Die Flaute vor dem Sturm?

(Bild: Tang Yan Song/Shutterstock.com)
Wirtschaftswachstum auch 2024 leicht rückläufig. Unterschiede zwischen Regionen, Produktion und Konsum. Alte Rezepte sollen helfen, doch die Probleme liegen tiefer.
BIP-Entwicklung: Erste Zahlen des Statistischen Bundesamtes für 2024 liegen vor. Die deutsche Wirtschaft schrumpft leicht, doch hinter der Stagnation verbergen sich tiefere Probleme.
Die Industrie steckt in der Krise und der Konsum zeigt wenig Zuversicht. Parteien plädieren für einen weiteren Abbau der ohnehin überlasteten Bürokratie. Alternative Lösungsvorschläge liegen vor.
Hinter der Stagnation: Weniger Produktion, mehr Arzt- und Spritkosten
Die deutsche Wirtschaft stagnierte insgesamt auch im Jahr 2024. Ruth Brand, Präsidentin des statistischen Bundesamts, hebt "konjunkturelle und strukturelle Belastungen" sowie "zunehmende Konkurrenz für die deutsche Exportwirtschaft, hohe Energiekosten, ein nach wie vor erhöhtes Zinsniveau" und "wirtschaftliche Aussichten" als Ursachen für die Flaute hervor.
Die ersten Jahresergebnisse der volkswirtschaftlichen Gesamtrechnung 2024 zeigen: Der Trend könnte sich verschärfen. So sind Bruttoanlageinvestitionen um 2,8 Prozent, Bauinvestitionen um 3,5 Prozent und Investitionen in Ausrüstungen um 5,5 Prozent gesunken.
Das verarbeitende Gewerbe verzeichnete einen Rückgang von 3 Prozent Bruttowertschöpfung gegenüber dem Vorjahr 2023. Die Automobil-, Chemie-, Metall- und vor allem die Bauindustrie mit minus 3,8 Prozent verzeichneten die stärksten Rückgänge.
Der Konsum und die Dienstleistungen federten den Einbruch der Wirtschaftstätigkeit ab. Der Dienstleistungssektor wuchs um 0,8 Prozent , jedoch ungleich verteilt: Der Bereich Information wuchs um 2,5 Prozent, der Bereich Gesundheit/Bildung/Verwaltung um 1,6 Prozent, auch der Einzelhandel verzeichnete Zuwächse. Dagegen schrumpften der Kfz- und der Großhandel.
Der private Konsum wuchs um insgesamt 0,3 Prozent. Allerdings trügt der Schein: Während der Konsum in Gastronomie und Bekleidung um 4,4 Prozent und 2,8 Prozent schrumpfte, stiegen Ausgaben für Gesundheit und Verkehr um 2,8 Prozent und 2,1 Prozent.
Einfacher gesagt: Deutsche gehen weniger aus, shoppen weniger fürs eigene Wohlbefinden, zahlen dafür mehr beim Arzt und mehr für Sprit und Bahntickets.
Die Staatsausgaben stiegen gegenüber 2023 um 2,6 Prozent und dämpften damit ebenfalls den Rückgang. Das Finanzierungsdefizit stieg jedoch auf 113 Milliarden Euro, wobei vor allem Länder und Gemeinden von Mehrausgaben betroffen sind.
Dies schränkt ihren Spielraum für künftige Investitionen ein und kann sich in den Folgejahren negativ auswirken.
Deindustrialisierung?
Das Narrativ von der längsten Wirtschaftsflaute seit 1945 mag auf dem Papier stimmen: 2024 schrumpfte das deutsche BIP um 0,2 Prozent, 2023 um 0,3 Prozent. Auch 2002 und 2003 schrumpfte die Wirtschaft (-0,2 Prozent, -0,5 Prozent). Davor schrumpfte das BIP 1993 (-1 Prozent), 1982 (-0,4 Prozent), 1975 (-0,9 Prozent) und 1967 (-0,3 Prozent).
Die Weltfinanzkrise 2009 (-5,7 Prozent) und die Coronakrise 2020 (-3,7 Prozent) führten zu stärkeren Einbrüchen. Die Gesamtzahl kann jedoch von tiefer liegenden Problemen ablenken.
Neben der brüchigen Grundlage der noch positiven Wachstumsfaktoren sind es vor allem regionale Disparitäten: Nur in Mecklenburg-Vorpommern, Brandenburg, Berlin und Hessen wuchs 2023 das BIP leicht, während in Nordrhein-Westfalen, Hamburg, Schleswig-Holstein und Sachsen-Anhalt die Einbrüche über einem Prozent gegenüber dem Vorjahr lagen, in Rheinland-Pfalz sogar bei -4,9 Prozent.
Die Gesamtrechnung für 2024 nach Ländern steht noch aus. Die Zwischenbilanz des ifo-Instituts für das dritte Quartal 2024 deutet jedoch auf anhaltende Probleme hin.
Mit Arbeitslosigkeit lässt sich die schwache Konjunktur (noch) nicht erklären: Mit 46,1 Millionen Erwerbstätigen verzeichnet die Bundesrepublik 2024 einen neuen Beschäftigungsrekord. Allerdings wächst hier vor allem der Dienstleistungssektor, während verarbeitende Gewerbe und der Bausektor schrumpfen. Auf dem Arbeitsmarkt zeigen bereits Auswirkungen einer möglichen Deindustrialisierung Deutschlands.
Hausgemachte Probleme, altbekannte Lösungsvorschläge
Nils Jannsen vom IfW Kiel nannte die Stagnation "hausgemacht". So deuteten "die rückläufigen Exporte bei gleichzeitig deutlich aufwärtsgerichtetem Welthandel […] auf strukturelle Probleme hin".
Auch die Konsumentwicklung sieht er skeptisch: "Größere Zuwächse beim privaten Konsum zeichnen sich derzeit nicht ab, da die Zeiten kräftiger Reallohnzuwächse wohl vorbei sind."
Wenig kreativ muten die Vorschläge der Parteien für die Bundestagswahlen an, um der Stagnation zu begegnen: Steuerentlastungen, Bürokratieabbau und Subventionsabbau – Stichwort: Abschaffung des Solidaritätszuschlags – sind Schlagworte zu jeder Bundestagswahl.
Die Ankündigungen von Investitionsfonds und -prämien stehen bei allen Parteien – mit Ausnahme von Linkspartei und BSW – unter Vorbehalt der Schuldenbremse. Deren Aussetzung wird allenfalls im Zusammenhang mit der Militärhilfe für die Ukraine diskutiert.
Simon Poelchau von der taz plädiert für sozialen Wohnungsbau, um Mieter zu entlasten und Konsumspielräume zu schaffen. Dadurch könnten auch die Bauinvestitionen gesteigert werden. Zudem , so Jannsen, könnte eine Verringerung der Unsicherheit der Verbraucher die Sparquote senken und weitere wirtschaftliche Aktivitäten fördern.
Das tiefere Problem: Zunehmende administrative Handlungsunfähigkeit
Dass Bürokratieabbau die Lage potenziell noch verschärfen kann, erklärt Vincent Tandler-Schneider im Makroskop-Magazin.
So seien die Kosten für die Einhaltung von Gesetzen durch öffentliche Institutionen, der sogenannte Erfüllungsaufwand, seit 2011 um neun Milliarden Euro gestiegen. Die Überlastung der Verwaltung bremse das Wirtschaftswachstum stärker als die Regulierungsdichte selbst. Investitionen würden wegen des Planungsaufwands langsamer umgesetzt.
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Gesetzgebungen im Eilverfahren, die den Kommunen und der Zivilgesellschaft kaum Zeit zur Mitgestaltung ließen, trügen zur Praxisuntauglichkeit und Fehleranfälligkeit von Gesetzgebungs- und Investitionsvorhaben bei.
Insbesondere die kommunale Ebene ächze unter wachsenden Aufgaben, steigender Komplexität bei gleichzeitig sinkendem Personal. "Wir bekommen die Aufgabe und müssen dafür sorgen, dass es irgendwie finanzierbar ist, und das schaffen wir nicht mehr", warnte Helmut Dedy, Hauptgeschäftsführer des Deutschen Städtetags Ende letzten Jahres.
Stattdessen könnten öffentliche Handlungsfähigkeit, wirtschaftliches Wachstum, ökologischer Umbau und sozialer Zusammenhalt durch ein transformatives Investitionspaket gesteigert werden. Das hat Tom Krebs, Professor für Makroökonomie an der Universität Mannheim, bereits im vergangenen Jahr in einer Studie für das Forum New Economy dargelegt.
Mit Investitionen in Höhe von 80 Milliarden Euro – davon 40 Milliarden Euro in Energie, Industrie und Verkehr und 40 Milliarden Euro in Bildung, Wohnen und öffentliche Daseinsvorsorge – könne ein BIP-Wachstum von bis zu 3 Prozent über einen längeren Zeitraum stimuliert werden.
80 Milliarden Euro. Das entspräche in etwa der Differenz zwischen den Rüstungsausgaben im Jahr 2024 (72 Milliarden Euro) und den von Robert Habeck angestrebten Ausgaben in Höhe von 3,5 Prozent des Bruttoinlandsprodukts (150 Milliarden Euro).