Markus Lanz: Das Ende des Westens, wie wir ihn kennen

Bild: Shutterstock.com
"...dann ist die Ukraine ein Lost Country": Der Talk im ZDF über eine Überraschung, auf die man in Deutschland nicht gefasst war – und über einen tödlichen Anschlag.
Markus Lanz hatte recht: Es hat sich abgezeichnet. Drei Jahre lang hatte Europa und der Westen Zeit, sich auf eine Niederlage der Ukraine in ihrem Krieg gegen Russland einzustellen.
Und sogar vier Jahre, um sich auf eine Rückkehr Donald Trumps oder zumindest seiner rechtspopulistischen Ideologie auf den Präsidentenstuhl einzustellen. Aber nichts ist passiert.
Und so sind denn dieser Tage alle – trotz mehrfacher Ankündigungen – überrascht, dass Donald Trump mit Wladimir Putin telefoniert und sich zumindest am fernen Horizont ein "Deal" zur Beendigung der Kampfhandlungen abzeichnet.
Darum fragte der Talkmaster in seiner Sendung vom Donnerstagabend, dem 13. Februar dann ernsthaft entgeistert:
Wie kann es eigentlich sein, dass wir jetzt am Vorabend so einer Sicherheitskonferenz davon so überrascht sind und kalt erwischt werden, so als hätte sich nichts davon in irgendeiner Form vorher zumindest erahnen lassen?
Mit dieser berechtigten Frage leitete Lanz das sehr bemerkenswerte Schlußdrittel seiner Sendung ein, in dem es um Außenpolitik und die Weltlage gehen sollte. Diese 20 Minuten hatten es in sich.
"Olaf Scholz ... wird mit sehr hoher Wahrscheinlichkeit durch Boris Pistorius ersetzt"
Vorausgegangen war das übliche Lanz-Geplänkel: etwa die Performance von Politikern, in diesem Fall von Innenministerin Faeser über die offenbar unveränderliche Reihe schrecklicher Attentate in Deutschland – am Tag der Sendung ereignete sich in München ein tödlicher Anschlag auf eine Demonstration; dann die vom "Table"-Rechtsausleger Michael Bröcker immer wieder eingeworfenen angeblichen "charakterlichen Defizite" des Bundeskanzlers.
Und überhaupt der Charakter des Wahlkampfs: Sabine Rennefanz (Tagesspiegel) freute sich, dass es "auch Streit und Auseinandersetzung gibt", Richard David Precht bemerkte "echte Freund-Feind-Linien" zwischen den Parteien. Und auch über "das Versagen der demokratischen Mitte, weil Wahlkampf ist" (Kristina Dunst) war man sich einig.
Precht, auch diesmal wieder der Vielredner der Sendung, gab gar so gewagte wie selbstgewisse Prognosen für die Zeit nach der Wahl zum Besten:
Olaf Scholz ist Geschichte nach der Bundestagswahl, der wird mit sehr hoher Wahrscheinlichkeit durch Boris Pistorius ersetzt. Der wird dann sehr gerne mit Merz zusammen koalieren, er wird Außenminister werden und das ist ein Posten, auf den er sich schon jetzt freut und wahrscheinlich innerlich vorbereitet.
Es sei denn, die SPD schneidet grottenschlecht ab und die Grünen bekommen doch noch ihre Chance – das sind die einzigen beiden Möglichkeiten, die es gibt. Alles andere ist Quatsch.
Richard David Precht
Die komischen Zufälle der Anschläge vor den Wahlen
Hauptsächlich ging es dann um den Anschlag in München und die Folgen. Auch hier preschte Precht voran:
Wir werden uns nicht grundsätzlich davor schützen können – und es ist natürlich völliger Blödsinn, den Alice Weidel erzählt: "wenn die AFD regieren würde, könnte so etwas nicht passieren". Wir sollten nicht glauben, wir könnten mit den Fingern schnipsen, die Gesetze ändern, und dann kann so etwas nicht mehr passieren.
Ein bemerkenswerter Gedanke kam von Bröcker. Er machte auf "die komischen Zufälle vor den Wahlen" aufmerksam und darauf, dass in regelmäßigen Abständen immer wieder ähnliche Anschläge durch immer wieder ähnliche Täter verübt werden, und das immer vor Wahlen.
Die offenbar nicht nur für ihn naheliegende Frage "Qui bono?", wem das nutze, brauchte er dann gar nicht mehr zu stellen: Sie stand elefantengroß im Raum. Ebenso wie die möglichen Antworten.
Außenpolitik findet im Wahlkampf nicht statt
Bis dahin spiegelte die Lanz-Sendung damit exakt den sehr einseitigen und oberflächlichen augenblicklichen Bundestagswahlkampf, in dem auch bei Themen, die diesen Wahlkampf vermeintlich beschäftigen, die wirklichen Fragen nicht gestellt werden.
Etwa, was denn eigentlich bei den Messerattacken und Terrorfahrten anders wäre, wenn – nur mal angenommen – alle Gesetze im Sinne der CDU verabschiedet und schon seit zwei Jahren gültig waren?
Tatsächlich hätte sich absolut nichts geändert. Kein einziges Attentat wäre verhindert worden. Was in der sogenannten "Migrationsdebatte" seit acht Monaten in Deutschland stattfindet, ist Wählertäuschung durch Handlungssimulation. Und die Medien machen es mit.
Genauso wie die Medien wesentlich daran beteiligt sind, dass der Wahlkampf oberflächlich und themenarm und auf Personen zugespitzt ist – und dass zentrale Themen der Außenpolitik, ja Außenpolitik überhaupt im Wahlkampf nicht stattfinden.
Bis zu dem Moment, an dem schließlich Markus Lanz' am Vorabend der Münchner Sicherheitskonferenz nach der außenpolitischen Weltlage fragte.
"Die Ukraine soll jetzt ausgeplündert werden"
Alle hätten Angst hieß es, vor einem Interview und vor der Rede von US-Vizepräsident JD Vance auf der Sicherheitkonferenz. Diese Rede werde Europa schockieren, munkelten US-Medien im Vorfeld, "es wird hart", unkte Bröcker. Vance werde den Europäern verkünden: "Wir sind raus."
Dazu kam es ja bekanntlich vorerst doch nicht, aber auf lange Sicht war sich die Runde einig: Man werde "jetzt erstmal an diesem Wochenende" das Auseinanderbrechen "des sogenannten Westens" erleben.
Die Botschaft des Telefonats zwischen Trump und Putin sei: Russland werde das bekommen, was es wolle. Die Ukrainer werden "ihre Grenzen und völkerrechtswidrig angeeignetes überfallenes Land nicht zurückbekommen", so die Journalistin Kristina Dunst.
Damit seien die Bemühungen Europas und Deutschlands der letzten drei Jahre und die Hoffnungen darauf, dass die Ukraine in ihren alten Grenzen überleben könnte, gestorben. "Das wird nicht mehr passieren."
Precht flankierte: "Die Ukraine ist unter die Räuber gefallen."
Der Wunsch, Teil des Westens zu werden, sei schon deshalb illusorisch, weil es diesen Westen eben gar nicht mehr gibt. Russland bekäme Land, der Westen Frieden, die Bodenschätze würden aufgeteilt: "Das heißt, das Land soll jetzt ausgeplündert werden."
Europa am Rockzipfel der USA
Und Europa? Es müsste, wenn es nach dem Willen der USA geht, den Wiederaufbau des zerstörten Landes finanzieren und die Grenze sichern. "Das heißt, wir haben eine ganz üble Rolle in dem Stück zu spielen: Wir zahlen, zahlen, zahlen, zahlen" (Precht); aber die fast 2.000 Kilometer lange Grenze zur Ukraine könne Europa ohne die USA gar nicht sichern.
"Und dann auch noch unter der Voraussetzung, dass die USA sagen: das ist eure Grenze, das ist keine Nato-Frage."
Das heiße doch, Europa sei in einem militärischen Konflikt mit Russland auf sich gestellt.
Das Ganze ist also eine Erpressung, eine diktatorische Ansage von oben; das ist despotisches Verhalten.
Allerdings selbstverschuldet. Denn die Europäer zahlten jetzt dafür, dass sich in drei Kriegsjahren weder konkrete Antworten noch Strategien gefunden hätten. Sondern dass Europa immer wieder nur am Rockzipfel der USA geklammert handelt, ohne sich strategische Gedanken zu machen.
Wir haben keine eigenständigen Friedensbemühungen in dieser Zeit gemacht, wir haben immer gesagt, Putin will nicht verhandeln, wir haben maximale Forderungen aufgestellt, immer nur Forderungen, ... ich gehöre nicht zu jenen, die sagen, wir hätten noch weitreichendere Waffen liefern sollen. ... Aber das große Versäumnis besteht darin, dass wir in diesen drei Jahren eine eigenständige europäische Position aufgebaut haben und heute berechtigterweise am Verhandlungstisch mitsetzen können.
Richard David Precht
"Das ist jetzt eigentlich die wahre Zeitenwende, die Neuordnung der Welt"
Die Einzige, die sich Mühe gab, die Frage des Moderators Lanz zu beantworten, woher die Überraschung des Westens über diese Entwicklung denn komme, war die Journalistin und Autorin Sabine Rennefanz. Ihre Antwort war so überraschend wie gut:
"Weil die Westdeutschen keinen Systemwechsel erlebt haben, was wirklich ein Einschnitt ist."
Sie wolle nicht behaupten, dass man alles besser weiß, weil man aus Ostdeutschland kommt, so Rennefanz, "aber wir wissen, dass sich Dinge sehr schnell verändern können, von denen man dachte, dass sie in Stein gemeißelt sind. Das ist jetzt eigentlich die wahre Zeitenwende, die Neuordnung der Welt".
Diese finde ohne Europa statt. Diese Zeitenwende sei ein Realismusschock durch die Zementierung von Autokratien und autokratischen Regierungssystemen, die Erschütterung des Völkerrechts und der Nachkriegsordnung der letzten 80 Jahre, und damit auch eine "Erschütterung unserer bisherigen Lebensweise".
Auf Dunsts Forderung, man müsse hier "gegenhalten", antwortete Rennefanz kühl, "dann müssten wir aber Truppen schicken. Oder?"
Lesen Sie auch
Ukraine-Krieg: Zala vs. Sky Hunter – Die nächste Etappe Richtung Roboterkrieg
Analyse: Europäische Ukraine-Politik steckt in strategischer Sackgasse
Abkommen: Fordert Trump jetzt auch noch die Atommeiler der Ukraine?
Ukraine-Krieg: Die F-16-Ernüchterung
Deutschlands Ukraine-Politik: Zu viel Herz, zu wenig Verstand?
"...dann ist die Ukraine ein Lost Country"
Und die Ukraine? Hineingetrieben vom Westen, als Kanonenfutter eines Zermürbungskrieges, den es niemals je gewinnen konnte, muss das Land nun seine Grenzen von 1991 endgültig aufgeben, und damit auch über 20 Prozent seiner Wirtschaftsleistung.
Nach Ende des Kriegs drohe ein weiterer "Brain Drain" und ein "People Drain" so Precht. Wenn man sich vorstelle, dass dieses Land, das von den enormen Kriegsschulden bereits erdrückt werde, auch noch zusätzlich zu den Leuten, die sie durch den Krieg ohnehin verloren haben, noch einen erheblichen Teil seiner Bevölkerung verliert – "dann ist die Ukraine ein Lost Country".