"Manifest für Frieden": Alles "Querfront", oder was?

Wagenknecht und Schwarzer. Bild: change.org

Manche Erstunterzeichner des Aufrufs gehören zu den schärfsten Kritikern der AfD. Das hielt deren Fraktionschef nicht von einer Unterschrift ab. Die Initiatorinnen wollen ihn aber nicht auf ihrer Demo sehen.

Gibt es für den Frieden tatsächlich eine "Querfront", die von linken Publizisten, anerkannten Rechtsextremismus-Experten und dem Zentralrat der Sinti und Roma bis zur AfD reicht?

Zu den 69 Erstunterzeichnern des "Manifests für Frieden", das von Sahra Wagenknecht und Alice Schwarzer initiiert wurde, gehörten mehrere Personen, deren Namen die AfD eigentlich abschrecken müssten. Etwa der Politikwissenschaftler Prof. Hajo Funke, der unter anderem die Bücher "Von Wutbürgern und Brandstiftern: AfD – Pegida – Gewaltnetze" und "Die Höcke-AfD" veröffentlicht hat.

Erst vor wenigen Tagen sagte Funke in einem Interview mit der Rheinischen Post: "Die AfD ist von einer wirtschaftsnationalen, gegen die EU gerichteten Partei aus Professoren zu einer rechtsextremen, radikalisierten Vereinigung geworden."

Erstunterzeichner warnte vor "Renaissance des völkischen Denkens"

Auch der Vorsitzende des Zentralrats der Sinti und Roma, Romani Rose, hat das Manifest unterschrieben. Als die AfD 2017 in den Bundestag eingezogen war, hat er sie als "offen antisemitisch und antiziganistisch" bezeichnet. "Sie betreibt eine Renaissance des völkischen Denkens und stellt damit grundlegende Verfassungsprinzipien wie den Schutz der Menschenwürde nach Artikel 1 in Frage", erklärte damals Rose.

Darüber hinaus hatten so unterschiedliche Personen des öffentlichen Lebens wie der Armutsforscher Christoph Butterwegge, der linke Journalist und Autor Christian Baron ("Ein Mann seiner Klasse") und der langjährige CSU-Politiker und Rechtsanwalt Peter Gauweiler sowie die Schauspielerinnen Jutta Speidel, Katharina Thalbach und Hanna Schygulla das Manifest unterschrieben.

Darin wird vor einer Ausweitung des Ukraine-Krieges gewarnt und einer möglichen direkten Konfrontation zwischen der Nato und Russland gewarnt, wenn westliche Staaten weiter auf eine rein militärische Lösung setzen.

Mittlerweile gibt es mehr als 250.000 weitere Unterschriften von Menschen, die von den Initiatorinnen nicht ausgesucht wurden – darunter auch der AfD-Politker Tino Chrupalla.

Sahra Wagenknecht als frühere Chefin der Fraktion Die Linke im Bundestag musste sich aus den Reihen ihrer Partei zwar immer wieder Kritik gefallen lassen, weil sie sich nicht stark genug von der AfD abgrenze. Teilweise fanden ihre polemischen Äußerungen zur linken Identitätspolitik aus dem Buch "Die Selbstgerechten" auch in den Reihen der AfD Zuspruch.

Sie selbst stellte aber am Wochenende gegenüber dem Spiegel klar, dass sie den AfD-Fraktionschef nicht auf der geplanten Großdemonstration sehen will, für die mit dem "Manifest für Frieden" seit Freitag geworben wird.

Chrupalla, dessen Partei zumindest beim aktuellen Kräfteverhältnis keine Konfrontation mit Russland riskieren will, hatte den Aufruf auf Twitter geteilt und dazu erklärt: "Ich habe diese Petition für den Frieden unterzeichnet. Im Einsatz für den Frieden sollten Parteigrenzen keine Barrieren sein."

Auf Twitter fühlten sich dadurch manche Linke unter dem Hashtag #Querfront in ihren schlimmsten Befürchtungen bestätigt. Ein "ziemliches Querfront-Spektakel" sah Ulrich Schneider, der Hauptgeschäftsführer des Paritätischen Wohlfahrtsverbands, auch gleich kommen. Ex-Linke und Nato-Freunde schienen sich darüber regelrecht zu freuen.

Wagenknecht kommentierte gegenüber dem Spiegel, Chrupallas Unterschrift habe bei all jenen Begeisterung ausgelöst, "die den Krieg in der Ukraine mit Panzern und Kampfjets bis zum letzten Ukrainer fortsetzen möchten". Von einer Zusammenarbeit kann demnach keine Rede sein.

Der Unterschied zwischen Erstunterzeichnern und Trittbrettfahrern

Wir haben mit der Auswahl unserer Erstunterzeichner deutlich gemacht, mit wem wir zusammenarbeiten und von wem wir uns Unterstützung erhoffen – und von wem eben auch nicht.


Sahra Wagenknecht

Überraschend kommt diese Klarstellung nicht, wenn man sich an eine Talkshow-Begegnung von Wagenknecht und Chrupalla 2021 bei Anne Will erinnert. Dort sprach sie unter anderem Klartext über Neonazis in der AfD Sachsen-Anhalt: "Ihr Spitzenkandidat hat sich in einer Facebook-Gruppe wohlgefühlt, die es witzig fand, das Bild des von den Nazis ermordeten Mädchens Anne Frank auf eine Pizzaschachtel zu montieren und darunter zu schreiben: ofenfrisch", hielt Wagenknecht damals Chrupalla vor. "Das finde ich so widerwärtig. Das finde ich so ekelhaft."

Eine Abgrenzung hat es von ihrer Seite also durchaus gegeben – auch wenn ihre Äußerungen zur Migrationspolitik weiterhin von links kritisierbar sind.

Dem "Manifest für den Frieden" hätte inhaltlich eine internationalistischere Ausrichtung sicher gutgetan. Dadurch hätte auch das Risiko minimiert werden können, dass AfD-Mitglieder unterschreiben.

Verwiesen wird hier auf den Amtseid deutscher Politiker, "Schaden vom deutschen Volk abzuwenden". Warum nicht auf den Hinweis des UN-Generalsekretärs auf die Notwendigkeit internationaler Kooperation zur Bekämpfung der Klimakatastrophe als gemeinsame Menschheitsaufgabe? Es hätte auch erwähnt werden können, dass jeder Nationalismus den Keim des Krieges in sich trägt.

Das hätte ein AfD-Politiker zumindest nicht ohne größere Bauchschmerzen unterschreiben können. Es sei denn, Chrupalla war hier völlig "schmerzfrei" und dachte rein taktisch, weil es ihm tatsächlich nur um Spaltung und Zersetzung der demokratischen Friedenskräfte ging,

Wer ein grundsätzlicheres Problem mit dem Inhalt des Aufrufs hat – oder ihn nicht gelesen hat und die enthaltene Verurteilung des russischen Angriffs auf die Ukraine nicht zur Kenntnis nimmt – achtet aber nicht auf solche "Feinheiten". Er oder sie unterscheidet auch bewusst nicht zwischen Erstunterzeichnern und rechten Trittbrettfahrern.

Wer glaubt, dass die Ukraine den Krieg mit immer mehr konventionellen Waffen aus Nato-Beständen gewinnen kann und eine atomare Eskalation entweder keine reale Gefahr darstellt oder ein Risiko, das man eingehen muss, erhebt hier lieber pauschal Vorwurf der Feindbegünstigung und sieht eine "Querfront" von linken und rechten "Putin-Verstehern".

Sogar das sonst oft regierungskritische Satire-Portal Postillon ätzt in diesem Fall: "Wagenknecht, Schwarzer und Putin fordern Ende deutscher Waffenlieferungen an Ukraine".

Dabei waren nicht einmal alle Unterzeichnenden immer kategorisch gegen Waffenlieferungen an die Ukraine. Manche haben aber inzwischen den Eindruck, dass diese nur den Krieg verlängern und zu mehr Toten führen würden, bevor es schließlich doch zu Verhandlungen kommt, falls alle Beteiligten eine nukleare Eskalation vermeiden wollen.

Seine Unterschrift begründet Hajo Funke, der nie eine radikalpazifistische Position vertreten hat, in seinem Blog ausführlich. "Das Manifest fordert eine Debatte nicht nur darüber heraus, um welche Militärtaktik bei welchen Waffenlieferungen es geht, sondern auch darüber, wie dieser Krieg nach einem Jahr eingedämmt werden kann", schreibt er.