Mali: (K)ein "Eklat" bei der Uno

Bundeswehr in Timbuktu (2017) Bild: Defensie Magazin, Niederlande/CC0 1.0
Russlands Angriff auf die Ukraine: Vielstimmige Debatte in UN-Generalversammlung, von Berichterstattung eingedampft â Zeichen einer zunehmenden Verachtung der Diplomatie. Von Mali wird anderes erwartet, weil die Bundeswehr dort hilft?
Zum Jahrestag des russischen Angriff auf die Ukraine hat die UNO-Generalversammlung mit einer groĂen Mehrheit von 141 Stimmen einer u.a. von Deutschland vorbereiteten Resolution [1] zugestimmt, die den russischen Angriff verurteilt.
Nur sieben Staaten stimmten gegen die Resolution, wĂ€hrend sich 32 enthielten. In Deutschland wird das Abstimmungsergebnis insgesamt als Erfolg bewertet [2]. Angesichts des klar völkerrechtswidrigen Charakters des russischen Vorgehens hĂ€tte das Ergebnis vielleicht auch eindeutiger ausfallen mĂŒssen und können, wenn sie etwas weniger parteilich formuliert gewesen wĂ€ren.
Verschiedene Regierungen haben die GrĂŒnde dargelegt, warum sie nicht oder trotz Bedenken zugestimmt haben. SĂŒdafrika etwa begrĂŒndete seine Enthaltung [3] damit, dass die Forderung nach einer Beendigung der Feindseligkeiten mit einem massiven Zustrom von Waffen verbunden sei und keine konkreten VorschlĂ€ge fĂŒr eine Lösung des Konflikts enthalten seien.
Brasilien hingegen stimmte zu, stellte aber klar, dass es die "Beendigung der Feindseligkeiten" als Forderung an beide Seiten ohne Vorbedingungen versteht. Bemerkenswert war v.a. die ErklÀrung der Vertreterin Costa Ricas [4], die einen Aspekt besonders hervorhob:
Viele Staaten haben nicht erkannt, dass die kontinuierliche Erhöhung der RĂŒstungsausgaben in Verbindung mit technologischen Fortschritten des militĂ€risch-industriellen Komplexes die Entwicklung noch mĂ€chtigerer und fortgeschrittener Waffensysteme befördern, darunter auch KĂŒnstliche Intelligenz und Autonome Waffensysteme.
Georgina Guillén Grillo [5]
Obwohl dies sicherlich zumindest auch als Warnung an die westlichen Regierungen gerichtet war, welche die Ukraine umfangreich mit Waffen und Technologie unterstĂŒtzen, stimmte Costa Rica der Resolution zu, die das Land selbst mit eingebracht hatte.
So weit, so diplomatisch. Und so vielstimmig war die Debatte in der UN-Generalversammlung ĂŒber die Resolution zum Jahrestag des russischen Angriffs. Eine Vielstimmigkeit, die in der deutschen Politik und Berichterstattung gerne ausgeblendet und auf ein Wer-nicht-fĂŒr-uns-ist-ist-gegen-uns eingedampft wird.
Alleine das ist schon Ausdruck einer zunehmenden Verachtung der Diplomatie und der Uno, die letztere eben nur noch als BĂŒhne wahrnimmt, um vermeintliche Geschlossenheit zu demonstrieren oder vermeintliche Skandale zu inszenieren.
So schreiben der Deutschlandfunk [6] und spiegel.de [7] unter der gleichlautenden Ăberschrift "Nach Eklat bei Un-Abstimmung" von eben einem solchen "Eklat", der jenseits des deutschen BlĂ€tterwaldes und insbesondere bei der Uno selbst ĂŒberhaupt nicht als solcher wahrgenommen wird.
Der besondere Fall: Die SouverĂ€nitĂ€t Malis, die von der Bundeswehr beschĂŒtzt wird
Gemeint ist das Abstimmungsverhalten Malis, das unter jenen sieben Staaten war, welche die Resolution abgelehnt hatten. Bei den anderen Staaten wird dies nicht als Eklat wahrgenommen, wohl aber bei Mali, weil sich dort die Bundeswehr an einer UN-Mission beteiligt, die das explizite Ziel verfolgt, die SouverÀnitÀt und territoriale IntegritÀt des Landes zu verteidigen.
Zu dieser SouverĂ€nitĂ€t gehört eigentlich auch die Freiheit ihres Abstimmungsverhaltens in der Generalversammlung und die â im Falle der Ukraine ja immer wieder betonte â BĂŒndnisfreiheit. Werden diese Freiheiten jedoch auf eine Art genutzt, welche den eigenen Interessen widerstrebt, so scheint es, verliert die GewĂ€hrleistung von SouverĂ€nitĂ€t ganz schnell an Relevanz.
So werde "nach Spiegel-Informationen ... sowohl im Verteidigungsministerium als auch im AuĂenamt offen hinterfragt, ob Deutschland noch ein weiteres Jahr mit der malischen Regierung kooperieren kann ⊠Mit dem Nein gegen die Resolution sei Mali vielmehr endgĂŒltig Mitglied im Klub der letzten Russland-UnterstĂŒtzer wie Belarus, Nordkorea, Eritrea, Nicaragua oder Syrien, hieĂ es unter Fachleuten in beiden Ministerien".
Allerdings hatte die Bundesregierung sich bereits ziemlich festgelegt [8], dass die Bundeswehr bis Mai 2024 ihre Beteiligung an der UN-Operation in Mali beenden wird. Sowohl Spiegel wie der Deutschlandfunk deuten in ihren BeitrĂ€gen zum vermeintlichen "Eklat" bei der Uno an, dass der Einsatz nun genau deshalb frĂŒher beendet werden könnte â was aber die zahlreichen angefĂŒhrten Zitate zur Sinnlosigkeit des Einsatzes genau genommen gar nicht hergeben.
Viele dieser Zitate sind Ă€lter als der vermeintliche Eklat. Insofern ist die Ăberschrift "Nach Eklat bei Uno-Abstimmung" klar irrefĂŒhrend.
Der eigentliche Skandal
Ein Skandal hingegen ist eigentlich, dass deutsche Medien teilweise suggerieren, die Beteiligung der Bundeswehr an einer UN-Mission sei abhĂ€ngig vom Abstimmungsverhalten der dadurch unterstĂŒtzten Regierung in der UN-Generalversammlung zu völlig sachfremden Themen, die offenbar kontrovers verhandelt werden.
Obwohl das durchaus zutreffend sein mag, dĂŒrfte sich der Umkehrschluss im Spiegel und beim Deutschlandfunk schwer in dieser Klarheit finden lassen, nĂ€mlich die Aussage, dass die deutsche Beteiligung an UN-Missionen auch dem Zweck dient, ein entsprechendes Abstimmungsverhalten in internationalen Gremien abzusichern oder durchzusetzen.
Wenn das alle Staaten so sehen wĂŒrden, wĂŒrde das die entsprechenden Regierungen ĂŒbrigens vor groĂe Probleme stellen. Aktuell etwa nennt die UN Deutschland lediglich als zehntgröĂten Truppensteller [9]. Die gröĂten Truppensteller sind demnach der Tschad und Bangladesch.
Der ebenfalls von einer MilitĂ€rjunta mit französischer RĂŒckendeckung regierte Tschad hat der Resolution zugestimmt und Bangladesch sich ebenso enthalten, wie Togo und Guinea, die auf den PlĂ€tzen sieben und acht der gröĂten Truppensteller der Minusma stehen. Senegal und Burkina Faso, die ebenfalls vor Deutschland auf dieser Liste stehen, haben nicht mit abgestimmt.
FĂŒr die Resolution haben unter den zehn gröĂten Truppenstellern noch Ăgypten, die CĂŽte dâIvoire und Niger gestimmt. Alle drei erhalten massive militĂ€rische UnterstĂŒtzung aus dem Westen, in der CĂŽte dâIvoire und Niger sind (wie auch im Tschad) französische Truppen stationiert und im Niger finden darĂŒber hinaus aktuell zwei militĂ€rische Ausbildungs- bzw. "Partnerschaftsmissionen" [10] statt.
Es lĂ€sst sich in dieser Stichprobe beim Zusammenhang zwischen Truppenstationierungen und Abstimmungsverhalten also durchaus ein Muster erkennen, in das Mali ohne jeden Eklat durchaus hineinpasst. AuĂerhalb der Minusma wird die malische Regierung aktuell militĂ€risch am umfangreichsten von Russland unterstĂŒtzt.
Sowohl der Deutschlandfunk, wie auch der Spiegel fĂŒhren entsprechend nun ein Argument fĂŒr europĂ€ische Truppenstationierungen auf dem afrikanischen Kontinent an, das in dieser Form relativ neu ist und durchaus nach Imperialismus klingt: "Es sei wichtig die Sahelzone nicht komplett Russland zu ĂŒberlassen".
Fast schon aus der Zeit gefallen wirkt demgegenĂŒber die beim Deutschlandfunk ergĂ€nzte EinschĂ€tzung der "GrĂŒnen-Politikerin [Sara] Nanni": "die Bundeswehr sei nicht fĂŒr die malische Regierung, sondern fĂŒr die Bevölkerung im Einsatz".
In der vergangenen Dekade wurde das tatsĂ€chlich Jahr fĂŒr Jahr bei den VerlĂ€ngerungen der Bundeswehr-Mandate im Bundestag so dargestellt.
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Links in diesem Artikel:
[1] https://documents-dds-ny.un.org/doc/UNDOC/LTD/N23/048/58/PDF/N2304858.pdf?OpenElement
[2] https://augengeradeaus.net/2023/02/ukraine-russland-nato-grosse-mehrheit-in-un-generalversammlung-fuer-ukraine-resolution-der-ueberblick-am-23-februar-2023/
[3] https://press.un.org/en/2023/ga12492.doc.htm
[4] https://press.un.org/en/2023/ga12491.doc.htm
[5] https://press.un.org/en/2023/ga12491.doc.htm
[6] https://www.deutschlandfunk.de/zweifel-am-bundeswehr-einsatz-in-mali-100.html
[7] https://www.spiegel.de/politik/deutschland/zweifel-an-bundeswehr-mission-in-mali-wachsen-a-f16fdca0-abc3-4d17-b75b-4601b1498dbf
[8] https://www.telepolis.de/features/Mali-Flucht-in-Zeitlupe-7352168.html
[9] https://peacekeeping.un.org/en/mission/minusma
[10] https://www.imi-online.de/2023/02/16/sahel/
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