Medien: Lästige Korrekturen bei Falschaussagen?
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Journalistisches Sträuben gegen Richtigkeit, Teil 2
Journalismus handelt von und mit Fakten. Da ist es erstaunlich, wie ignorant viele Medien auf Fehlerhinweise reagieren, und wie überzeugt sie zu verbreiteten Falschbehauptungen stehen, wenn sie doch reagieren.
Im ersten Teil ging es um Fehler in einem Filmbeitrag des ZDF und die Reaktion des Senders auf Kritik. Der folgende Beitrag handelt exemplarisch von drei weiteren Fällen.
Der Bayerische Rundfunk und der Wunder-Regenwurm im Bildungskanal
In einer Würdigung des Regenwurms behauptete der Bayerische Rundfunk (BR) in einer Bilderstrecke zum "König der Erde" auf der Website des ARD-Bildungssenders Alpha:
Wird ein Regenwurm zerteilt, könnten theoretisch beide Einzelteile überleben - wenn sie nicht vorher gefressen werden. Möglich ist das, weil der Körper des Regenwurms aus bis zu 160 einzelnen, ringförmigen Segmenten besteht. Jeder dieser Ringe besitzt eigentlich alles, was der Regenwurm zum Überleben braucht.
BR/ARD-Alpha im Jahr 2019
In einem Hinweis an den Sender schrieb der Autor dazu: "Wenn nun in einem solchen Themen-Special nicht nur der alte Kinderglaube kolportiert wird, aus einem Regenwurm könne man durch Halbieren einfach zwei machen, sondern auch noch die aberwitzige Begründung geliefert werden, in jedem 'Ring' sei alles, was ein Regenwurm braucht, dann hat da offenbar jemand Wissensseiten zusammengeschustert, der nicht nur vom Regenwurm im Besonderen nichts versteht, sondern auch seinen schulischen Biologieunterricht recht unbeeindruckt überstanden haben muss."
Doch der Sender ignorierte zwei E-Mails und ein Einschreiben. Erst eine formale Programmbeschwerde beim BR-Rundfunkrat führte zur bis heute nachlesbaren Änderung der Formulierung:
Verlorene Teile kann ein Regenwurm regenerieren. Wie gut das klappt, hängt von der Wurmart, dem Grad der Verletzung und der betroffenen Stelle ab.
BR/ ARD-Alpha, geänderte Formulierung in der Bilderstrecke "König der Erde"
Der damalige Rundfunkratsvorsitzende Lorenz Wolf1, Prälat und Vertreter der Katholischen Kirche, schrieb dazu realsatirisch:
Die Überprüfung des Textes und Abwandlung erfolgte aufgrund Ihres Hinweises und gibt den komplexen Sachverhalt der Regenerationsfähigkeit des Regenwurms nun sehr viel treffender wieder. Die Programmverantwortlichen danken Ihnen deshalb für Ihren Hinweis.
Dr. Lorenz Wolf, Vorsitzender des BR Rundfunkrats von 2014-2022
Die alte Behauptung war also nicht etwa grundfalsch, sondern nur weniger treffend als die neue. Folgerichtig gab es auch keine Entschuldigung und keinen transparenten Hinweis auf die Korrektur, wie dies etwa der – hier nicht einschlägige – Pressekodex verlangt.
Die vorangegangene Ignoranz des Senders begründete Wolf mit "einer Verkettung unglücklicher Umstände". Die entscheidende Frage, wie überhaupt ein solches Fantasieprodukt in einen Bildungskanal kommen konnte, blieb unbeantwortet.
Der Spiegel und seine Twitter-Lesekompetenz
Das vier Jahre nach der Relotius-Affäre gerade wieder mit Vorwürfen unrichtiger Reportagen konfrontierte Nachrichtenmagazin Der Spiegel hielt über zwei Wochen an der Falschbehauptung fest, bei der Auflösung einer Protestveranstaltung gegen die Corona-Politik am 1. August 2020 in Berlin seien "mehrere Polizeibeamte verletzt worden. Drei Polizisten mussten im Krankenhaus behandelt werden".
Ursprünglich hatte der Spiegel von genau 18 Verletzten geschrieben. Der Fehler war aus vielen Gründen offensichtlich (ausführlich dargestellt bei Spiegelkritik in "Zerrspiegel einer Demonstration"), doch der Spiegel hielt trotz Hinweisen daran fest. Auf eine entsprechende Anfrage teilte Guido Schmitz, Projektleiter Kommunikation und Marketing, nach drei Tagen Bearbeitungszeit mit:
Wir möchten Ihnen versichern, dass die SPIEGEL-Redaktion auch in diesem Fall sorgfältig recherchiert hat. An unserer Berichterstattung halten wir fest; sie fußt auf mehreren, offiziellen Quellen.
Guido Schmitz, Spiegel
Die Quellen nannte er auf Nachfrage nicht. Erst eine Eingabe an die nach dem Fälschungsskandal Claas Relotius eingerichtete Ombudsstelle führte zu einer Korrektur im Beitrag, der Fehler wird aber in der nachgestellten "Anmerkung der Redaktion" bis heute nicht eingestanden, eine Entschuldigung gibt es nicht.
Die URL enthält weiterhin die falsche, wohl suchmaschinenfreundliche Aussage: protest-gegen-corona-auflagen-18-polizisten-bei-aufloesung-von-berliner-kundgebung-verletzt.
Zahlreiche weitere Beispiele aus diesem Themenfeld finden sich im zweiten von acht Teilen der Telepolis-Serie über den "Corona-Journalismus".