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Medien zu Grünen-Parteitag und Friedensdemo: Gute Zeichen, schlechte Zeichen?

Tagesschau-Produktionsraum mit zahlreichen Bildschirmen

Ein Blick hinter die Kulissen: Produktionsstudio der Tagesschau.

(Bild: Medea7, CC BY-SA 4.0, Wikimedia Commons)

In Nachrichten lassen sich Unterschiede in Rahmensetzung und Wortwahl beobachten – je nachdem, wie nahe Redaktionen dem jeweiligen Geschehen stehen?

Dieser Tage gab es in Deutschland zwei innenpolitische Termine, die sowohl deutlich verschiedene leitmediale Aufmerksamkeit erfuhren als auch dann bis in die Auswahl von Wörtern ziemlich unterschiedlich in den Nachrichten vermittelt wurden, was die informationsbetont gebotene Sachlichkeit angeht: Einerseits der Bundesparteitag der Grünen in Karlsruhe, andererseits die Friedens-Demonstration eines breiten Bündnisses in Berlin. Einige Befunde als Splitter dazu:

Tagesschau-Berichterstattung über den Grünen-Parteitag

Mit Blick auf den Grünen-Parteitag hatte die Tagesschau [1] gemeldet, hier als Zitat des Tagesschau-Textes:

Bei ihrer Bewerbungsrede betonte Lang die Erfolge der Grünen als Teil der Ampelkoalition mit SPD und FDP. "Ich bin so unfassbar stolz darauf, was wir in den letzten beiden Jahren geleistet haben", sagte Lang, die unter anderem die Sicherung der Gasversorgung im vergangenen Winter, das 49-Euro-Ticket und die Abschaffung des Paragrafen 219a [2] nannte.

Bemerkenswert, dass hier mit der redaktionellen Formulierung "bei ihrer Bewerbungsrede betonte (die bisherige und nun wiedergewählte Parteivorsitzende Ricarda, d.A.) Lang die Erfolge der Grünen als Teil der Ampelkoalition (…)" das, was diese Spitzenpolitikerin ganz allgemein in ihrem Sinne als "Erfolge" für alle Menschen in der Gesellschaft darzustellen versucht, als genau solche "Erfolge" per Tagesschau-Meldung in den Rang einer unbestreitbaren Tatsache erhoben wird, OHNE das Ganze als Zitat zu markieren. Man mag dazu kritisch sagen: Mehr Partei-Sprachrohr scheint kaum zu gehen.

Denn hier, bei dieser redaktionellen Zusammenfassung innerhalb eines nachrichtlich sein sollenden Beitrages, wird nirgends klar, dass dies ein Zitat wäre. Sachlich(-er) hätte die Redaktion z. B. von "den Ergebnissen" der Grünen-Politik schreiben können oder sogar müssen.

Diese Resultate – die Menschen als gut oder schlecht oder unentschieden bewerten mögen – als "Erfolge" mit ebendiesem stark positiv wertenden Wort zu labeln, OHNE es als Zitat zu markieren, sollte redaktionell und journalistisch Anlass zu selbstkritischer Reflexion bieten. Zumal nicht zuletzt öffentlich-rechtlichen Medien immer wieder Vorwürfe gemacht werden, sie agierten tendenziell grünen-freundlich [3].

Ein mögliches indirektes Zitat in dem Zusammenhang wäre: "Ricarda Lang sagte, sie wolle Erfolge der Ampel betonen." Das klingt nicht nur anders als die verwendete Version, das ist ein Unterschied ums Ganze – hier der zwischen Journalismus und Öffentlichkeitsarbeit.

Deutschlandfunk und die Berichterstattung zur Friedensdemonstration

Eine andere öffentlich-rechtliche Redaktion, in dem Fall die vom "Deutschlandfunk", kann an einer ähnlichen sprachlichen "Baustelle" anders – siehe folgendes Beispiel. Allerdings, Zufall oder nicht, aus einem ganz anderen inhaltlichen Zusammenhang – nämlich aus der Berichterstattung zur Friedensdemonstration [4] am 25.11. in Berlin, hier die Ankündigung: Es handelt sich tatsächlich um das gleiche sprachliche Problem einer redaktionellen Zusammenfassung des Textes einer bestimmten Quelle. Hier der DLF-Text im Wortlaut:

In dem Aufruf zur Demo hieß es, man verurteile den russischen Einmarsch vom Februar 2022. Ebenso kritisieren die Initiatoren angebliche Vertragsbrüche der NATO-Staaten und die Rüstungspläne der Bundesregierung. Unterstützt wird der Aufruf unter anderem von Politikern der Linken, Gewerkschaftern und einigen Künstlern.

Bemerkenswert hier die Formulierung "Ebenso kritisieren die Initiatoren angebliche Vertragsbrüche der NATO-Staaten (…)". Im Aufruf steht natürlich nichts von "angeblichen Vertragsbrüchen der NATO-Staaten", sondern nur von "Vertragsbrüchen".

Da die Redaktion offenbar diese relativ deutlich wertende, in der Gesellschaft umstrittene und jedenfalls NICHT der Regierungssicht entsprechende Formulierung nicht ohne Weiteres in den Rang einer unbestreitbaren Tatsache erheben wollte, verwendete sie – journalistisch-professionell – die möglichst sachliche Wiedergabe der Originalaussage in indirekter Rede in Form von "angebliche Vertragsbrüche". Im Sinne von: Jemand – in diesem Falle die Initiatoren der Demonstration – gibt an/hat angegeben, etwas Bestimmtes sei so und so.

"Angeblich" mag hier abwertend klingen, ist es aber nicht. Sondern sinnvolle, weil angemessene Objektivierung im Journalismus. Jenen "Angaben" einer Quelle mag das Publikum dann vertrauen oder auch nicht – diese Entscheidung jedenfalls können Mediennutzerinnen und -nutzer schließlich vergleichsweise eigenständig treffen.

Damit mag sich natürlich eine Frage erheben: Warum wird im Falle der Friedens-Demo relativ angemessen distanziert berichtet, aber (mit Blick auf eine ähnliche sprachliche Problemstellung) im Falle des Grünen-Parteitages ganz anders?

Zwei weitere Mediensplitter gleichsam wie im Brennglas genau zu diesen beiden Ereignissen:

Tagesschau-Bericht zum Grünen-Parteitag: Eine medienkritische Betrachtung

a) Die Überschrift eines nächsten Tagesschau-Berichtes [5] zum Grünen-Parteitag lautete: "Grüne diskutieren über Migration: Zwischen Menschlichkeit und Machbarkeit". Eine medienanalytische Gegenprobe zeigt: Das könnte exakt auch die Überschrift einer entsprechenden Presse-Mitteilung der Grünen sein.

Da gäbe es bis in die Wortwahl hinein vermutlich kaum Unterschiede: Eine solche Presse-Mitteilung der Grünen würde ziemlich wahrscheinlich mit ganz ähnlichen Worten arbeiten – nämlich mit deutlich positiv wertenden: Die einen Grünen sind halt vorwiegend "menschlich" orientiert. Die anderen Grünen schauen, was sich eben so an Gutem für die gesamte Gesellschaft "machen" lässt.

Man weiß gar nicht, was der Reporter vor Ort offenbar am sympathischsten findet, mit Blick auf diese zwei Optionen – beide Versionen wirken jedenfalls weit weg von einer sachlichen Perspektive und Berichterstattung.

Tagesschau und die Berichterstattung über die Friedens-Demo

b) Ganz anders der Umgang mit der Friedens-Demo in Berlin, hier in der Version der "Tagesschau" [6]. Online wurde der Artikel später überarbeitet, leider ohne Hinweis darauf, dass es in einer früheren Version folgende problematische Darstellung gab (daher hier im Screenshot die Version von 17:04 Uhr, weil diese Fassung online nicht mehr verfügbar ist):

Screenshot eines Berichts der Tagesschau
(Bild: Screenshot, Sebastian Köhler)

Erstens konnotiert hier die Überschrift, im Unterschied zum Grünen-Parteitags-Beitrag, nicht nur negativ, sondern sogar doppelt bis dreifach negativ: Nicht zum Beispiel "Demo für Frieden und Verhandlungen", sondern "Protest gegen Waffenlieferungen an Ukraine". Zudem entspricht diese Formulierung auch inhaltlich kaum dem Tenor der Kundgebungen und der Demonstration, denn es ging keineswegs nur um den Krieg in der Ukraine.

Zweitens aber bleibt Folgendes hochgradig fragwürdig: Der Bericht beginnt mit dem Satz:

"In Berlin haben etwa 5.000 Menschen gegen Waffenlieferungen an die Ukraine und Mehrausgaben für das Militär demonstriert".

Die Zahl der Menschen, die an Demonstrationen teilnehmen, welche die Regierungspolitik kritisieren oder aber sie unterstützen, ist spätestens seit der Corona-Zeit ein hochgradig politischer Aspekt.

Transparenz und Objektivität in der Medienberichterstattung

Daher erscheint es merkwürdig, dass die Redaktion hier ohne entsprechende Quellenangabe (die kam erst gegen Ende des Beitrages, das wiederum viele gar nicht erst lesen) diese Ziffer-Angabe "etwa 5.000 Menschen" in den Rang einer unbestreitbaren Tatsache erhob. Denn diese Zahl stammte von der Polizei. Warum bitteschön wurde genau das NICHT von vornherein angegeben? Damit hätte die Leserschaft diese Angabe als Version der Polizei einordnen können.

Eine solche Angabe der Teilnehmerzahl hat doch einen deutlich anderen Legitimationsbedarf als eine Aussage wie "Heute ist Samstag". Die Demo-Veranstalter wiederum hatten bereits relativ früh ihre Teilnahme-Schätzung von rund 20.000 Menschen angegeben.

Interessant, dass dieselbe Polizei dann ihre Angabe im Laufe des späten Nachmittags deutlich nach oben korrigierte und sogar gleich einmal verdoppelte – obwohl währenddessen im Unterschied zum Start des Geschehens gegen 13 Uhr bereits etliche Demonstrierende das Geschehen wieder verlassen hatten. Am Ende des Tages sprach die Polizei dann immerhin von 10.000 Teilnehmern.

Wie auch immer man das bewerten mag: Es verweist einmal mehr und deutlich darauf, dass journalistische Redaktionen die Wichtigkeit der Quellenangabe kaum überschätzen können. Wer sein Publikum ernst nimmt, möge ihm mit aller gebotenen Transparenz so früh wie möglich seine Quelle(-n) offenlegen – sofern die nicht wie bei investigativen Beiträgen aus Vertraulichkeit geschützt werden. Aber das kann ja bei der offiziellen Polizei-Version als Quelle nicht ernsthaft behauptet werden.

Vielmehr mag eine skeptische Journalismus-Lehre aus dieser Lage sein, dass auch die Mühlen der Behörden manchmal langsam mahlen, um dann zügig eine politisch interessante Teilnahme-Zahl zu verdoppeln. Und dass daher hier wie meistens gelten sollte: Versionen als Versionen kennzeichnen!


URL dieses Artikels:
https://www.heise.de/-9540169

Links in diesem Artikel:
[1] https://www.tagesschau.de/inland/gruene-vorsitz-wahl-100.html
[2] https://www.tagesschau.de/multimedia/podcast/11km/11km-feed-100.html
[3] https://www.deutschlandfunk.de/studien-mehrfach-missinterpretiert-deutsche-medien-nicht-100.html
[4] https://www.deutschlandfunk.de/demonstration-gegen-krieg-in-der-ukraine-mit-tausenden-teilnehmern-wagenknecht-haelt-rede-100.html
[5] https://www.tagesschau.de/inland/innenpolitik/parteitag-gruene-140.html
[6] https://www.tagesschau.de/inland/regional/berlin/demonstration-gegen-ruestungspolitik-100.html