Was man am Corona-Journalismus kritisieren kann
Eine Zusammenfassung der achtteiligen Telepolis-Serie in einfacher Sprache
In acht Artikeln hat Timo Rieg als Medienkritiker darüber geschrieben, was bislang schlecht war am "Corona-Journalismus". Hier folgt eine Zusammenfassung. Und zwar auf Anregung aus dem Telepolis-Diskussionsforum in einfacher Sprache. Kurze Sätze. Nur unbedingt notwendige externen Links. Wenige Fremdwörter.
Es ging in dieser Serie nicht darum, ob die Corona-Politik gut oder schlecht war. Es ging nicht darum, was richtig war und was falsch war. Es ging immer nur darum, wie der Journalismus berichtet hat. Über welche Probleme im Fernsehen und in den Zeitungen berichtet wurde. Welche Probleme nur bei sogenannten "Alternativen Medien" im Internet standen. Kritisiert wurden über 100 Einzelfälle. Die Artikel hier auf Telepolis haben kein Urteil über den Journalismus insgesamt gefällt. Sie sind keine "quantitative Studie", sie haben also keine Fehler gezählt. Sondern jeder Fehler, der hier benannt wurde, war als Beispiel gemeint. Wie häufig solche Fehler vorkommen, müssten andere Untersuchungen zählen.
Und es ging nicht nur um Fehler, sondern auch um Dinge, die man unterschiedlich sehen kann. Weil es keine genauen Regeln gibt, wie ein super guter Journalismus aussehen soll und ab wann Journalismus nicht mehr gut ist. Allerdings kann man in den meisten Fällen entscheiden, ob Journalismus "Orientierung" bietet. Das ist nämlich die Hauptaufgabe von Nachrichten. Dann ist es keine Geschmacksfrage (obwohl das selbst Medienforscher manchmal behaupten).
Teil 1: Schweizer Studie zur Qualität der Medien
Bis vor kurzem gab es nur eine große Forschung, wie gut und wie schlecht der Journalismus über Corona berichtet hat. In der Schweiz wurde das untersucht. Dort prüfen Wissenschaftler nämlich jedes Jahr, wie gut oder schlecht der Journalismus ist. Während Corona haben sie festgestellt, dass die meisten Artikel auch von Corona handeln. Von vier Berichten drehten sich drei um die Pandemie. Den Eindruck hatten auch viele Menschen: Corona hat alle anderen Themen verdrängt. Das sehen die Wissenschaftler auch als Problem an. Denn auf der Welt ist weiterhin vieles passiert, das nichts mit Corona zu tun hat. Aber nur noch ganz weniges davon kam in die Nachrichten.
Auch der Inhalt der Corona-Artikel war nicht immer gut. Die Wissenschaftler fanden, dass nur wenig Kritik an der Politik geäußert wurde. Als es zum Beispiel losging, dass Politiker einen "Lockdown" wollten, haben die Journalisten dazu wenig recherchiert. Sie fanden die Idee wohl logisch, dass jetzt jeder zuhause bleiben muss. Schulen und viele Geschäfte wurden geschlossen. Universitäten blieben für ein ganzes Jahr zu. Viele Treffen waren für lange Zeit verboten. So etwas hatte es noch nie gegeben. Da ist es merkwürdig, dass Journalisten den "Lockdown" als selbstverständlich hingenommen haben. Von Menschen, die das nicht gut fanden, wurde wenig berichtet. So entstand der Eindruck, dass alle vernünftigen Menschen gut finden, was die Politiker gegen Corona machen.
Die Schweizer Forschung ist inzwischen weiter vorangeschritten, gerade ist ein neuer Bericht erschienen. Demzufolge sind die Schweizer Medien im Laufe der Zeit kritischer geworden. "Zahlen und Statistiken werden häufiger kontextualisiert und eingeordnet (erste Welle: 12 Prozent; zweite Welle 21 Prozent)", steht auf Seite 37. Es gibt aber auch weiterhin Probleme. Zu Corona werden von den Journalisten fast ausschließlich Menschen aus dem medizinischen Bereich befragt. Andere Fachleute kommen kaum vor. Es wurde also weiterhin nur wenig über soziale, wirtschaftliche oder kulturelle Probleme berichtet. Eine Anfang November erschienene Studie bestätigt die Qualitätsmängel für Deutschland (siehe Bericht bei Telepolis). Allerdings finden die Forscher das nicht schlimm. In der Beurteilung ihrer Forschungsergebnisse schreiben die Autoren:
Insgesamt nahmen die Medien gegenüber der Pandemie folglich eine eindeutig warnende Haltung ein, die man durchaus als einseitig betrachten kann. Betrachtet man diese Einseitigkeit als Problem, dann kann man dies allerdings nur aus einer Position tun, die die Pandemie als eher ungefährlich oder die Maßnahmen als eher übertrieben wahrnimmt. Stellt man dagegen in den Mittelpunkt, dass Deutschland im Vergleich zu anderen Ländern bislang auch im Hinblick auf die Zahl von Todesfällen vergleichsweise gut durch die Pandemie kam und führt man dies nicht nur auf das gute Gesundheitssystem und die vielen Intensivbetten, sondern auch auf die Maßnahmen zurück, dann kann man diese mediale Mitgliedschaft im 'Team Vorsicht' als Ausweis von Rationalität, Wissenschaftsorientierung und hoher Qualität der Berichterstattung betrachten.
Marcus Maurer/ Carsten Reinemann/ Simon Kruschinski: Einseitig, unkritisch, regierungsnah? Eine empirische Studie zur Qualität der journalistischen Berichterstattung über die Corona-Pandemie. Seite 58
Um die erste Studie zur Qualität der Corona-Berichterstattung ging es in Teil 1 der Telepolis-Serie: "Elementare Defizite der Berichterstattung".
Teil 2: Richtigkeit
Es klingt selbstverständlich, dass stimmen sollte, was Journalisten berichten. Denn mit falschen Informationen kann man nichts anfangen, sie können sogar schlimme Folgen haben. Wenn ein Online-Magazin zum Beispiel Gesundheitstipps gibt, die in Wirklichkeit aber krank machen. Journalisten achten daher eigentlich darauf, dass in ihren Artikeln und Sendungen alles richtig ist. Doch oft genug ist etwas falsch.
Ein Grund für Fehler ist, dass Journalisten manchmal eine Meinung mit einer Tatsache verwechseln. Wenn die Sonne scheint, ist das eine Tatsache. Aber dass wir deshalb "schönes Wetter" haben, ist eine Meinung. Man darf Sonne nämlich auch ätzend finden. Die Meinung, die Journalisten am häufigsten für eine Tatsache halten, ist ihre eigene Meinung. Das heißt: sie sehen etwas, sie hören etwas oder sie lesen etwas, und was sie sich dazu denken, erklären sie zur Tatsache. Dann stellen sie etwas als "richtig" dar, was in Wirklichkeit nur ihre Meinung ist.
So war das von Anfang an mit Menschen, die gegen einige der Corona-Maßnahmen waren. Viele Journalisten haben solche Menschen als "Corona-Leugner" bezeichnet. In Wirklichkeit waren aber viele von diesen Menschen keine Corona-Leugner. Oder die Journalisten konnten gar nicht wissen, ob es "Corona-Leugner" sind, weil sie gar nicht mit ihnen gesprochen haben. Aber was diese Menschen an der Politik kritisiert haben, wurde dann oft nicht mehr berichtet, weil man "Corona-Leugner" nicht ernst nehmen sollte. Das stimmt, denn wer Tatsachen verleugnet und in einer Fantasiewelt lebt, hat keinen Überblick über die echte Welt.
Manchmal kann man zu solchen Leuten wohl "Spinner" sagen. Aber der Journalismus hat Menschen zu "Spinnern" erklärt, ohne beweisen zu können, dass sie welche sind. Viele Journalisten waren einfach der Meinung: Wer mitten in der Corona-Pandemie eine Demonstration gegen die Kontaktverbote, gegen die Schulschließungen und gegen andere Maßnahmen der Politiker macht, der muss ein "Corona-Leugner" sein. Damit haben die Journalisten so getan, als ob es nur eine Meinung zu Corona geben darf, und diese eine Meinung ist daher eine Tatsache, sie ist die Wahrheit.
Ein anderer Grund für Fehler im Journalismus ist, dass Journalisten Dinge falsch verstehen. Das kennt man auch aus dem Freundeskreis, wenn Geschichten weitererzählt werden. Ganz ohne böse Absicht verändern sich die Geschichten beim Erzählen. Manch einer schmückt die Geschichten aber auch absichtlich aus, erfindet Dinge, die gar nicht stimmen.
Ein Beispiel für solche Verständnisfehler war folgendes: Die Berliner Polizei hatte auf Twitter geschrieben, dass an diesem Tag mehr als tausend Polizisten im Einsatz waren. Wörtlich schrieb die Polizei: "Stand jetzt wurden 18 [Polizisten] verletzt, 3 werden im Krankenhaus behandelt." Die Polizei schrieb aber gar nicht, wo und wie die 18 Polizisten verletzt wurden. Bei Spiegel-Online stand dann jedoch, dass die Polizisten bei einer Demonstration gegen die Corona-Maßnahmen verletzt worden waren.
Das war falsch. Es gab an diesem Tag noch mehr zu tun in Berlin. Die Journalisten vom Spiegel hatte aber in der Mitteilung der Polizei einfach das gelesen, was in ihre Berichterstattung gepasst hat. Das war vermutlich keine vorsätzliche Fälschung. Aber es war ein drastisches Beispiel für schlechten Journalismus. Vor allem, weil sich Spiegel-Online lange geweigert hat, den Fehler zu korrigieren.
Um diesen und viele weitere Fälle von falschen Nachrichten ging es im 2. Teil der Serie: "Wenn schon die Fakten nicht stimmen.
Teil 3: Vollständigkeit
Ein häufiger Fehler im Journalismus ist, dass er von einer Geschichte nicht alle Aspekte berichtet. Natürlich gibt es meistens mehr Informationen, als in einen Zeitungsartikel passen. Zum Problem wird es, wenn mit und ohne diese Informationen verschiedene Geschichten entstehen. Ein gerne erzähltes Beispiel: Ein Pfleger schlägt im Krankenhaus eine alte Frau, die im Bett liegt. Das klingt schlimm. Aber er tat das, weil es im Krankenhaus brennt, und er die Frau ganz schnell wecken wollte. Das klingt sinnvoll. Und dann sage ich noch, dass das Ganze aber nicht in echt passiert ist, sondern ein Film gedreht wurde. Damit haben wir drei verschiedene Geschichten. Jedes Mal werden Tatsachen berichtet, aber in den ersten beiden Versionen eben nicht "die ganze Wahrheit". Zur Vollständigkeit von Zahlen gehört zum Beispiel der Vergleich. Wenn man schreibt, wie viele Menschen an Corona gestorben sind, dann muss man auch schreiben, wie viele Menschen an anderen Krankheiten und Unfällen gestorben sind. Sonst kann niemand einordnen, ob die Corona-Toten viel oder wenig sind. Zur Vollständigkeit von Themen gehört, über spätere Veränderungen oder Korrekturen auch noch zu berichten. Aber häufig wird ein erster Verdacht oder eine erste Interpretation groß und laut berichtet. Wenn sich später herausstellt, dass nicht viel dran war, dann kommt nichts mehr. Im Kopf von vielen Lesern oder Fernsehzuschauern bleibt dann etwas hängen, was gar nicht stimmt. Unvollständig sind Berichte auch, wenn sie Schlagworte schreiben statt Fakten. Wenn zum Beispiel alle Demonstranten als "Corona-Leugner" bezeichnet werden. Vollständiger wäre zu schreiben, was die Demonstranten genau fordern und wie sie es begründen. Das fehlte aber in vielen Artikeln. Die Überschrift zu diesem dritten Teil hieß darum auch: "Halbe Wahrheiten sind keine.
Teil 4: Meinungsvielfalt
Bei vielen Informationen helfen uns Meinungen von anderen Menschen. Zum Beispiel von Experten oder Wissenschaftlern. Von Politikern oder von Menschen, die Politik kritisieren. Allerdings gibt es zu jedem Thema nicht nur eine Meinung, sondern viele verschiedene. Damit Meinungen hilfreich sind, müssen wir zu jeder Meinung auch die Gegenmeinung kennen. Das ist im Corona-Journalismus ganz oft nicht passiert. Ein Grund dafür könnte sein, dass Journalisten nicht sauber trennen zwischen Tatsachen und Meinungen, beides zum Teil verwechseln.
Zu Tatsachen gibt es keine "Gegenmeinung" oder "Gegentatsache". Aber zu Tatsachen kann man Meinungen haben, und in einer Demokratie sind da immer sehr viele verschiedene Meinungen zulässig. Kritik an der Corona-Politik kam in den Medien kaum vor. Allenfalls in der Richtung, dass Lobbyisten oder Politiker noch strengere Maßnahmen zu Bekämpfung der Pandemie gefordert haben (Parole: Null-Covid). Wie schlimm Corona nun tatsächlich ist, wird in den Medien kaum diskutiert. Die meisten Journalisten haben sich von Anfang an festgelegt: Corona ist sehr, sehr schlimm und rechtfertigt daher jede Maßnahme, jede Einschränkung der Freiheit. Und für die Corona-Bekämpfung darf die Politik Geldschulden in unbegrenzter Höhe machen.
Um Meinungsvielfalt ging es mehrfach, vor allem im vierten Teil: "Meinungsvielfalt ist unabdingbar.
Teil 5: Repräsentativität
Ein typischer Fall in der Corona-Berichterstattung: Bei Fotos und Videos von Demonstrationen wurden besonders "Verrückte" gezeigt. Das ist immer so. Wer das schrillste Plakat hat oder das lustigste Kostüm (oder wer einfach nackt ist) hat gute Chancen, ins Fernsehen zu kommen. (Eine Zusammenstellung solch "Verrückter" bietet zum Beispiel der Spiegel als Video an.) Wenn allerdings nur diese besonders auffälligen Menschen mit ihren Botschaften in die Medien kommen, stimmt das Bild nicht. Die Zuschauer bekommen dann einen falschen Eindruck von dem, was wirklich war.
Darum soll guter Journalismus Menschen und deren Meinungen "repräsentativ" auswählen. Das heißt, das Bild in den Medien soll möglichst gut dem Bild in der Wirklichkeit entsprechen. Wenn auf einer Demonstration mit tausend Menschen zehn ein Plakat tragen, auf dem Christian Drosten wie ein Gefangener abgebildet ist, dann müssten in der Zeitung auf einem Foto mit diesem einen Plakat noch 99 Menschen zu sehen sein, die kein solches Plakat zeigen. Dann würde das kleine Bild in der Zeitung statistisch dem großen Bild in echt entsprechen.
Viele Medien haben sich sehr stark für einige wenige Kritiker der Corona-Politik interessiert, die keineswegs als Stellvertreter für alle Kritiker gelten können. Attila Hildmann war so eine Person. Der hat wirklich sehr wirres Zeug erzählt. Aber deshalb sind noch lange nicht alle Kritiker verrückt. Hildmann oder andere Einzelpersonen, die von den Medien groß gemacht wurden, sind nicht repräsentativ.
Wenn die Medien ständig Corona-Kranke auf der Intensivstation im Krankenhaus zeigen, verzerren sie damit das echte Krankheitsbild. Denn nur ein kleiner Bruchteil der Menschen muss wegen Corona ins Krankenhaus. Und im Krankenhaus liegen auf den Intensivstationen ständig viel mehr Menschen, die andere Krankheiten haben als Corona. Auch das wurde so gut wie nie abgebildet. Dadurch kann das falsche Bild entstehen, die Krankenhäuser hätten fast nur mit Corona-Kranken zu tun.
Repräsentativität kann man auch für Themen fordern. Weil auf der Welt viel mehr passiert, als in eine Zeitung passt, sollte die Auswahl so sein, dass kein falsches Bild von der Realität entsteht. Die Medien haben lange Zeit aber fast nur noch über Corona berichtet. Auch heute noch bekommt Corona in jedem Zusammenhang viel Aufmerksamkeit. Andere Probleme kommen viel seltener in die Medien.
Um all solche Probleme mit der "richtigen Auswahl" von Themen und Personen ging es im fünften Teil der Serie: "Verzerrte Proportionen.
Teil 6: Objektivität
Über Objektivität im Journalismus wird schon lange viel diskutiert. Manche Journalisten sagen, Objektivität könne es gar nicht geben, weil jeder Mensch zu allem eine Meinung entwickeln könne. Und ab dann sei man nicht mehr objektiv. Aber das geht am Problem vorbei.
Objektiv ist eine Berichterstattung dann, wenn sie unabhängig vom Journalisten ist. Wenn drei Journalisten von derselben Veranstaltung ganz unterschiedlich berichten, dann können mindestens zwei der drei Berichte nicht objektiv sein. Die Kommentare der drei Journalisten dürfen sich natürlich deutlich unterscheiden (weil es Meinungen sind). Aber ihre Darstellung dessen, was wirklich gewesen ist, sollte sich nicht widersprechen. Nur dann können sich die Leser, Zuhörer und Zuschauer des Journalismus selbst eine Meinung bilden.
Von den großen "Corona-Demonstrationen" in Berlin haben viele Journalisten nicht objektiv berichtet. Sie waren schon vorher der Meinung, dass die Demonstranten unrecht haben, dass man gar nicht demonstrieren sollte. Und so haben sie dann berichtet. Damit haben die Medien ein Bild von den Protesten gegen die Corona-Politik geprägt, das nicht der Wirklichkeit entspricht. Wer wissen wollte, wie es auf den Demonstrationen wirklich zugeht, der musste selbst hingehen und (möglichst an vielen verschiedenen Stellen) zuschauen. Genau das überflüssig zu machen ist aber eigentlich die Aufgabe des Journalismus.
Darum ging es ausführlich im sechsten Teil: "Objektivität ja, Neutralität nein.
Ebenfalls Teil 6: Medienkritik
Ein eigener wichtiger Punkt bei Objektivität war die Medienkritik. Denn hier müssen Medien sich gegenseitig kritisch beobachten und, wo nötig, auch kritisieren. Das ist immer besonders schwierig, deshalb müssen sich Journalisten, die über Medien und Journalismus berichten, besonders stark um Objektivität bemühen. Das haben sie im Corona-Journalismus aber nicht getan. Kritik an der Art und Weise, wie über Corona berichtet und kommentiert wurde, gab es in den Medien nur sehr selten.
Die besonders harten Kritiker kamen überhaupt nicht vor, sie schreiben und senden daher in ihren eigenen Medien, den sogenannten "Alternativen Medien". Oder sie veröffentlichen Bücher, die sogar zu Bestsellern wurden. So sind Menschen völlig unterschiedlich informiert, je nachdem, welche Youtube-Kanäle sie schauen und welche Internetseiten sie lesen. An einzelnen Beispielen wurde gezeigt, dass Journalisten Kritik an ihrer Arbeit ignorieren oder vom Tisch wischen - selbst, wenn sie aus der Wissenschaft kommt, die derzeit doch so hochgehalten wird.
Medienkritik war also neben Objektivität Inhalt von Teil 6, unter dem Punkt: "Härtefall Medienkritik.
Teil 7: Relevanz
Ein weiteres wichtiges Qualitätsmerkmal für Journalismus ist die Relevanz der Themen. Denn ein Artikel kann noch so gut geschrieben sein - wenn er ein belangloses Thema behandelt, hilft er nicht bei der Orientierung in dieser Welt. Er kostet den Leser Zeit und belastet ihn mit unnötigen Informationen. Außerdem kann an der Stelle, an der ein nicht relevanter Artikel steht, kein wichtiger Beitrag mehr stehen. Er verdrängt dann anderes.
In der Phase des intensivsten Corona-Journalismus drehte sich der größte Teil aller Artikel und Sendungsbeiträge um die Corona-Pandemie. Davon war längst nicht alles relevant, also wichtig für die Zuschauer und Leser. Es herrschte Aufregung im Journalismus. Alles, was irgendwie mit Corona in Zusammenhang stand und gefährlich klang, wurde gemeldet. Der SPD-Politiker Karl Lauterbach braucht bis heute nur einen einzigen Satz auf Twitter zu posten, und schon landet er damit in den Nachrichten.
Weil auf der Welt viel mehr Relevantes passiert, als in den Nachrichten Platz finden kann, müssen Journalisten immer eine Auswahl treffen. Damit diese Auswahl insgesamt dem entspricht, was wichtig ist, müssen die wichtigen Nachrichten ausgewählt werden. Zum Beispiel gibt es jeden Tag tausende Verstöße gegen irgendwelche Regeln, die juristisch als "Ordnungswidrigkeiten" behandelt werden, von Falschparken bis Ruhestörung.
In den Zeitungen waren aber vor allem Verstöße gegen Corona-Regeln zu finden, von denen die Polizei berichtet hat. Auch so entsteht wieder ein Bild von der Welt, das nicht der Wirklichkeit entspricht. Aus der großen Menge an Nachrichten die zu finden, die wichtig und damit relevant sind, ist eine Kernaufgabe im Journalismus. Darum ging es im siebten Teil der Serie zum Corona-Journalismus: "Recherche schafft Relevanz
Teil 8: Gesamtbetrachtung
Im letzten Teil der Serie wird nochmal mit zeitlichem Abstand auf das Geschehen geschaut. Das meiste, was in dieser Artikelserie am Corona-Journalismus bemängelt wurde, hat seine Ursache in schlechter Recherche. Recherche bedeutet im Journalismus, Fragen zu stellen. Journalisten sollen und müssen alles infrage stellen. Sie dürfen sich nicht mit dem zufrieden geben, was ihnen Wissenschaftler oder Politiker oder Lobbyisten sagen. Sie müssen stets fragen: Ist das wirklich so? Kann man das auch anders sehen? Fehlt da eine Information? Was ist die Konsequenz, wenn dieses und jenes gemacht wird?
Auf manche Fragen gibt es (noch) keine Antwort? Dann müssen Journalisten das auch so sagen: Wir wissen es nicht, wir konnten es nicht in Erfahrung bringen. Zum Corona-Virus zum Beispiel wusste man am Anfang einiges noch nicht. Zur Wirkung der Impfung weiß man heute einiges noch nicht, man kann es gar nicht wissen, weil es die Impfstoffe gegen Corona noch nicht lange gibt.
Aber Journalisten sagen nicht gerne, dass sie etwas nicht wissen. Sie suchen sich lieber jemanden, der behauptet, alles zu wissen. Und den zitieren sie dann in ihren Artikeln. Auch beim Recherchieren sind vermutlich viele Journalisten darüber gestolpert, dass sie Fakten und Meinungen nicht gut unterscheiden können. Denn wenn sie fälschlicherweise eine Meinung für eine Tatsache halten, gibt es für sie nichts mehr zu recherchieren. Nur: Wenn Wissenschaftler zum Beispiel sagen "wir müssen alle Menschen impfen", dann ist das eine Meinung und keine Tatsache. Denn Wissenschaftler können gar nicht entscheiden, was alle Menschen wollen, sie können nicht die Ziele der Politik vorgeben.
Also muss man diskutieren, was sinnvoll ist. Und dazu muss der Journalismus alle relevanten Meinungen und Tatsachen recherchieren und veröffentlichen. Das hat der Journalismus zu Corona nicht gemacht. Er hat sehr viele Fragen gar nicht gestellt oder sich mit den ersten Antworten zufrieden gegeben. Die wichtigste und größte Frage, die nicht gestellt wurde, lautet: Was sind die Nebenwirkungen der Corona-Politik? Jedes Medikament hat Nebenwirkungen, die man nicht haben möchte, die man aber in Kauf nimmt, wenn der Nutzen des Medikaments groß genug ist.
Auch alle Corona-Maßnahmen haben Nebenwirkungen, also Folgen, die nicht gewollt sind, aber trotzdem da sind. Darüber ist kaum gesprochen worden. Dabei hätte genau hier der Journalismus sein wichtigstes Arbeitsfeld gehabt, denn er hätte recherchieren müssen. Politiker sagen ihm nicht, welche schlimmen Folgen ihre Politik haben kann oder sogar sicher haben wird. Das müssen die Journalisten schon selbst herausfinden, und nur mit diesen Informationen können die Bürger entscheiden, welche Politik sie haben wollen.
Was folgt daraus?
Der Journalismus hat für eine Demokratie nicht gut gearbeitet. Natürlich kann niemand wissen, wie anders es gelaufen wäre, wenn es in der Presse nicht so viele Fehler gegeben hätte. Aber weil Informationen Einfluss auf unsere Meinungsbildung haben, wäre es mit besseren Informationen anders gelaufen - irgendwie. Schlechter könnte man das Ergebnis dann nur nennen, wenn man keine Demokratie will, sondern eine Diktatur (wenigstens vorübergehend für Corona, wie das tatsächlich gefordert wurde, siehe das Gespräch mit Thomas Brussig).
Ein besonderes Problem ist bis heute die allgegenwärtige Kommentierung. Zum einen bilden die echten Kommentare keinesfalls die Meinungsvielfalt ab, die es in der Bevölkerung gibt. Zum anderen schwingt aber in fast allen Nachrichten zu Corona eine Kommentierung mit. Wer sich nicht impfen lässt, ist nicht schlicht ein Nichtgeimpfter (wie ein "Nichtraucher"), sondern ein "Impfmuffel" oder "Impfverweigerer". Also jemand, der aus der Reihe tanzt. Wer die Politik kritisiert, wird in den Medien "Corona-Skeptiker" oder sogar "Corona-Leugner" genannt. Menschen, die sich kritisch äußern, werden "umstritten" genannt. Große Bedeutung hat auch die Auswahl, was überhaupt in die Medien kommt. In der Summe wird das Problem "Framing" genannt. Ein Ereignis wird auf eine bestimmte Weise dargestellt, die Nachrichten bekommen einen bestimmten "Rahmen" (Englisch: frame).
All dies ist nicht neu, es passiert ständig im Journalismus. Aber bei der Corona-Berichterstattung fiel es besonders stark ins Gewicht, weil es lange Zeit kaum ein anderes Thema gab. Und weil sehr viele Entscheidungen getroffen wurden. Kaum ein Mensch hatte sich vor zwei Jahren vorstellen können, dass mit einem Schlag alle in ihren Wohnungen eingesperrt werden, die sie nur noch aus ganz wichtigen Gründen verlassen dürfen. Dass man Freunde und Familie nicht mehr besuchen darf. Dass man an Beerdigungen nicht teilnehmen darf. Dass die Polizei Wohnungen kontrolliert, ob da mehr Menschen zusammen sind als gerade erlaubt ist.
Auch die Kosten der Corona-Politik hat sich kaum jemand vorstellen können. Während es sonst immer heißt, es sei kein Geld da und man müsse sparen, wurde zur Bekämpfung von Corona so viel Geld ausgegeben, wie der Staat sonst in einem Jahr für alles zusammen ausgibt: für Schulen und Krankenhäuser, Renten und Pensionen, Theater, Feuerwehr, Polizei, - eben für alles, was die Allgemeinheit bezahlt. Es gab also sehr, sehr große Veränderungen gegenüber all den Jahren zuvor.
Dem Journalismus merkt man das nicht an. Es wird interessant, wie Forscher das in vielen Jahren mal sehen werden, wenn sie auf unsere Zeit zurückschauen und den Corona-Journalismus betrachten. Wenn heutige Forscher in die Vergangenheit schauen, stellen sie jedenfalls fest, dass der Journalismus bei allen großen Katastrophen und Krisen immer sehr auf Linie des Staates war. Darum geht es im achten und letzten Teil der Serie: