Maskenskandal in der Union: Von Unrecht und Moral

Die Empörung über Geschäftemacher in der Union ist groß. Die Forderungen nach Mandatsverzicht aber sind problematisch, weil sie strukturelle Probleme verschleiern. Ein Kommentar

Nach der Offenlegung fragwürdiger Deals mit Schutzmasken überschlagen sich Vertreter etablierter Parteien mit Forderungen nach einem Rückzug der beiden bisher enttarnten Geschäftemacher – Georg Nüßlein (CSU) und Nikolas Löbel (CDU) – aus dem Bundestag. Verständlich ist, dass entsprechende Forderungen fast pflichtgemäß aus der Opposition kommen, ebenso aus der SPD, die mit dem Thema im bis dato aussichtslosen Kampf um die Kanzlerschaft zu punkten versucht. Etwas beachtlicher sind Rücktrittsforderungen aus der Union selbst.

Schon am Wochenende hatten der CDU-Vorsitzende Armin Laschet und seine Amtsvorgängerin Annegret Kramp-Karrenbauer die Rücktritte von Nüßlein und Löbel gefordert, ähnlich äußerte sich Bayern-Chef Markus Söder. "Wenn man so die Hand aufgehalten hat, dann muss man sein Mandat niederlegen", sagte CDU-Generalsekretär Paul Ziemiak.

Was die Fragen aufwirft: Wie und wo darf man als Unionsabgeordneter die Hand aufhalten, ohne sein Mandat in Gefahr zu bringen? Wo ziehen Christsoziale und -demokraten die Grenze, wo die Sozialdemokraten?

SPD-Generalsekretär Lars Klingbeil begründete seine Rücktrittsforderung an die beiden Ertappten mit dem Umstand, es sei ihnen um "persönliche Bereicherung" gegangen. Was für ein Argument angesichts der Nebeneinkünfte von Abgeordneten aller genannten Fraktionen!

Nebeneinkünfte – quer durch das Plenum

Bei den Angaben zu Einkünften über die monatlich gut 10.000 Euro Bundestagsdiäten hinaus stach in der ausklingenden 19. Wahlperiode bislang die ehemalige Gesundheitsministerin Ulla Schmidt (SPD) für ihren Verwaltungsratsposten bei dem Schweizer Pharmakonzern Siegfried Holding AG hervor: In den ersten zwei Jahren der Legislaturperiode erhielt sie mindestens 120.000 Euro.

"Der frühere Verkehrsminister Peter Ramsauer (CSU) kommt im selben Zeitraum auf mehr als 300.000 Euro allein aus seiner Nebentätigkeit als 'Strategieberater'", heißt es beim Portal abgeordnetenwatch.de, Ramsauer gehe darüber hinaus noch weiteren bezahlten Tätigkeiten nach.

Volker Kauder (CDU) erhielt zum Stichtag (31.07.2019) monatlich zwischen 3.500 und 7.000 Euro vom Bergbaukonzerns Saxony Minerals & Exploration AG.

Sein Fraktionskollege Rudolf Henke gab neben den Abgeordnetendiäten aus seinem parallelen Posten als Vorsitzender der Ärztekammer Nordrhein-Westfalen eine monatliche Vergütung zwischen 7.000 und 15.000 Euro an, vom Berufsverband Marburger Bund kamen zwischen 3.500 und 7.000 Euro pro Monat hinzu.

Die Liste ließe sich fortführen, zeigt aber so schon auf, dass Lobbyismus im Bundestag zur politischen Realität gehört, der sich nur wenige verweigern.

Natürlich haben Nüßlein mit dem gut 600.000 Euro schweren Deal und Löbel mit seiner 250.000-Euro-Prämie aus einer – wie es im entsprechenden Gesetz heißt – epidemischen Lage von nationaler Tragweite einen geldwerten Vorteil gezogen und damit eine weitere Grenze überschritten. Die moralisch inszenierte Empörung darüber soll offenbar aber verschleiern, dass die beiden Maskenprofiteure der Union im Grunde dem parlamentarisch-kapitalistischen Verhaltenskodex gefolgt sind.

Maskenaffäre gerade im Wahljahr ungelegen

Dass die Enttarnung von Nüßlein und Löbel ausgerechnet im Wahljahr 2021 ein Schlaglicht auf dieses Lobbyismus- und Bereicherungssystem geworfen hat, mag die schrille Tonlage und den massiven Druck auf die beidem Abgeordneten erklären.

In der derzeit angespannten gesellschaftlichen Lage droht der Lobbyismus damit schließlich ebenso ins Visier zu rücken wie der Umstand, dass die Corona-Krise trotz allem staatlichen Versagens Regierungsberater in Millionenhöhe hat profitieren lassen, darunter Wirtschaftsunternehmen wie Ernst&Young oder eine Tochterfirma der Unternehmensberatung McKinsey. Ohne Ausschreibung übrigens, schnell und unbürokratisch.

Dass all dies ausgeblendet und von einer massiven Kampagne gegen zwei Abgeordnete überlagert wird, ist noch aus einem anderen Grund problematisch. Die Forderung nach dem Rückzug aus dem Bundestag oder gar der "Rückgabe" des Mandats ist undemokratisch und bewegt sich an der Grenze der Legalität.

Löbel etwa hatte im Wahlkreis Mannheim 2017 ein Direktmandat gewonnen, das ihm zukam und nicht einer Partei oder Fraktion. Alleine die Wählerinnen und Wähler in Mannheim hätten darüber zu entscheiden gehabt, ihre Meinung aber ist nicht mehr gefragt. Weshalb eigentlich nicht?

In jedem Fall sollten manche Akteure auf Bundesebene, die sich in den letzten Tagen in Empörung oder Moralappellen überboten haben, um in der Tagespresse zitiert zu werden, noch einmal Artikel 38 des Grundgesetzes und Paragraph 106 StGB lesen.

Nachhaltige Konsequenzen wird die Maskenaffäre der Union in ihrem bisherigen Ausmaß wohl nicht haben. Denn vor allem in der Krise gilt: Die Privilegierten gewinnen, die Unterprivilegierten verlieren. Die Regeln bleiben die Gleichen, muss also feststellen und mag paraphrasieren: ein für allemal; erst kommt die Provision, dann kommt die Moral.

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