Mali: Putsch im Putschregime
Überraschung: Militarisierung führt zu Militärregimen
Am 24. Mai 2021 hat das malische Militär den Präsidenten und den Premierminister festgenommen und in das Militärlager Kati nahe Bamako verbracht. Drei Tage später wurden sie wieder freigelassen, nachdem zunächst die militärische Führung und dann auch die Arrestierten selbst ihren Rücktritt bekannt gegeben haben. Die Verantwortung hierfür übernahm Oberst Assimi Goïta, Leiter der malischen Spezialkräfte, Führer des Putsches vom 18. August 2020 und anschließend Vizepräsident in der von den Putschisten ernannten Übergangsregierung.
Er begründete die Festnahmen damit, dass er vor einer am selben Tag verkündeten Kabinettsumbildung nicht konsultiert worden sei. Bei dieser Umbildung verloren zwei Minister aus den Reihen der Putschisten ihre Posten - darunter der Verteidigungsminister, dessen designierter Nachfolger, ein ehemaliger Chef der Luftwaffe und des Generalstabs, der ebenfalls nach Kati verbracht wurde.
Das Militär unterstrich damit, wer innerhalb der sogenannten Übergangsregierung die Macht in den Händen hält. Wie könnte es anders sein? Vor allem die europäische Außenpolitik verfolgt seit einem guten Jahrzehnt gegenüber der gesamten Region den Ansatz, eine als "Stabilität" chiffrierte Staatlichkeit durch den Aufbau, Ausbildung und Ausrüstung der Armee und anderer sog. Sicherheitskräfte durchzusetzen. Das dabei immer offener formulierte Ziel besteht dabei einerseits darin, Migrationsrouten zu unterbrechen. Der umfangreiche Aufbau auch eigener militärischer Infrastruktur deutete jedoch schon früh darauf hin, dass man insgesamt gekommen ist, um zu bleiben oder zumindest eine dauerhafte französische Präsenz aufrechtzuerhalten.
"Geostrategisches Vorfeld Europas"
In der vom Auswärtigen Amt erst im April 2021 formulierten "Strategischen Ausrichtung des Sahel-Engagements" wird die Region als "geostrategisches Vorfeld Europas" bezeichnet. Neben Rohstoffen wie Gold und Uran werden immer wieder auch erneuerbare Energien als Interesse benannt. Nachdem vor rund zehn Jahren die von deutschem Kapital vorangetriebene Desertec-Initiative davon geträumt hatte, in der Wüste gewonnenen Strom mit einem Hochspannungs-Übertragungsnetz nach Europa zu leiten, findet diese nun immer häufiger Erwähnung, wenn es um die Gewinnung von Wasserstoff geht, der hierzulande künftig unter anderem in der Stahlproduktion eingesetzt werden soll, aber nicht in ausreichendem Maße gewonnen werden kann.
Die Voraussetzungen für die aktuelle Runde intensivierter Zurichtung der Region schufen der "Regime Change" in Libyen durch den Sturz von Muammar al-Gaddafi 2011 und die nicht zuletzt daraus folgende Destabilisierung Malis. Kurz vor den angesetzten Wahlen übernahm bereits im März 2012 in Bamako das Militär die Macht und rannte mit seiner Bitte um verstärkte Ausbildung und Ausrüstung der Armee durch die EU offene Türen ein. Damals dauerte es noch einen ganzen Monat, bis zunächst eine "Übergangsregierung" und später eine "Regierung der nationalen Einheit" gebildet wurde, die Wahlen abhalten sollte.
So lange warteten Frankreich und die EU allerdings nicht. Im Januar 2013 verlegte Frankreich in Windeseile und mit internationaler Unterstützung massiv eigene Truppen und Angehörige verbündeter afrikanischer Staaten in das Land, kurz darauf begann die EU mit dem Aufbau einer EU-Trainingsmission zur Ausbildung der malischen Armee. Die Übergangsregierung - deren Premierminister zwischenzeitlich von der Armee unter Einsatz von Gewalt zum Rücktritt gezwungen worden war - übergab dann im September 2013 die Macht an Ibrahim Boubacar Keïta, der die schlecht vorbereiteten und unter bürgerkriegsähnlichen Zuständen abgehaltenen Präsidentschaftswahlen für sich entscheiden konnte. 2018 wurde er wiedergewählt.
In der Zwischenzeit hatte die EU über 10.000 malische Soldaten aus- und fortgebildet und die Bundesrepublik dem malischen Militär u.a. im Zuge der sog. Ertüchtigungsinitiative Ausrüstung geschenkt und Infrastruktur aufgebaut. Im August 2020 putschte eben jenes Militär gegen den gewählten Präsidenten, wofür es international - auch von der EU und Frankreich - scharf kritisiert wurde. Verschiedentlich wurde sogar behauptet, die EU hätte als Reaktion auf den Putsch ihre Ausbildungsmission ausgesetzt. Diese lief aber zu jener Zeit bedingt durch die Corona-Pandemie ohnehin auf Sparflamme und wurde überdies gerade umstrukturiert. Denn ihr Mandat war erst im März 2020 beträchtlich ausgeweitet worden: auf die "Begleitung" der malischen Soldaten "bis hinunter auf die taktische Ebene" und auf die Ausbildung von Streitkräften auch der benachbarten Staaten und des Tschad.
Die Mission wurde dann auch nach dem Putsch und dem Abklingen der Pandemie recht rasch wieder aufgenommen und ausgebaut. Aktuell etwa treibt die Bundesregierung - so die im April veröffentlichten Leitlinien - den "Aufbau eines EUTM-Ausbildungszentrums im Zentrum Malis voran. Damit könnten die Ausbildung der Mission qualitativ auf eine neue Stufe gehoben werden und malische Streitkräfte in Zukunft - bis hin zur Einsatzreife - und in räumlicher Nähe zu ihrem Haupteinsatzgebiet ausgebildet werden".
Beim Putsch im Jahr 2020 war schon fast so etwas wie Routine zu erkennen. Diesmal ging es ziemlich schnell, bis eine Übergangsregierung gebildet und Neuwahlen bzw. die Rückkehr zu einer "demokratisch legitimierten Regierung" auf 18 Monate terminiert wurden (das Militär hatte zuvor eine Übergangszeit von drei Jahren angekündigt). Auch nach der nun erfolgten Verschleppung des Premiers, des Präsidenten und des frisch ernannten Verteidigungsminister sprechen zwar internationale Beobachter von einem Putsch und Deutschland, Frankreich, EU und USA haben Protestnoten verschickt - ein Ende ihrer militärischen Unterstützung jedoch nicht einmal angedroht. Das malische Militär weiß, dass es hier ein wertvolles Faustpfand hat, das ihnen große Handlungsspielräume eröffnet.
Militärjunta auch im Tschad
Denn die Aufrechterhaltung einer militärischen Präsenz im "geostrategischen Vorfeld Europas" ist das eigentliche und wichtigste Ziel europäischer Außenpolitik. Das verstehen die starken Männer hinter der Fassade der malischen Übergangsregierung und stellen diese nicht in Frage. Es ist absehbar, dass dies auch von den Militärs anderer Sahel-Staaten, die ebenfalls umfangreich von EU, Frankreich, Deutschland und den USA unterstützt werden, zur Kenntnis genommen wird. Auch im Tschad herrscht seit Ende April international weitgehend unangefochten eine Militärjunta, nachdem dort am 20. April 2021 der Tod des Langzeit-Herrschers Idriss Deby bekanntgegeben wurde - und die Militärführung kurzerhand dessen Sohn zu seinem Nachfolger ernannt hatte. Dieser hatte 2013 eng an der Seite der französischen Armee im Norden Malis gekämpft.
Im August 2014 hatte die Oxford Research Group unter der Überschrift "From New Frontier to New Normal: Counter-terrorism operations in the Sahel-Sahara" bereits betont, dass Frankreich und die USA "Allianzen mit lokalen Machthabern - Politikern, Militärs, Geheimbehörden und manchmal Rebellenführern - eingegangen sind und erhalten müssen":
"Die Durchführung [solcher] Operationen, die Stationierung und Installation von Infrastruktur über die gesamte Sahara-Sahel-Region hinweg, hängt von den Beziehungen und Truppenstationierungsabkommen mit den lokalen Regierungen ab: den lokalen Partnern. Dies hat mehrere undemokratische Regime gestärkt, da die Wahrnehmung als verlässliche Partner im ‚Krieg gegen den Terror‘ stark mit den Ausgaben autoritärer Regime für ihre Sicherheitskräfte zu korrelieren scheint. Der algerische Machtzirkel, die quasi-militärische mauretanische Regierung und insbesondere das Regime Déby im Tschad sind tragende Säulen der externen Strategien zur Terrorismusbekämpfung … und weitgehend immun gegenüber Druck, ihren repressiven Umgang mit ihren Bürger_innen und Oppositionellen zu verbessern".
Kurz gesagt stärkt die Militarisierung der Region militaristische Akteure und Regime. Wer hätte das gedacht? Und wer weiß, wie lange es dauert, bis dies zum "sauren Apfel" wird, in den wir zur Versorgung mit "grünem" Wasserstoff nun einmal beißen müssen?
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