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Marx ohne Kohlen

Sollen auch nur Profit bringen: Zu viele iPhones. Bild: Veronica Electronica, CC BY 2.0

Replik auf einen Beitrag zur marxschen Werttheorie - und warum man Physik bei der Gesellschaftsanalyse außen vor lassen sollte

Im Zuge einer Debatte in Telepolis über das marxsche Konzept von Wert und Mehrwert hat Autor Ralph Altmann vorgeschlagen [1], den Wert aus physikalischen Gesetzen abzuleiten. Neu sind solche Versuche nun wahrlich nicht. Altmann bezieht sich treffenderweise auf Robert Kurz, was nicht heißen muss, dass dieser Recht hatte. Sich aber auf Marx selbst zu beziehen, ist unzulässig.

Der Wert ist keine Naturform und auch keine Denkform, sondern eine hochkomplexe gegenständliche Gesellschaftsform, die noch dazu auf dem Kopf steht.

Da der Wert eine gesellschaftliche Beziehung von Arbeitsprodukten ist, kann man ihn eben nicht über Analogien mit Naturformen erfassen. Das hat Marx schon 1867 gewusst und im Vorwort zum ersten Band des Kapitals geschrieben: "Bei der Analyse der ökonomischen Formen kann außerdem weder das Mikroskop dienen, noch chemische Reagentien. Die Abstraktionskraft muss beide ersetzen."

Das Kapital ist die erste wissenschaftliche Abhandlung, die diese Dreiteilung von Natur, Denken und Gesellschaft vornimmt. Hier wird zum ersten Mal in der Menschheitsgeschichte die Bedeutung von gesellschaftlicher Arbeit für die Darstellung von Natur, Menschheit und Geschichte anhand der kapitalistischen Produktionsweise untersucht, weil der Entwicklungsstand der Produktionsverhältnisse dies durch die Erkennung des Doppelcharakters der Arbeit und des Wertgesetzes ermöglichte.

Wir haben in unserem von Altmann kritisierten Artikel [2] den Versuch unternommen, zu einer allgemein verständlichen Wertdefinition beizutragen. Herr Altmann kümmert sich um solche Banalitäten wie Definition erst gar nicht, er begibt sich sofort daran, den Wert zu messen. Würde er aber etwa eine physikalische Arbeit ohne klare Definition des Gegenstandes abliefern, landete diese zweifelsohne umgehend im Papierkorb.

So ganz nebenbei lässt der Autor eine gewisse Nähe zu einer Definition erkennen, wenn er eine Analogie von Werttheorie und Physik herbeizaubert:

Marx: konkrete, "lebendige" Arbeit schafft ein bestimmtes Produkt (Tisch, Stuhl);
Marx: Die Arbeitszeit ist eine allgemeine Eigenschaft aller konkreten Arbeiten (wobei von allen anderen Eigenschaften abstrahiert wird), macht diese vergleichbar.
Marx: Abstrakte gesellschaftliche Arbeit ist der über den Markt vermittelte, gemittelte Arbeitsaufwand vieler Produzenten und schafft den Wert eines Produkts.

Aber auch hier kein Wort zur Entstehung des Wertes und damit zur Definition.

Mit Verlaub, das ist nicht Marx. Wie Marx den Wert definiert, kann er in dem von ihm kritisierten Artikel lesen, überfliegen reicht da nicht.

Einpressung des Wertes in ein physikalisches Modell

Altmann muss sich auch den Vorwurf gefallen lassen, den Soziologen Dieter Wolf auf eine nicht gerade faire Art diskreditiert zu haben. Das hat im Forum der auch von ihm angeführte "OberstMeyer" bereits analysiert [3]:

Ohne auf den Inhalt des kritisierten Artikels von Harbach und Richter sowie den bezogenen Text von Dieter Wolf einzugehen, tritt der Autor den Nachweis an, daß Philosophen und Ökonomen viel zu viel schreiben. Wer hätte das gedacht. Andere, u.a. Physiker, Chemiker, Mediziner, überhaupt alle Schriftsteller, tun das auch, aber bei den Kritisierten ist das zu kritisieren. Einen Kohleträger, ausgestorbene Spezies, könnte es schon verwundern, wie viel so mancher schreibt, einen vermeintlichen Physiker jedoch kaum.
Um diesen Nachweis zu führen, bemüht der Autor ausschließlich den Meta-Bereich, hier mit 25.059 Zeichen, um die Überlänge eines Artikels zur Wertdefinition von 10.865 Zeichen als zu lang darzustellen. Nun ja, er mußte ja auch noch Kohlen schleppen, das zieht sich. Sein größter Coup aber ist, daß er ein Buch von Dieter Wolf als Beweis von dessen Geschwafel einbezieht, das gar nicht zum Thema angelegt ist. Mit dem Kursbuch der Bahn hätte er den gleichen Effekt erzielen können.

Forist "OberstMeyer"

Welch albernes Argument, bei dem auch noch der Schuss nach hinten losgeht. Zur Ernüchterung, alle Wissenschaft besteht letztendlich aus Worten. Eine Nur-Kurzfassung wissenschaftlicher Arbeit ist blanker Unsinn.

Zu ergänzen wäre: Auf Inhalte – auch des Artikels, den er kritisiert – geht er auch nicht ein, ebenso wenig auf die bei ihm verlinkte und für das Thema zutreffende Arbeit von Dieter Wolf. Soweit zur simulierten Wissenschaftlichkeit des Artikels von Herrn Altmann.

Mit seiner Einpressung des Wertes in sein physikalisches Modell kommt der Autor in die Bredouille: "Bei Marx ist zwar oft vom Gebrauchswert die Rede, doch meint er damit in der Regel keinen 'Wert', sondern das Gebrauchsgut als 'Ding', also für den Gebrauch hergestelltes Produkt."

Und: "Der Gebrauchswert ist – ganz wie Wert oder Gewicht – keine Eigenschaft eines Produkts selbst, sondern liegt in der Beziehung von Produkt und Nutzer." Altmann kommt sogleich mit dieser Gleichsetzung zur Nutzens- bzw. Grenznutzenstheorie. Voila! Aber an dieser Verwirrung ist nicht Marx schuld, der Autor muss schon bei sich suchen.

Demnach ist ihm gleich den "Wertkritikern" der Wert eine ideelle Konstruktion, kein objektiv vorhandenes Produktionsverhältnis. Aus diesem Zustand folgert er, dass Wert (ab-)gespalten werden kann und postuliert die in letzter Zeit sogar aufgekommene Forderung, einen männlichen und einen weiblichen Teil des Wertes anzuerkennen.

Die Frage, ob und wann dann mit einer #MeeToo-Diskussion beim Wertthema zu rechnen sei, blieb seitens der "Wertkritiker" unbeantwortet.

Kapitalistische Produktion dient nicht mehr menschlichen Bedürfnissen

Unterzieht man die Theorien von Robert Kurz einer Analyse, kommt man mit Dieter Wolfs fundamentaler Arbeit im Verlag De Gruyter [4] zur Erkenntnis, dass Kurz seinen Wert ökonomisch nicht begründen kann.

Neben den zwei Arten von Arbeiten, die von vielen – auch angeblichen – Marxisten in die marxsche Theorie hineininterpretiert wurden, hat der Autor kreativ eine dritte Art ge- beziehungsweise erfunden, die "abstrakte gesellschaftlich notwendige Arbeit bzw. Arbeitszeit". Das sollte er sich zügig patentieren lassen. Aus dieser Konstruktion erwächst ihm eine epochale Erkenntnis, nämlich die "Unterscheidung von konkretem und abstraktem Gebrauchswert".

Wie Altmann Wert und Gebrauchswert vermengt und dies noch indirekt Marx unterschiebt, ist schon beeindruckend. Allerdings hätte er da ein klitzekleines Problemchen zu lösen, die Bestimmung und Messung von Gebrauchswertigkeit oder Nutzen, wie er es zu nennen pflegt.

Der Autor hat eine Menge erzählt, anderen unsinniges Schreiben unterstellend, eigentlich aber nichts zum Wert gesagt; über seine nicht vorhandenen Wertvorstellungen umso mehr.

Altmann möchte – analog zu Marx "Warenfetisch" – das "Gewicht" als Fetisch ausweisen. Hier erkennt man deutlich, das der Autor weder weiß, was der Wert ist noch was eine Ware ist.

Der Wert ist ein gesellschaftliches Verhältnis, welches von handelnden Menschen im Austauschprozess in unbewusster Form geschaffen wird. Es ist ein sachlich gegenständliches Verhältnis, welches durch eine Beziehung von Arbeitsprodukten in unbewusster Form kreiert wird.

Eine Beziehung zwischen Menschen wird durch Gegenstände (Arbeitsprodukte) vermittelt und nur dadurch wird aus einem Gebrauchswert eine Ware. Man kann diese Gegenständlichkeit weder sehen, riechen oder schmecken; aber nur durch diesen Vorgang funktioniert die Warenwirtschaft und die kapitalistische Produktionsweise.

Wie Marx schreibt: Die Menschen "wissen es nicht, aber sie tun es". Und: "Sie haben daher schon gehandelt, bevor sie gedacht haben."

Alle Produktionsweisen, die auf Warenwirtschaft basieren, beinhalten dadurch allerdings automatisch und unbewusst eine Verkehrung der gesellschaftlichen Verhältnisse.

Verschiedene Arbeiten werden nicht ausgeführt, um menschliche Bedürfnisse zu befriedigen, sondern ihr Hauptzweck liegt abstrakt darin, allgemeinen Reichtum in Form von Geld zu schaffen.

Diese unbewusste Verkehrung von sinnlich Konkretem und abstrakt Allgemeinem hat in der kapitalistischen Produktionsweise den einzigen Zweck, auf immer höherer Stufenleiter ständig den abstrakten Reichtums zu vermehren, relativ unabhängig davon, welche Bedarfsgüter zur Bedürfnisbefriedigung dabei entstehen.

Diese Verkehrung der gesellschaftlichen Verhältnisse nennt Marx den Warenfetisch und, erweitert, den Geld- und Kapitalfetisch.


URL dieses Artikels:
https://www.heise.de/-5073089

Links in diesem Artikel:
[1] https://www.heise.de/tp/features/Vom-Wert-Mehrwert-Gebrauchswert-und-einem-Eimer-voller-Kohlen-5048117.html
[2] https://www.heise.de/tp/features/Zur-Wertdefinition-5000507.html
[3] https://www.heise.de/forum/Telepolis/Kommentare/Vom-Wert-Mehrwert-Gebrauchswert-und-einem-Eimer-voller-Kohlen/Ein-verwegener-Husarenparcours/posting-38337798/show/
[4] https://www.degruyter.com/view/j/zksp.2017.4.issue-1-2/zksp-2017-0010/zksp-2017-0010.xml