
Sexlose Postapokalypse: Jeder ist dem Anderen ein Mönch
Nach dieser hammerharten, motorgestählten Vertreibung aus dem Paradies geht es bergab in die Hölle einer Hells-Angels-ähnlichen Motorradgang. Furiosas Mutter und eine andere Frau verfolgen zwar die Motorradtypen, und es gibt für die Mutter ein paar Mal Momente um "good girl" zu sagen.
Aber letztlich bekommen sie das Mädchen nicht wieder. Schlimmer noch: Die Mutter fällt in die Hände der Gang, und Furiosa trägt von nun an die Erbsünde in sich, durch ihre Neugier die Mutter einem grausamen Tod ausgeliefert zu haben. Die letzten Worte der Mutter zur Tochter: "protect the green place", "schütze den grünen Bereich".
So ist Furiosa nun in den Händen dieses Motorradfahrerstammes. Der Anführer dieser neuen Hells Angels ist mit mephistophelischem Charisma ausgestattet und heißt Demetrius. Trotz ihrer Entführung aus dem Paradies ist Furiosa einem weiblichen Moses ähnlicher als einer Eva.
Ihr fehlt übrigens den ganzen Film über auch ein Adam: Denn so gewalttätig und opulent "Mad Max Furiosa" auch ist, so sexy manche der Menschen in Aussehen und Kleidung, so sexlos und puritanisch ist dieser Film.
Nur einmal steht im Raum, das Mädchen könnte vergewaltigt werden, ansonsten ist Sex in dieser postapokalyptischen, aber eben auch angelsächsischen Welt des "Mad Max"-Universums das wahre, große, einzige Tabu.
Alle Todsünden, die in dieser Welt in jeder Hinsicht entfaltet werden, haben nur den Zweck von der einen, der einzigen, der größten Todsünde abzulenken. So sehr, dass sie nicht einmal zur Sprache kommt.
In dieser Welt des Schreckens und der Düsternis, in der jeder dem anderen ein Wolf ist, da ist jeder dem Anderen auch ein züchtiger Mönch.
Rache und Glück in einer bereits untergegangenen, tragischen Welt
Wie Moses ist Furiosa nun auf der Suche nach dem "Paradise Lost", nach dem gelobten Land, aber sie ist auch eine neoliberale Individualistin: Denn sie hat kein auserwähltes Volk im Schlepptau, nur die Last der eigenen Vergangenheit.
Vor allem ist Furiosa aber die reine Heldin eines wagnerianisch-mytischen Dramas um Rache und Glück in einer bereits untergegangenen, tragischen Welt. Während "Mad Max: Fury Road" eine Art abstrakte Abhandlung darüber war, wie man Geschwindigkeit filmt, will "Furiosa" eine epische Geschichte sein, weiß aber nicht so recht, wie sie das werden könnte.
"Tonight we dance to Darwin!"
Der Vorgängerfilm "Mad Max Fury Road" war nicht weniger als der größte Blockbuster des vergangenen Jahrzehnts.
Lesen Sie auch
Die Rückkehr des Eisenzeitalters
"Furiosa" wird als Prequel präsentiert, in dem der Reifeprozess und der Aufbau einer Figur, die Macht (und im Kinouniversum Medienmacht) erlangt, nachgezeichnet wird. Einerseits ist das zentrale Thema, das die Handlung eröffnet und abschließt, die Geschichte von Furiosas Rache an dem Muttermörder, dem schurkisch-faszinierenden Demetrius, ein Camp-Autokrat des Barbarentums, der nie die Allüren eines alttestamentarischen Königs aufgibt. "Tonight, we dance to Darwin", verkündet er einmal, voller Sinn für Humor.
Orientalische Despotie: Nach dem Ende der Geschichte ist vor dem Ende
Daneben stehen die Kriege zwischen den verschiedenen Stämmen, die die biblischen Kämpfe in der Wüste Sinai zwischen den Stämmen Israels und den Pharisäern spiegeln, die die Mauern von Jericho attackieren.
Zwischen diesen beiden Geschichten ist der Prozess der Verwandlung des Kindes Furiosa in eine erwachsene Superheldin und die Frage, wie sie wurde, was sie ist, allgegenwärtig.
Nur dass die Wüste hier postapokalyptisch ist, sich nach dem Untergang der Zivilisation ereignet. Aber nach dem Ende der Geschichte ist in diesen vorgeschichtlichen Zeiten vor dem Ende.
Bei dem orientalischen Despoten Demetrius gibt es einen alten Typen, der eine Art Ratgeber ist und dessen Haut komplett mit guten Texten tätowiert ist. Eine Form, sich Literatur zu merken; Bradburys "451 Fahrenheit" in der neuen Steinzeit. Der Alte gibt ihr den Ratschlag: "Make yourself impeccable", "Machen Sie sich untadelig"
Demetrius gefällt sich in langen Reden und Lektionen für den Dorfplatz: "There is no hope", "we cannot be soft." Dabei ist Demetrius durchaus angewidert von der eigenen Brutalität. Kein Widerspruch.
Groteske und Manierismus
Der Film ist geprägt von einer ganz grundsätzlichen Lust an der Zerstörung und Lust an der Barbarei. Es ist eine Lust, die tief verankert ist im Kino, die eine seiner Utopien ist. Und die George Miller und seine "Mad Max"-Filmen immer schon zueigen war, auch als dies noch weniger en vogue war.
Diese Barbarei wird hier allerdings vor allem in der Form der Groteske und des Manierismus erzählt. Das heißt: Es ist alles in keiner Weise irgendwie auf Realismus oder Glaubwürdigkeit getrimmt, und auch nicht auf Handlung oder Psychologie, sondern es geht allein um das opulente Ausmalen von Details, es geht um kleine schräge Witze.
Ein bisschen kann man sich Gustave Flauberts so exaltierten wie exotistischen Roman "Salambo" ins Gedächtnis rufen, ein Buch, bei dem die Darstellung der Sinnlichkeit der Oberflächen ebenfalls wichtiger ist, als jeder darüber hinausgehende Sinn. Diese Sinnlichkeit selbst ist der Sinn.