"Maßnahmen haben für Kinder und Jugendliche negative Auswirkungen"

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Der von Olaf Scholz und Karl Lauterbach eingesetzte "ExpertInnenrat" fordert "Berücksichtigung des Kindeswohls in der Pandemie". Der Appell kommt viele Monate zu spät und liefert bis auf den Ruf nach "sozialer Teilhabe" kaum praktikable Empfehlungen

Endlich hat auch der Expertenrat der Bundesregierung den Auswirkungen der Corona-Maßnahmen auf Kinder und Jugendliche eine besondere Aufmerksamkeit geschenkt. In ihrem jüngsten Papier stellen die 19 Mitglieder, darunter RKI-Chef Lothar Wieler, Viola Priesemann, Melanie Brinkmann, Christian Drosten und Hendrick Streeck, das Kindeswohl in der Pandemie in den Mittelpunkt.

"Zur Notwendigkeit einer prioritären Berücksichtigung des Kindeswohls in der Pandemie" ist die 7. Stellungnahme des ExpertInnenrates überschrieben und das Wort "Kindeswohl" sowie Medienberichte schürten ein wenig die Spannung, ob aus dem Team "Extravorsicht" neue Töne, Gewichtungen und Ansichten kommen.

Zum Teil schon, wie es ein Bericht der Welt mit seiner Überschrift andeutet: "'Zugangsbeschränkungen müssen entfallen" – Corona-Expertenrat sorgt sich um Kindeswohl'"

Das hat der Expertenrat auch gleich zu Anfang seines Papiers dokumentiert: "Die Pandemie belastet Kinder und Jugendliche aus vielfältigen Gründen besonders stark", heißt es da und dem wird auch gleich gegenübergestellt, dass Kinder und Jugendliche anders als Ältere in geringerem Ausmaß von einer Krankheitslast durch Covid-19 geplagt werden. Hospitalisierungsrate und die Aufnahmen auf Intensivstationen und Sterblichkeit seien in Deutschland "weitaus niedriger".

Die Expertinnen und Experten stellen fest, dass die "sekundäre Krankheitslast" besonders schwerwiegend ist. Gekennzeichnet wird diese durch die Aufzählung: "psychische und physische Erkrankungen der Kinder und Jugendlichen, ausgelöst u.a. durch Lockdown-Maßnahmen, Belastungen in der Familie wie Angst, Krankheit, Tod oder Existenzverlust, Verlust an sozialer Teilhabe und Planungsunsicherheit". Besonders betroffen seien Kinder aus sozial benachteiligten Familien.

Später wird im Expertenpapier noch weiter detailliert, was seit Monaten als Klagen und Befunde durch die Medienberichterstattung geht. Angemerkt sei, dass der Unterschied zwischen dem, was man an Erlebtem und Erfahrungen hört, und der folgenden Beschreibung der "sekundären Krankheitslast" erheblich ausfallen kann.

Neben der infektionsbedingten primären Krankheitslast sind die Beeinträchtigungen des seelischen und sozialen Wohlbefindens der Kinder und Jugendlichen einschließlich der substanziellen Verluste in Bildung, Sport und Freizeitgestaltung mit allen kumulativen Langzeitauswirkungen von besonderer Bedeutung. In Deutschland und anderen Ländern werden im Längsschnitt vermehrte psychische Belastungen und psychiatrische Krankheitsbilder wie Depression, Anorexie und Bulimie sowie eine Zunahme von Adipositas berichtet.

Auch die exzessive Mediennutzung ist weiter angestiegen. Besonders ausgeprägt sind die beschriebenen Effekte bei Kindern und Jugendlichen aus sozial benachteiligten Familien in Folge von Armut, Bildungsferne, Migrationshintergrund oder fehlenden Sprachkenntnissen.

7. Stellungnahme des ExpertInnenrates

Die Verbindung von Infektionsschutz und sozialer Teilhabe müsse sorgfältig der jeweiligen Situation angepasst werden. Das sei zusammen mit psychosozial stabilisierenden Maßnahmen "dringend erforderlich", so das Papier. In der Praxis stehen diese Maßnahmen allerdings kaum zur Verfügung, weil die therapeutischen Einrichtungen hoffnungslos überlastet sind.

Die Folgerungen

In dem einstimmig unterzeichneten Papier gibt es acht Empfehlungen: Administrative Empfehlungen, die vorwiegend organisatorische Fragen betreffen – Einsetzung von Arbeitsgruppen, Mittel für wissenschaftliche Erfassung über Monitoring etc. – und solche, die Eltern, Jugendliche und Kinder konkret in ihrer Lebenswirklichkeit angehen.

Das ist zum einen der Rat zu impfen, um die niedrige Impfquote bei 12-17-Jährigen zu erhöhen – "eine zusätzliche, an Eltern, Kinder und Jugendliche gerichtete Informations- und Aufklärungskampagne ist erforderlich".

Zum anderen die Muss-Forderung, die Medien aufgefallen war:

Zugangsbeschränkungen, die einen Großteil der Kinder und Jugendlichen vom Besuch altersgerechter Freizeitangebote (Jugendclub, Kino, Konzerte etc.) ausschließen, müssen auf Bundes- und Länderebene entfallen, soweit es die pandemische Lage erlaubt.

7. Stellungnahme des ExpertInnenrates

Weiter wollte man jedoch nicht gehen. Zwar wird an einem Punkt erwähnt, dass die Schulen auf den Leistungsdruck achten sollen, um der "sekundären Krankheitslast" der Kinder- und Jugendlichen angemessen zu begegnen, aber an ein anderes vieldiskutiertes Thema wollten die Fachleute nicht gehen: die "Maskenpflicht". So spielen in Bayern Teenager im Sportunterricht Handball mit FFP2-Gesichtsmasken.

Ob das angesichts der gegenwärtigen Situation noch angebracht ist, ist noch einer der harmloseren Diskussionspunkte zur Maskenpflicht. Die Experten vermeiden das Thema völlig.

Sie verweisen auf die AWMF-S3-Leitlinie zur Sicherstellung des Schulbetriebs unter Pandemiebedingungen. Durch "bestmöglich implementierten Infektionsschutz" soll die Situation an den Schulen so sicher wie möglich gestaltet werden, heißt es. Sonst könnte der Präsenzunterricht wieder gefährdet werden, klingt dabei an.

Der Leitlinie ist zum Thema "Maskentragen" an der Schule zu entnehmen, dass der Konsens hier eine große Rolle spielt.

Der scheint sich aber langsam aufzulösen. Niedersachsen plant das Ende der Maskenpflicht an den Schulen und auch in Nordrhein-Westfalen steht ein Kurswechsel bei der Masken- und Testpflicht an.

In Bayern bleibt es dabei: "Auch am Sitzplatz im Klassenzimmer dürfen die Schülerinnen und Schüler ihren Mund-Nasen-Schutz nicht abnehmen - anders als etwa Erwachsene im Wirtshaus, wo am Tisch keine Maske getragen werden muss. Für den Sportunterricht in der Turnhalle gilt im Freistaat ebenfalls weiter: nur mit Maske. An Grundschulen reicht eine sogenannte Alltagsmaske, Schüler an weiterführenden Schulen brauchen mindestens eine OP-Maske."

Die Regeln sollen vorerst auch nicht gelockert werden, so Kultusminister Michael Piazolo (Freie Wähler), der nicht jetzt nicht dazu verleiten lassen will, "wirksame Schutzmaßnahmen wie Masken und Testungen verfrüht aufzuheben".