Zur Wertdefinition
Eine wissenschaftlichere Erläuterung des Wesens des Wertes. Ergänzung zur Artikelserie "Was spricht für den Kapitalismus?"
Nach dem begrüßenswerten Bemühen von Brend Tragen, die Analyse des Kapitalismus von Marx dem Publikum allgemeinverständlich nahezubringen, drängt sich die Notwendigkeit auf, eine Definition des Wertes nachzureichen. Auf diese verzichtete der Autor bewusst und verständlich.
Es ist der Lesergemeinde zuzumuten, eine wissenschaftlichere Erläuterung des Wesens des Wertes zur Kenntnis zu nehmen. Damit ist dieser Text von uns eine Fortsetzung der Artikel zum Wert (hier, hier, hier und hier). Auch soll eine mehrfach in der Forumsdiskussion erhobene und vertröstete Forderung befriedigt werden, doch eine kurze Wertdefinition zur Verfügung zu stellen, was hiermit geschieht.
Die Wertformanalyse und die Wertdefinition sind nicht Sache von Theoretikern oder nebensächlich. Sie sind notwendiger Ausgangspunkt jeglicher Bestimmung realistischer Strategie und Taktik der Linken. Sie sind "Springpunkt" für das Verständnis der Politischen Ökonomie.
Der Beitrag soll Anregung zum Nachdenken erzeugen.
Der Wert als ökonomische Kategorie und damit auch in der wissenschaftlichen Definition durch Marx ist eine gesellschaftliche Form der menschlichen Arbeit.
Er erwächst aus den "ahistorischen Eigenschaften von Gebrauchswerten resp. der konkret nützlichen Arbeiten" (Dieter Wolf), sowohl Arbeitsprodukt als auch abstrakt menschliche Arbeit zu sein. In der Produktionsphase entstehen unterschiedliche Produkte (Gebrauchswerte) durch konkrete unterschiedliche menschliche Arbeiten.
Naturform oder Gedankenform?
Diese haben ein Gemeinsames: Sieht von ihrem konkreten Charakter ab, sind sie alle allgemein menschliche Arbeiten. Diese Eigenschaft hat jede menschliche Arbeit unabhängig von den konkreten äußeren Formen der jeweiligen Produktionsverhältnisse, sie ist ahistorisch gültig.
In warenproduzierenden Gesellschaften werden die Arbeitsprodukte über ihren Austausch vermittelt. Zentrale Kategorie dabei ist ihr Wert, ein "Ding", das im Geld gegenständliche Existenz erhält und zur allgemeinen gesellschaftlichen Vermittlungsstruktur wird.
Was aber ist Wert? Etwas, das man nicht sehen, riechen, schmecken oder anfassen kann. Deshalb rätseln auch die Wissenschaftler vor und nach Marx darüber, ob es nun eine Naturform ist, weil es als Äquivalent mit einem Gebrauchswert verwächst oder ob es lediglich eine Gedankenform ist, die sich intelligente Menschen ausgedacht haben, um den gesellschaftlichen Vermittlungsprozess in der Warenproduktion funktionsfähig zu machen.
Karl Marx war der erste Mensch, der wissenschaftlich analysiert hat, dass beides nicht zutrifft.
Eine eigenständige Gesellschaftsform!
Der Wert ist eine gesellschaftliche Beziehung von Arbeitsprodukten; etwas Immaterielles konstituiert eine gesamte gesellschaftliche Vermittlungsstruktur über die Formen des Werts und seine Weiterentwicklungen wie Geld, Kapital, Zins, Kredit etc., die alle Bereiche der Gesellschaft erfassen und dominieren.
Der Wert ist daher weder eine Natur-, noch eine menschliche Gedankenform: Er ist eine eigenständige Gesellschaftsform.
Marx hat daher in seinem Hauptwerk, "Das Kapital", die Analyse der Strukturen der kapitalistischen Gesellschaft vorgenommen und die Wertformen als das charakterisiert, was sie real sind: vergegenständlichte und verknöcherte Formen der gesellschaftlichen Arbeit.
Mit den Wertformen ist es aber ein merkwürdig' Ding, sie sind nicht, sondern sie gelten nur.
Sie konstituieren eine Geltungsbeziehung; ein "Ding" gilt in einer Beziehung als etwas, was es nur in dieser Beziehung ist, aber außerhalb der Beziehung nicht ist. In einer Beziehung von Arbeitsprodukten ist das eine Ding Gebrauchswert und das gegenüberliegende Ding ist auch Gebrauchswert, aber es gilt in dieser Beziehung nur als Wert des gegenüberliegenden Gebrauchswerts. Da dieser Prozess sich verselbstständigt und gesellschaftlich verallgemeinert, entspringt mit dem Geld ein gesellschaftlich Allgemeines als Vermittlungsstruktur aus den naturwüchsigen Gesetzen der Warenproduktion und Warenzirkulation.
Dieser Prozess und diese Struktur ist zwar Ergebnis menschlicher Handlungen, aber diese sind ihnen z.T. nicht bewusst, sie sind naturwüchsig im Produktions- und Zirkulationsprozess entstanden.
Marx hat dies so beschrieben: "In jeder gesellschaftlichen Arbeitsform sind die Arbeiten der verschiedenen Individuen auch als menschliche aufeinander bezogen, aber hier gilt diese Beziehung selbst als die specifisch gesellschaftliche Form der Arbeiten."
Und: "Sie haben daher schon gehandelt, bevor sie gedacht haben." und "Sie wissen das nicht, aber sie tun es."
Der Wert ist daher ein "sinnlich übersinnliches Ding". Die Beziehung und die Struktur ist zwar eine Beziehung von Arbeitsprodukten, aber sie bildet mit den Wertformen die Grundlage für eine ganze Gesellschaftsstruktur aus und übernimmt z. T. in dinglich gegenständlicher Form und naturwüchsig Aufgaben, die ansonsten nur in immaterieller Form von Menschen ausgeführt werden.
Ein Sein!
Der Wert und die Wertformen bilden eine semantische Struktur, denn da die Menschen ihre gesellschaftlichen Verhältnisse nicht richtig erklären können, müssen die Wertformen auch diesen Part z. T. übernehmen.
Die Wertformen stellen sich auch nicht als das dar, was sie eigentlich sind, sie enthalten eine Verkehrung der gesellschaftlichen Verhältnisse, was gern als "Verdinglichung" charakterisiert wird. Marx hat dies so charakterisiert:
"Das Geheimnisvolle der Warenform besteht also einfach darin, dass sie den Menschen die gesellschaftlichen Charaktere ihrer eigenen Arbeit als gegenständliche Charaktere der Arbeitsprodukte selbst, als gesellschaftliche Natureigenschaften dieser Dinge zurückspiegelt, daher auch das gesellschaftliche Verhältnis der Produzenten zur Gesamtarbeit als ein außer ihnen existierendes gesellschaftliches Verhältnis von Gegenständen."
Der Wert existiert als gesellschaftliche Beziehung, als Geltungsbeziehung, aber er ist in der kapitalistischen Gesellschaft die beherrschende und dominierende Beziehung, die die ganze Welt-Gesellschaft umfasst und deshalb wird aus einer Beziehung, die in dieser Beziehung nur gilt - ein Sein.
Der Doppelcharakter der Ware
Im Austausch von Arbeitsprodukten als Waren erhalten diese ihre gesellschaftliche Form und realisieren sich. Hier zeigt sich, ob und in welcher Größenordnung die in ihnen verausgabte Arbeit sich im Austausch beweist, wieviel sich realisiert. Produktion und Zirkulation bilden so eine widersprüchliche Einheit. Sie sind in der Warenproduktion gegensätzlich vereint als Widerspruch von Gegensätzen.
Gebrauchswert und Wert sind in ihrer widerspruchsvollen Bewegungsstruktur die Lösungsbewegung dieses Gegensatzes, der keine wirkliche Lösung sein kann und zur Krise führen muss. Die Krise ist eine temporäre Lösung, weil der Widerspruch nicht aufgelöst wird.
Was unter Bedingungen der Warenproduktion hergestellt und Wert und Mehrwert beinhaltet, wird erst in der Zirkulation durch den Verkauf realisiert, weshalb es den Doppelcharakter der Arbeit auch nur in der Warenproduktion gibt, in der die abstrakt allgemeine Arbeit zur gesellschaftlichen Form der konkret nützlichen Arbeiten wird. Durch den Verkauf wird das Arbeitsprodukt aber Teil der gesellschaftlichen anerkannten Arbeit. Dieses "Werden" geschieht im Austausch, wodurch die Ware nach der Produktion nicht fertige Voraussetzung, sondern werdendes Resultat ist.
Die Ware ist Doppeltes, Naturform und Gesellschaftsform. Weil man das nicht an einer einzelnen Ware sehen kann, müssen sich zwei Waren gegenüberstehen, von denen die eine Naturform ist und die andere, die auch Naturform ist, nur als Wertform der ersten Ware gilt. Es ist etwas untrennbar Zusammengehöriges, fällt aber auseinander und existiert nur als Gegensatz. Daher hat nur die Ware Doppelcharakter, da konkrete und allgemein menschliche Arbeit auseinanderfallen und sich gegensätzlich gegenüberstehen.
Und nur durch diese Beziehung wird die allgemein menschliche (abstrakte) Arbeit zur allgemeinen und verselbständigten Form der konkret nützlichen Arbeiten. Da die konkret nützlichen Arbeiten sich nicht gegenseitig selbst vermitteln können, bedarf es einer allgemeinen gesellschaftlichen Vermittlung, einen allgemeinen gesellschaftlichen Gebrauchswert (Verdopplung des Gebrauchswerts), in den alles eintauschbar ist, das Geld, ein gesellschaftlich Allgemeines.
Der Wert ist also eine "Geltungsbeziehung"
Der Wert ist also eine "Geltungsbeziehung" von menschlichen Arbeitsprodukten, eine gesellschaftliche Beziehung, die durch ihre allgemeine gesellschaftliche Gültigkeit und durch die Durchdringung aller gesellschaftlichen Bereiche wie ein Sein wirkt.
Der Wert ist in jeder Warenproduktionsform, auch im kapitalistischen System, die entscheidende Produktions- und Zirkulationsform. Er ist im Kapitalismus eine eigenständige Gesellschaftsform und dominiert den Arbeits- und den Verwertungsprozess und damit den gesamten Produktions- und Reproduktionsprozess. Zu welchen Bedingungen er sich realisiert, zeigt sich erst im Zirkulationsprozess und dann in den Realisationsbedingungen der verschiedenen Abteilungen des Geld- und Finanzkapitals.
Abstrakte Arbeit wird unter den Bedingungen der Warenproduktion selbst zur gesellschaftlichen Form der konkret nützlichen Arbeiten der Menschen. Daher ist der Wert eine gegenständliche Beziehung von Arbeitsprodukten, die über Gebrauchswerte hergestellt wird, sich aber in der Warenproduktion nur im gesellschaftlichen Maßstab über Werte messen lässt.
Das Geld
Man kann abstrakte Arbeit auch nicht direkt und unmittelbar zum Messen und Beurteilen einsetzen, weil ihre gesellschaftliche Wirksamkeit nur über einen gesamtgesellschaftlichen Ausgleichsmechanismus wirksam wird. Die Grundeinheit dieser Produktionsweise ist der Wert und es muss ihn in einer allgemeinen gesellschaftlichen Form geben und das ist das Geld, als gesellschaftlich Allgemeines, welches naturwüchsig den Gesetzen der Warenzirkulation entspringt. Daher ist das Geld ein notwendiges Ergebnis, welches aus der Entwicklung der Wertformen folgt und nicht umgekehrt.
In einer Gesellschaftsform ohne Warenproduktion existieren Natur- und Gesellschaftsform als Formen der Arbeit auch, aber nicht gegensätzlich, weil die individuelle Arbeit von vornherein allgemein anerkannte gesellschaftliche Arbeit ist und sich nicht nachträglich im Austausch als solche beweisen muss; daher kann es in der Warenproduktion auch keine wirkliche Nachhaltigkeit geben.
Natur- und Gesellschaftsform sind dann nicht mehr getrennt und gegensätzlich, sondern mit der (abstrakt) allgemeinen Arbeitszeit wird die individuelle Arbeitszeit gemessen, auch wenn es, wie Marx sagt, dann zu Ungerechtigkeiten kommt, weil die unterschiedlichen Arbeiten mit verschiedener Intensität, Geschick und Erfahrung etc. ausgeführt werden.