Massaker in Gaza: Alle liefern Waffen, keiner will schuld sein
Neben Deutschland gerät auch London wegen Waffenlieferungen an Israel unter Druck. Darf man eine Kriegspartei unterstützen? Debatte über Moral und Völkerrecht.
Deutschland hat die schweren Vorwürfe Nicaraguas vor dem Internationalen Gerichtshof (IGH) in Den Haag als "unbegründet und haltlos" zurückgewiesen. Nicaragua hatte Deutschland vorgeworfen, durch die Unterstützung Israels einen Völkermord im Gazastreifen zu begünstigen. Zahlen über Rüstungsexporte westlicher Staaten nach Israel werfen indes neue Fragen auf.
Telepolis hatte bereits am Dienstag berichtet, dass die Leiterin der deutschen Delegation, Tania von Uslar-Gleichen, nach einer zweistündigen Anhörung vor dem IGH bekräftigte, es gebe keinen Grund für das Gericht, einstweilige Anordnungen zu erlassen. Deutschland sei sich seiner Verpflichtungen aus der Völkermordkonvention und dem humanitären Völkerrecht bewusst und handele in diesem rechtlichen Rahmen.
Als Vizepräsidentin des Bundesnachrichtendienstes wird Uslar-Gleichen für die schwerwiegende Fehleinschätzung des Auslandsnachrichtendienstes zur Lage in Afghanistan im Jahr 2021 verantwortlich gemacht. Im Krisenstab der Bundesregierung sagte sie am damaligen 13. August, eine unmittelbare Einnahme der afghanischen Hauptstadt durch die Taliban sei unwahrscheinlich.
Ihre Einschätzung war damals derart realitätsfern, dass es zu „Unruhe und Widerspruch unter den Anwesenden“ gekommen sei, schrieb die Zeit: Der deutsche Botschafter in Afghanistan, Jan Hendrik van Thiel, habe der Einschätzung vehement widersprochen und betont, dass die Situation vor Ort ganz anders wahrgenommen werde.
Wie überzeugend ist die deutsche Position?
Im Kontext der deutschen Israel-Politik und dem Krieg in Gaza war unlängst bekannt geworden, dass die Bundesregierung die Rüstungsexporte nach Israel im vergangenen Jahr verzehnfacht hatte.
Die Vorwürfe Nicaraguas beziehen sich auf deutsche Waffenlieferungen an Israel und die Einstellung der Zahlungen an das Palästinenserhilfswerk UNRWA.
Christian Tams, Völkerrechtler und ebenfalls Vertreter Deutschlands vor dem IGH, wies darauf hin, dass die ausgesetzten Zahlungen keinen Einfluss auf den Umfang der Hilfe gehabt hätten – was im Umkehrschluss die Frage aufwirft, warum sie ausgesetzt dann worden sind.
Deutschland sei mit 254 Millionen Euro in den vergangenen anderthalb Jahren der größte Einzelgeber gewesen. Zudem habe die Bundesrepublik ihre humanitäre Hilfe für die Palästinenser in den besetzten Gebieten seit dem 7. Oktober mehr als verdreifacht.
Deutsche Rüstungsexporte nach Israel im Blick
Tams betonte, dass deutsche Rüstungsexporte nach Israel strengen Genehmigungspflichten unterlägen und wies die Behauptung zurück, sie würden einen Völkermord begünstigen. Die Vorwürfe Nicaraguas über Artilleriegeschosse oder Munition, die in Gaza eingesetzt würden, hätten keinen Bezug zur Realität.
Der britische Jurist Samuel Wordsworth, der auch Deutschland vertrat, stellte sogar die Zuständigkeit des IGH infrage.
Bundesaußenministerin Annalena Baerbock (Grüne) hatte zuvor erklärt, Deutschland sei dem Völkerrecht verpflichtet, auch dem Recht Israels auf Selbstverteidigung und der Unterstützung der Palästinenser.
Nicaragua hatte den IGH Anfang März aufgefordert, vorläufige Maßnahmen gegen Deutschland zu ergreifen, darunter den Stopp von Waffenlieferungen an Israel und die Wiederaufnahme der Zahlungen an das Palästinenserhilfswerk. Eine Entscheidung des IGH wird in wenigen Wochen erwartet.
Mehr Details zu westlichen Waffenlieferungen an Israel
Die britische Regierung hat unterdessen bekräftigt, dass sie trotz der Ermordung von sieben humanitären Helfern in Gaza die Rüstungsexporte nach Israel nicht aussetzen wird. Premierminister David Cameron sagte, Großbritannien handele weiterhin im Einklang mit internationalem Recht, schreibt die Tageszeitung Guardian. Vorgehen und Argumentation ähnelten denen der deutschen Seite.
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Londons Chefdiplomat sagte weiter, die britische Position zu Exportlizenzen an Israel bleibe nach einer juristischen Überprüfung "unverändert". Lord Cameron äußerte jedoch "ernste Bedenken" hinsichtlich des humanitären Zugangs nach Gaza und forderte Israel auf, seine Hilfszusagen "in die Tat umzusetzen". Cameron äußerte sich bei einer gemeinsamen Pressekonferenz mit seinem amerikanischen Amtskollegen Antony Blinken.
Wachsender Druck auf Berlin und London
Nicht nur die deutsche Bundesregierung steht wegen ihrer anhaltenden Unterstützung für die rechtskonservative Regierung von Benjamin Netanjahu in Israel und unter Druck. Auch die Downing Street sieht sich der Kritik hochrangiger Tories ausgesetzt.
Sie fordern angesichts der sich zuspitzenden humanitären Krise in Gaza und nach dem Tod von drei Briten bei einem Angriff auf die Hilfsorganisation World Central Kitchen eine Aussetzung der Waffenexporte.
Cameron betonte jedoch, dass die Fortsetzung der Waffenexporte Großbritannien in Einklang mit anderen "gleichgesinnten Ländern" bringe und wiederholte, dass Großbritannien auf der Grundlage einer ausreichenden rechtlichen Prüfung dieser Genehmigungen handle. Cameron sagte dazu:
Wir veröffentlichen kein Rechtsgutachten, wir kommentieren kein Rechtsgutachten, aber wir handeln in Übereinstimmung mit dem Gesetz, wir sind eine Regierung unter dem Gesetz und so sollte es auch sein.
David Cameron
Die Situation in Gaza und Israel
Während seines Besuchs in Washington, der auf ein Abendessen mit Donald Trump in dessen Resort Mar-a-Lago in Florida folgte, teilte Cameron den Reportern mit:
Ich habe nun die neuesten Ratschläge zur Situation in Gaza und zum Vorgehen Israels in ihrer Militärkampagne überprüft. Die jüngste Bewertung lässt unsere Position zu Exportlizenzen unverändert. Dies steht im Einklang mit den Ratschlägen, die ich und andere Minister erhalten haben, und wie immer werden wir die Position überprüfen.
David Cameron
Der britische Außenminister rief auch dazu auf, die Wasserversorgung im Gazastreifen wieder zu gewährleisten, den Hafen von Ashdod und einen nördlichen Übergangspunkt zu öffnen und Hilfe in ganz Gaza zu leisten.
Regelungen für Waffenexporte
Das britische Waffenexportregime würde die Lieferung von Waffen an Israel verhindern, wenn ein klares Risiko besteht, dass die Artikel zur Begehung oder Erleichterung einer schweren Verletzung des internationalen humanitären Rechts verwendet werden könnten. Britische Unternehmen liefern etwa 0,02 Prozent der gesamten Waffenimporte Israels.
Während des sechsmonatigen Konflikts, der durch die Gräueltaten der Hamas im südlichen Israel am 7. Oktober ausgelöst wurde, wurden laut Gesundheitsministerium in Gaza mindestens 33.000 Palästinenser in Gaza getötet, mehr als ein Drittel davon Kinder.
Cameron trifft Trump
Cameron wollte sich nicht zu den Einzelheiten seiner Diskussion mit Trump äußern, nachdem er einen Überraschungsbesuch in dem Ferienresort des mutmaßlichen republikanischen Präsidentschaftskandidaten in Florida gemacht hatte. Er sagte lediglich, man habe eine "Reihe wichtiger geopolitischer Themen" besprochen.
Er betonte, dass dies "völlig im Einklang mit dem Präzedenzfall von Regierungsministern steht, die sich mit Oppositionspolitikern im Vorfeld von Wahlen treffen", und fügte hinzu: "Ich erinnere mich, als ich Premierminister war, habe ich Mitt Romney getroffen, als er Kandidat war. Ich erinnere mich, dass Gordon Brown Barack Obama getroffen hat, als er Kandidat war."
Der Besuch war Teil seiner Bemühungen, eine Wiederaufnahme der US-amerikanischen Waffen- und Budgethilfe für die Ukraine zu erreichen. Die Republikaner in US-Senat blockieren nach wie vor ein enormes Hilfspaket in Höhe von 60 Milliarden US-Dollar.
Der ukrainische Präsident Wolodymyr Selenskyj hatte längst zum ersten Mal eine militärische Niederlage seines Landes in der Aussicht gestellt, sollten diese Hilfen Washingtons nicht wieder aufgenommen werden