Medienbericht: USA wussten, dass die Offensive in der Ukraine scheitern würde

Übung des 1. Bataillons der ukrainischen Armee. Bild: DVIDS / Public Domain

Biden-Regierung sei klar gewesen, dass die Ukraine keine Chance hat, heißt es im Wall Street Journal. Warum warnte man Kiew dann nicht? Und wenn der Krieg nicht zu gewinnen ist, was folgt daraus?

Einem neuen Bericht des Wall Street Journal zufolge wussten die USA, dass den ukrainischen Streitkräften die für eine erfolgreiche Gegenoffensive erforderliche Ausbildung und Bewaffnung fehlte, was sie jedoch nicht daran hinderte, die Offensive fortzusetzen.

Daniel Larison ist Redakteur bei Antiwar.com und leitete zuvor die Zeitschrift The American Conservative.

In dem Bericht heißt es, dass westliche Militärs "hofften, der ukrainische Mut und Einfallsreichtum würden sich durchsetzen", aber egal wie mutig und einfallsreich eine Armee auch sein mag, sie kann nicht in die Offensive gehen und siegen, wenn sie unzureichend versorgt und vorbereitet ist.

Wenn es unwahrscheinlich war, dass die ukrainische Gegenoffensive nennenswerte Erfolge erzielen würde, und Washington guten Grund hatte, das im Voraus zu erwarten, stellt sich die wichtige Frage, warum die USA nicht mehr unternommen haben, um die Bemühungen, die jetzt ins Stocken geraten zu sein scheinen, zu unterbinden.

Wenn "Kiews Truppen nicht über die Masse, die Ausbildung und die Ressourcen" verfügen, um eine erfolgreiche Offensive zu starten, wie es in dem Bericht heißt, dann deutet es stark darauf hin, dass die USA die ukrainische Regierung vor einem solchen Versuch hätten warnen müssen.

Die US-Regierung sollte sich jetzt aktiv um einen Waffenstillstand bemühen, um der Ukraine zu helfen, die bereits erzielten Erfolge zu sichern, bevor die ukrainischen Streitkräfte weitere Verluste in einer Anstrengung erleiden, die wenig bringen wird.

Es ist bedauerlich, dass die USA die letzten sechs Monate nicht besser genutzt haben, um die Grundlagen für Verhandlungen zu schaffen, aber es ist besser, jetzt damit anzufangen, als ein weiteres Jahr oder noch länger zu warten, bis die Lage noch prekärer wird.

Wie Anatol Lieven vom Quincy Institute bereits mehrfach festgestellt hat, hat die Ukraine bereits einen großen Sieg errungen, den zum Zeitpunkt des Einmarsches im Februar 2022 nur wenige für möglich hielten. Russland hat enorme militärische Verluste erlitten, sein internationales Ansehen ist zerrüttet, und seine Streitkräfte wurden gestoppt und weit hinter ihre ursprünglichen Ziele zurückgedrängt.

Der Wunsch, den Krieg fortzusetzen, bis alle russischen Streitkräfte vertrieben sind, ist zwar verständlich, aber es ist gefährlich, alles zu riskieren, was bewahrt und gewonnen wurde.

Die umsichtige und verantwortungsvolle Entscheidung, einen Kompromiss einzugehen, ist nie populär und birgt politische Risiken. Aber sie ist in einer Situation wie dieser letztlich die klügere Wahl.

Ein Waffenstillstand wie derjenige, der vor siebzig Jahren die Kämpfe in Korea beendete, wird als Modell dafür angeführt, wie der gegenwärtige Krieg beendet werden könnte. Der Koreakrieg ist auch ein warnendes Beispiel für die Gefahren einer Selbstüberschätzung, denn der Vormarsch auf die chinesische Grenze führte zu einer chinesischen Intervention und einer Verlängerung des Krieges, die für alle Parteien mit hohen Kosten verbunden war.

Der Versuch, das gesamte von den russischen Streitkräften gehaltene Territorium zurückzuerobern, birgt das Risiko einer russischen Eskalation und einer ukrainischen Erschöpfung, und die Ukraine könnte am Ende weniger haben als heute.

In einem Artikel für die Juni-Ausgabe von Foreign Affairs warnte der Wissenschaftler der Rand Corporation, Samuel Charap, dass der Krieg in der Ukraine nicht zu gewinnen ist. Er stellte nüchtern fest, dass die Kämpfe in einer zermürbenden Pattstellung festgefahren sind und "keine der beiden Seiten die Fähigkeit hat – selbst mithilfe von außen – einen entscheidenden militärischen Sieg über die andere zu erringen".

Charaps Einschätzung scheint zutreffend und viel realistischer als die vieler seiner Kritiker zu sein, die darauf bestehen, dass der Sieg und nicht der Kompromiss die einzige Lösung ist.

Ein Sieg im Sinne der Rückeroberung des gesamten ukrainischen Territoriums, das sich jetzt in russischer Hand befindet, kann nicht errungen werden, es sei denn, die russischen Verteidigungskräfte brechen plötzlich und unerwartet zusammen. Es wäre unklug, eine Politik zu betreiben, die sich auf ein solch unwahrscheinliches Ereignis stützt.

Stattdessen empfiehlt Charap den USA und ihren Verbündeten, den Krieg eher früher als später auf dem Verhandlungswege zu beenden. Er sagte:

Wenn sie sich entscheiden zu warten, werden die Grundlagen des Konflikts wahrscheinlich die gleichen sein, aber die Kosten des Krieges – menschlich, finanziell und anderweitig – werden sich vervielfacht haben.

Diplomatie ist Staatskunst, nicht Kapitulation

Charap räumte ein, dass die Gegenoffensive möglicherweise "bedeutsame Gewinne" bringen könnte, aber selbst wenn dies der Fall wäre, würde sie nicht zu einem "entscheidenden" Fortschritt führen. Wie wir sehen, gab es bisher keine bedeutsamen Erfolge, und deshalb ist es umso wichtiger, dass die politischen Entscheidungsträger die Argumente von Charap beherzigen.

Die Sicherung eines dauerhaften Waffenstillstands wird Zeit brauchen, und deshalb ist es von zentraler Bedeutung, dass die Verhandlungen darüber so bald wie möglich beginnen. Je länger ein Waffenstillstand hinausgezögert wird, desto schlechter werden die Bedingungen und desto teurer wird der Konflikt für die Ukraine.

In seiner Antwort auf seine Kritiker sagt Charap, dass sie "die Diplomatie eher als Synonym für Kapitulation denn als wichtiges Instrument der Staatskunst betrachten", und so sehen es leider auch viele Gegner von Verhandlungen. Die Diplomatie ist ein notwendiges Instrument zur Sicherung der eigenen Interessen, und sie kann oft mehr zu ihrer Sicherung beitragen, als es jahrelange bewaffnete Auseinandersetzungen könnten.

Die Aushandlung eines Waffenstillstands zur Beendigung der Kämpfe käme vor allem dem ukrainischen Volk zugute, da er das Land auf absehbare Zeit vor weiteren Angriffen schützen würde.

Sich zu weigern, mit einem Gegner zu verhandeln, sei es aus Stolz oder aus ideologischer Feindseligkeit gegenüber der Diplomatie, ist in der Regel selbstzerstörerisch.

Wie Charap anmerkt, "gibt es keinen plausiblen Weg zur Beendigung des Krieges, der nicht die Einbindung Moskaus beinhaltet". Wenn die USA und ihre Verbündeten ein Ende des Krieges anstreben, dann ist Einbindung der richtige Weg.

Mit dem Beginn dieses Prozesses zu warten, ist Zeitverschwendung und, was noch viel wichtiger ist, eine Verschwendung von Menschenleben. Die USA können die Ukraine nicht zwingen, einen Waffenstillstand zu akzeptieren, den sie nicht will, aber sie können an das Eigeninteresse der ukrainischen Regierung appellieren und ihr klarmachen, dass ihr Land schlechter dastehen wird, wenn es dem Ziel der Rückeroberung aller verlorenen Gebiete hinterherläuft.

Ein Waffenstillstand ist kein Allheilmittel und per definitionem keine dauerhafte Beilegung des Konflikts, aber er würde der Ukraine Zeit und eine Atempause verschaffen, um sich zu erholen und wiederaufzubauen. Er würde auch den Millionen von Ukrainern, die in Europa Zuflucht gesucht haben, ermöglichen, in ihre Heimat zurückzukehren.

Je länger sich ein aktiver Krieg hinzieht, desto schwieriger wird es für das Land, sich von den ihm zugefügten Wunden zu erholen, und desto unwahrscheinlicher wird es, dass die Menschen, die das Land verlassen haben, zurückkehren wollen.

Die Art und Weise, wie die USA und ihre Verbündeten jetzt handeln, wird mit darüber entscheiden, ob die Ukraine das Schicksal eines weiteren Syriens ereilt oder nicht. Die schnellstmögliche Beendigung der Kämpfe ist der beste Weg, um die Ukraine vor diesem Schicksal zu bewahren.

Der Artikel erscheint in Kooperation mit dem US-Medium Responsible Statecraft. Hier geht es zum englischen Original. Übersetzung: David Goeßmann.